Adamsberg auf Abwegen

Der Zorn der Einsiedlerin von Fred Vargas

Der Zorn der Einsiedlerin

Fred Vargas

Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze

am 29.10.2018 erschienen im Limes Verlag

ISBN 978-3-8090-2693-8

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Um damit gleich zu beginnen, ich liebe die Krimis von Fred Vargas und sie stehen ausnahmslos alle in meiner Bibliothek. Ich mag die Art, wie Kommissar Adamsbergs mäandernde Gedanken mich zwingen mein Lesetempo herunterzufahren, damit ich nichts Entscheidendes verpasse; ich mag es, wie die Realität an den Rändern verschwimmt, um dem Unwahrscheinlichen Raum zu geben; ich mag Vargas‘ ungewöhnliche Ideen, den häufigen geschichtlichen Bezug, bei dem ich immer auch etwas lerne. Daher musste der neue Roman auch am Tag des Erscheinens bei mir einziehen.
Doch ich muss gestehen, ich bin enttäuscht. So wie Adamsberg kurz vor einem Burn-out zu stehen scheint, scheint auch seiner Autorin die Luft auszugehen. Gerade das Privatleben des Kommissars, sein Sohn, seine verlorene Liebe waren der Gegenpol zu den bizarren Fällen, machten Adamsberg menschlich. Das Alles fehlt in diesem Band zur Gänze. Nun ist er nur noch unfehlbarer Ermittler, der seine Kollegen in den Wahnsinn treibt, Kollegen, die übrigens auch von lebendigen Charakteren zu Schablonen erstarrt zu sein scheinen. Man verstehe mich nicht falsch, Vargas komponiert und formuliert nach wie vor fabelhaft, aber es wirkt eher mühselig als leichtfüssig. Ich glaube, eine etwas weniger außergewöhnliche Ermittlung und etwas mehr Konzentration auf die Entwicklung der Charaktere könnte dem Ganzen gut tun.
Der Hauptfall ist so ungewöhnlich, wie man es von der Autorin gewohnt ist. Es geht um Spinnenbisse und Einsiedlerinnen, um Vergeltung und Missbrauch. Und auch, wenn ich diesen Band deutlich schlechter im Vergleich zu den anderen fand, habe ich ihn an einem Tag gelesen. 506 Seiten. Unansprechbar für die Aussenwelt. Was nur zeigt, dass auch ein mittelprächtiger Vargas immer noch deutlich besser ist als neunzig Prozent aller anderen Krimis. Und nun bleibt mir nur zu hoffen, dass der nächste Band wieder besser gelingt und Fred Vargas wieder zurückfindet zu ihrer wunderbaren Truppe, die sich ja dadurch ausgezeichnet hat, dass sie eben nicht nur Stereotypen abgebildet hat, formelhaft erstarrte Gestalten, sondern aus lebendigen Charakteren besteht.
Für Ersttäter empfiehlt es sich übrigens tatsächlich mit Band 1 zu beginnen und nicht mittendrin, finde ich. Auch wenn die Fälle abgeschlossen sind, baut das Zwischenmenschliche aufeinander auf, versteht man die Menschen besser mit ihrem Hintergrund. Wer also mit den Vargas-Krimis beginnen möchte, der greife zu „Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord“.

Von der Liebe

Paris - Austerlitz von Rafael Chirbes

Paris – Austerlitz

Rafael Chirbes

Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz

erschienen 2018 im btb Verlag

ISBN 978-3-442-71617-3

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Dieser posthum veröffentlichte Roman des bekannten spanischen Schriftstellers Rafael Chirbes erzählt eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte. Man lernt sich kennen, zieht noch im ersten Taumel zusammen, der Alltag bricht irgendwann herein, die ersten ernsteren Zwiste folgen und irgendwann trennt man sich wieder. Auch das einer der Liebenden innigere Gefühle hat, eifersüchtiger ist, die Trennung nur schwer akzeptieren kann, gehört, platt gesagt, zum Lauf der Dinge.
Der junge Ich-Erzähler strandet ohne Geld und Unterkunft in Paris, geflohen vor seiner dogmatischen Familie. Künstler möchte er sein, Geschäftsmann soll er werden. Er lernt den erheblich älteren Arbeiter Michel kennen, einen lebendigen, großherzigen Mann, der ihn aufnimmt und mit durchfüttert. In der Phase der ersten Verliebtheit merkt der junge Mann nicht, was der Preis dieser Fürsorge ist: Michel wünscht seine ungeteilte Aufmerksamkeit, die totale Aufgabe aller anderen Kontakte und Wünsche. Nach einem Besuch bei seinen Eltern kommt es zum Bruch, der junge Mann zieht aus. Er erträgt die erzwungene Nähe nicht mehr.
So weit, so altbekannt. Doch nun kommt „die Plage“ ins Spiel. Michel erkrankt daran, an eine Rettung ist nicht zu denken. „Die Plage“, nie wird diese Erkrankung beim richtigen Namen genannt, aber es liegt nahe, ist AIDS. Chirbes beschreibt den Niedergang, den Verfall Michels. Er erzählt, wie der junge Mann zunächst panisch auf jedes Erkrankungszeichen seinerseits achtet, fest davon überzeugt, er müsse nun auch sterben. Wie er den Anblick Michels, das sich an ihn Klammern einer aufgegebenen Liebe nur schlecht erträgt. Muss man sich im Angesicht eines Todkranken zusammenreißen? Muss man ihn pflegen, ihm helfen, obwohl man sich dazu nicht imstande fühlt? Gibt es Verpflichtungen aus vergangenen Tagen, obwohl die Beziehung beendet ist?
Streckenweise ist es mir schwer gefallen, weiterzulesen. Zu genau kenne ich die Abläufe im Krankenhaus, die notwendigen Hilfestellungen bei Totkranken.Ich kann aber auch verstehen, dass man davor zurück schreckt, die Veränderung eines vertrauten Menschen einfach nicht erträgt.
Chirbes schreibt recht nüchtern, die Fragen nach Moral, nach der richtigen Verhaltensweise muss der Leser sich schon selbst stellen und beantworten. Vielleicht ist das auch der Grund, warum mich diese Geschichte nicht so berührt hat, wie sie sicherlich hätte können. So habe ich das Buch leider recht gleichmütig zugeklappt. Der Gedanke allerdings, was eine Erkrankung wie AIDS mit den Betroffenen und ihrem Umfeld macht, der hat mich lange verfolgt.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen dieses Buches:

