Harry Lime

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Der dritte Mann
Graham Greene
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
erschienen am 14.03.2016 im Zsolnay Verlag
ISBN 978-3-552-05767-8

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Den Film mit Orson Welles und Joseph Cotten und seine berühmte Titelmelodie kannte einst jeder. In meiner Kindheit liefen diese Filme noch beständig im regulären Fernsehprogramm. Da waren auch Schwarzweiß-Fernseher noch normal.
Das schreibe ich nicht, um auf mein Alter hinzuweisen, sondern weil ich damals eine Liebe für diese teilweise großartig inszenierten Filme entwickelt habe.
Umso irritierter war ich, den „Dritten Mann“ in Buchform zu entdecken. Es gibt also eine Romanvorlage und dann auch noch von Graham Greene?
Nein, gibt es genau genommen nicht. Es gibt ein Drehbuch, einen erfolgreichen Film und eine für das Drehbuch entwickelte Erzählung, die daher nicht in allen Szenen mit dem Film übereinstimmt. Und diese Erzählung ist nun also als Buch veröffentlicht worden.
Der amerikanische Autor Rollo Martins kommt auf Einladung seines Freundes Harry Lime nach Wien. Der Zweite Weltkrieg ist beendet, Wien in fünf Sektoren aufgeteilt, vier werden von je einer Besatzungsmacht, der fünfte wird gemeinsam monatlich wechselnd verwaltet.
Kurz nach der Ankunft erfährt Martins von einem tödlichen Unfall seines Freundes und kommt gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung. Im Zuge seines Aufenthalts stößt er auf Ungereimtheiten den Unfall betreffend und beginnt nachzuforschen.
Es geht um Schiebereien auf dem Schwarzmarkt, um gestrecktes Penicillin, um das Wien der direkten Nachkriegszeit. Dementsprechend düster ist die Stimmung.
Um es gleich zu sagen, an den Film kommt die Erzählung nicht einmal andeutungsweise heran. Aber das war ja auch nie der Plan. Greene ging es um eine genauere Charakterisierung seines Personals, um eine Vorarbeit zum Drehbuch. Dementsprechend nüchtern ist der Text, der dabei aber immer noch besser ist als so mancher ambitionierte Krimi. Die Lektüre lohnt also durchaus, wenn man sich für das Thema interessiert, den Film gerade nicht zur Hand hat oder Graham Greene-Fan ist.
Die Büchergilde Gutenberg hat übrigens eine Ausgabe herausgebracht mit Illustrationen von Annika Siems, die durch ihre schlichte Schönheit besticht und in jede vernünftige Krimisammlung gehört.

Wenn Manen mahnen

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Rückwärtswalzer
Vea Kaiser
erschienen am 07.März 2019 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05142-1

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Blut ist eben doch dicker als Wasser und niemand wird zurückgelassen. Zumindest nicht in der Familie Prischinger. Als Lorenz vor der Pleite steht und seine Freundin ihn verläßt, darf er ganz selbstverständlich bei seiner Tante Hedi und ihrem Lebensgefährten Willi einziehen. Seine beiden anderen Tanten Mirl und Wetti gehen dort auch ein und aus. In Notfällen halten die Prischinger eben zusammen. Ein ebensolcher Notfall ist Willis plötzlicher Tod. Denn der gebürtige Montenegriner möchte in seinem Heimatland begraben werden, allein es fehlt das Geld für die Überführung. Und so machen Lorenz und seine Tanten sich mit dem gefrorenen Willi auf dem Beifahrersitz seines Pandas auf den langen Weg nach Montenegro…
Vea Kaiser hat mit „Rückwärtswalzer“ ein gleichermaßen charmantes, witziges und berührendes Buch geschrieben. Leichtfüssig, aber nie seicht, erzählt sie mit Rückblenden vom Leben der Protagonisten von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart und macht damit deutlich, wie sehr unsere Vergangenheit uns prägt bzw. die Erlebnisse der Elterngeneration auf das Werden der Kinder einwirken. Sepp zum Beispiel, Lorenz‘ Vater, hätte sich als Kind Anerkennung für seinen Lerneifer gewünscht und darum überschüttet er seinen Sohn mit Lob, weshalb der wiederum sich für ein verkapptes Genie hält und erst lernen muss, auch auf andere einzugehen. So trägt jeder sein Päckchen und gibt es gewissermaßen unbewußt weiter. Und wird dabei seinerseits beeinflusst von den Taten der Ahnen (im Alten Rom „Manen“ genannt).
Dass man auch bei den engsten Verwandten häufig den größten Teil der prägenden Ereignisse nicht kennt, macht die Sache nicht einfacher. Denn so entstehen im Grunde unnötige Konflikte und Mißverständnisse.
Was hier eher dramatisch klingt, beschreibt Vea Kaiser schwungvoll und mit treffsicherem Humor. Ich habe mit den Schwestern gelacht, geweint, gelitten und gehofft, der Roadtrip möge einen guten Verlauf nehmen und Onkel Willi friedlich in montenegrinischer Erde enden.
Ich kann es nur wiederholen: ein charmanter, leichtfüssiger Roman, dem ich von Herzen viele Leser wünsche! Meine Leseliste jedenfalls ist mal wieder länger geworden, weil ich nun natürlich auch die anderen Romane der Autorin lesen möchte…

Ich danke dem Verlag Kiepenheuer & Witsch herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen zu diesem Roman:

Buchrevier https://buchrevier.com/2019/03/07/vea-kaiser-rueckwaertswalzer/
Andreas Kück Leselust https://andreaskueckleselust.com/2019/03/12/rezension-vea-kaiser-rueckwaertswalzer-oder-die-manen-der-familie-prischinger/

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

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Der Trafikant

Robert Seethaler

erschienen 2013 im Verlag Kein & Aber

ISBN 978-3-0369-5909-2

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1937. Der junge Franz muss sein Heimatdorf verlassen, in dem er sehr verwurzelt ist und seine Mutter zurücklassen, zu der er ein sehr enges Verhältnis hat. Er wird Lehrling bei einem Bekannten der Mutter, dem Otto Trsnjek, der in Wien eine kleine Trafik leitet. Für Nichtösterreicher: eine Trafik, das ist eine Art Tabak- , Rauchwaren- und Zeitschriftenladen. Ein Kunde dieser Trafik ist Siegmund Freud, zu dem Franz tatsächlich einen Kontakt aufbaut und der Franz bei seiner unglücklichen Liebe zur Varietetänzerin Anezka Rat geben kann. Bis dahin ein Roman über das Erwachsen werden in der Großstadt, über den Jungen vom Dorf im mondänen Wien. Aber schon die Jahreszahl 1937 verrät es, die Zeiten sind wenig geeignet, um in Frieden zu leben.
Die Nationalsozialisten übernehmen die Regierung, Freud ist als Jude ein Geächteter, der unter Beobachtung steht, Otto Trsnjek wird plötzlich verhaftet und verschwindet spurlos und Franz muss nun allein herausfinden, wie man in solchen Zeiten ein ehrlicher Mensch bleiben kann.
Robert Seethaler hat mit „Der Trafikant“ ein sehr leises, eindringliches Buch geschrieben. Sein Franz ist eine reine Seele, die ganz unbeschrieben und weiß in Wien landet, aber einer inneren Moral folgt, die ihn den Weg des Guten einschlagen lässt in einer unguten Zeit. Franz ist unpolitisch, er sieht nur den einzelnen Menschen. Und er ist treu bei den Menschen, die sein Herz gewonnen haben.
Der Roman beweist, dass große Literatur nicht immer in dicken Wälzern daher kommen muss oder mit kompliziertem Innenleben. Wenn einer schreiben kann wie Seethaler, dann ist ein schmaler Band so intensiv und reichhaltig wie bei manch anderem eine mehrbändige Saga. Und trifft einen still und präzise ins Herz.

 

Schicksalsdrama

978-3-15-004377-6

Die Ahnfrau

Franz Grillparzer

erstmals erschienen 1817, heutzutage u.a. bei Reclam erhältlich

ISBN 978-3-15-004377-6

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Franz Grillparzer, österreichischer Dichter des 19. Jahrhunderts, legte mit „Die Ahnfrau“ sein erstes Drama vor, ein sogenanntes Schicksalsdrama. Was heisst das nun: „Schicksalsdrama“?

Im Grunde ist das einfach zu verstehen. Der Kuchen verbrennt. Egal, wie sorgsam Sie den Ofen eingestellt haben, egal, wie sehr Sie ihr Backwerk bewachen, der Kuchen verbrennt. Und sollten Sie ihn triumphierend, weil vorausschauend, rechtzeitig aus dem Ofen genommen haben, dann geht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Ihre Küche in Flammen auf. Der Kuchen kann seinem Schicksal nicht entkommen und alles, und jeder, das oder der seinen Weg kreuzt, gerät in Gefahr.

In diesem Falle ist der Kuchen das Geschlecht der Borotins. Durch ein Vergehen der titelgebenden Ahnfrau verflucht, leben die Nachkommen sozusagen auf ihr Ende hin, die Auslöschung. Denn erst, wenn der letzte Borotin gegangen ist, ist der Ahnfrau die letzte Ruhe vergönnt. Bis dahin ist allerdings mit reichlich Verwicklungen zu rechnen.

Erfreulicherweise hält Grillparzer sich an die drei aristotelischen Einheiten, betreffend Handlung, Zeit und Ort. Die Handlung ist geschlossen, hat Anfang, Mitte und Ende und ist nicht als Fortsetzungsgeschichte geplant. Die Zeit ist überschaubar, in diesem Falle eine Nacht, und der Ort ist gleichbleibend, die Burg der Borotins mit angeschlossener Kapelle. Selbst das Personal ist nicht sonderlich zahlreich, als da wären Graf Borotin, seine Tochter Berta, ihre heimliche Liebe Jaromir, dessen Vater Boleslav, der Kastellan Günther, ein Hauptmann nebst Soldat und natürlich die Ahnfrau.

In der Burghalle sitzen Vater und Tochter bei trautem Gespräche zusammen. Der Graf erläutert seiner Tochter (und somit eigentlich dem Publikum, die Tochter dürfte das Ganze schon hunderte Male gehört haben) die Familiengeschichte mitsamt Vergehen der Ahnfrau und Verlust des eigenen Sohnes, der im Alter von drei Jahren spurlos verschwand und vermutlich im nahen Weiher ertrank. Zwischendurch verläßt Berta kurz den Raum, was der Ahnfrau ein kleines, gruseliges Zwischenspiel ermöglicht, sieht sie Berta doch zum Verwechseln ähnlich. Wer es bis jetzt noch nicht erkannt hat, die Dame ist ein Geist und wandelt des Nachts durch die Gänge.

Wenig später klopft der von Räubern verfolgte Jaromir ans Tor und wird sogleich als gewünschter Schwiegersohn dem Grafen ans Herz gelegt. Der hat nichts dagegen und wenn wir nicht in einem Drama wären, könnte nun alles ein wunderbares Ende nehmen. Nimmt es aber nicht. Erst gehen wir noch auf Räuberjagd, spielen ein wenig „Vater, wechsle Dich“ und zum Schluß sind erwartungsgemäß alle Borotins dahin und das Hausgespenst geht zur letzten Ruh‘.

Was heute der Thriller ist, war damals das Drama. Eine spannende Geschichte, ein wenig Blut und/oder Gemetzel, eine hübsche Blonde, ein etwas angestoßener Held, Action, Kämpfe, Schwerter und für das gruselige Gefühl gerne auch ein paar Geister, falls gerade vorhanden, das lockte die Menschen ins Theater. Und zu recht. Denn was sich als Text bisweilen etwas amüsant liest, entfaltet auf der Theaterbühne, entsprechende Schauspieler vorausgesetzt, seine ganz eigene Kraft. Und ist auch heute noch packend. Denn in der Erfindung von überraschenden Wendungen, Finten und falsch gelegten Fährten waren viele Dramatiker Meister. Und die oben erwähnten Einheiten machen den Stoff sehr dicht. Alles passiert sehr zeitnah, sehr gleichzeitig und jeder Faden muss im Stück noch aufgerollt werden.

Wenn man bedenkt, dass dieses Stück ein Erstling ist, dann zeigt sich hier schon Grillparzers Gespür fürs Theatralische. Und, ich muss es gestehen, obwohl es sich um ein Trauerspiel handelt, hatte ich doch meinen Spass daran zu sehen, wie die Handlung vorangetrieben wird, sich zuspitzt und wie nah dem Ende noch ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird. Es mag bessere Dramen geben, aber lesenswert ist dieses in jedem Falle auch. Und sollte ich tatsächlich eine Aufführung in erreichbarer Nähe entdecken, würde ich nicht zögern, diese zu besuchen.

 

 

Grillparzer

 

Von Zeit zu Zeit finde ich unter meinen Stapeln von Büchern, die ich im Laufe der Jahre gekauft, geschenkt bekommen oder geerbt habe, kleine Schätze, die ich vorher entweder übersehen oder vergessen habe. Gestern war das wieder einmal der Fall.

Gefunden habe ich zwei Novellen von Grillparzer, gebunden wahrscheinlich irgendwann zwischen 1920 und 1940. Die eine, „Das Kloster bei Sendomir“, ist eine gruselige Geschichte über Verrat und enttäuschte Liebe, die andere, „Der arme Spielmann“, eine traurige Geschichte über Betrug und die Liebe zur Musik.

Beide Novellen waren schnell gelesen, leider, denn ich hätte davon durchaus mehr vertragen können und brachten mich zu der Frage, wer genau war denn nun eigentlich dieser Grillparzer? Den Namen kennt man ja durchaus, den Namen, ja – und dann?

Ich habe ein wenig nachgeforscht, was in diesem Falle nicht wirklich schwer war und darf euch nun also vorstellen:

Franz Seraphicus Grillparzer lebte vom 15.Januar 1791 bis zum 21. Januar 1872 und zwar hauptsächlich in Wien. Er war Sohn eines Rechtsanwalts, studierte selber die Rechte und war dann zeitlebens Beamter.

Den schönen Künsten zugetan, beschäftigte er sich schon früh mit der Schriftstellerei und mit Musik. 1817 wurde seine Tragödie „Die Ahnfrau“ am Theater an der Wien uraufgeführt, 1823 verfasste er für Beethoven ein Opernlibretto. Weitere Bühnenstücke folgten, heute noch bekannt sind u.a. „Das goldene Vlies“, „Der Traum ein Leben“ und „Die Jüdin von Toledo“. Sein Gesamtwerk findet man heute im Suhrkamp Verlag , einzelne Stücke auch bei Reclam . Er gilt als Nationaldichter Österreichs, der, zeitweise in Vergessenheit geraten, heute seinen Platz im Kanon eingenommen hat.

Wer sich eingehender mit Herrn Grillparzer beschäftigen möchte, denn meine Vorstellung ist ja nur ein kleiner Einblick, der muß sich ein wenig bemühen. Als ebook sind diverse Biographien zu finden, gebunden leider nur antiquarisch nach meiner Recherche. Ich lasse mich da aber gerne eines besseren belehren.

Ich bin ja immer glücklich, wenn ich auf solche Entdeckungen stoße, speziell, wenn sie dem Theater so nah sind, daher werde ich in der nächsten Zeit bestimmt noch mehr von Grillparzer lesen. Und das kleine Büchlein oben sicherlich auch nicht wieder verlegen oder vergessen…