BuchUhu https://buchuhu.wordpress.com/2017/06/23/rafael-chirbes-paris-austerlitz/
Libroscope https://libroscope.wordpress.com/2017/06/11/liebe-hinter-perlgrauen-fassaden/

Warten

Ein Ire in Paris von Jo Baker

Ein Ire in Paris

Jo Baker

Aus dem Englischen von Sabine Schwenk

erschienen 2018 im Knaus Verlag

ISBN 978-3-8135-0754-6

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Bisweilen passt alles zusammen, Buch, Leser und der Moment,den man zum Lesen eines bestimmten Buches wählt. Mir ging es mit Jo Bakers „Ein Ire in Paris“ so.
Das Leben verläuft leider nicht immer wunschgemäß. Ein mir sehr nahestehender Mensch ist sehr krank geworden und nun besteht mein Leben aus Warten. Warten auf den nächsten Befund, Warten auf Versicherungen, Krankenkassen, Warten auf den nächsten Tag mit neuer Kraft und Hoffnung, Warten…

Und um dieses Warten geht es im Grunde auch in diesem Roman. Jo Baker spürt der Zeit nach, die der irische Schriftsteller Samuel Beckett im Zweiten Weltkrieg in Frankreich verbracht hat. Er ist trotz Kriegsbeginn zu seiner Geliebten Suzanne nach Paris gefahren und schließt sich dort dem Widerstand an. Nachdem seine Zelle auffliegt, müssen Beckett und Suzanne untertauchen. Und nun beginnt es, das Warten. Das Warten auf das Ende des Krieges, das Warten auf Hilfe, auf neue Papiere, auf Unterkunft. Dazwischen immer wieder gefährliche und anstrengende Fluchten, Hunger und Verzweiflung. Dazu die ständige Angst, erkannt oder verraten zu werden.

Über diese Zeit hat Beckett sich immer mehr oder weniger ausgeschwiegen. Umso eindrucksvoller gelingt der Autorin diese Annäherung, die das Werk des Nobelpreisträgers zugänglicher macht. Zugänglicher deshalb, weil das Weglassen alles unnötig Gesagten, die Verknappungen, das Sinnlose im Alltäglichen hier ihren Ursprung gehabt zu haben scheinen. Weil erst das unmittelbare Erfahren des Kriegsalltags als Flüchtling Becketts Ausdruck geschliffen und geprägt hat.

Ein Roman, der mich ergriffen hat. Man erlebt, wie die Wartehallenposition, das beständige kurz vor dem Sterben, aber nur halb tot sein, die Menschen zermürbt, ihre Gefühle untergräbt, wie das Warten an den kaum noch vorhandenen Kräften zehrt, und wie manch einer den Tod vorzieht, weil er den Wechsel zwischen Flucht und Stillstand nicht mehr erträgt.

Wer sich für die Kriegsjahre und Literatur interessiert, dem kann ich nur eine klare Leseempfehlung aussprechen. Für mich ist der Roman eines der Buchhighlights des Halbjahres.

Ich danke dem Knaus Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Rezensionen:

Buchperlenblog https://buchperlenblog.wordpress.com/2018/05/31/rezension-jo-baker-ein-ire-in-paris/

Serge Diaghilev

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Diaghilev and the Golden Age of the Ballets Russes 1909-1929

herausgegeben von Jane Pritchard

erschienen 2010 bei V&A Publishing

ISBN 978-1-851-77613-9

 

Jeder Mensch, der sich nur halbwegs mit Ballettgeschichte beschäftigt, dürfte bei diesem Buch Schnappatmung bekommen. Zum einen, weil es ein echter Backstein von einem Bildband ist und wunderbar geeignet, Armmuskeln in Form zu bringen, zum anderen aber, weil es wirklich fast jeden Schnipsel enthält, der von der Hoch-Zeit der Ballets Russes noch zu finden ist. Gestaltet als Begleitband zu einer Ausstellung im Victoria & Albert Museum in London, findet man Bilder von Originalkostümen, Theaterplakaten, Bühnenbildern und dergleichen mehr.

In den ausführlichen Essays geht es dann, wie der Titel schon impliziert, hauptsächlich um Serge Diaghilev und seine Rolle als Impresario und Kunstförderer. Man findet neben den selbstverständlichen Texten zu seiner Herkunft und seinem Lebenslauf auch Analysen seines Verhältnisses zur Kunst, besonders im Bezug auf die Bühnenbilder und Kostüme der Truppe, die u.a. von Leon Bakst, Natalia Goncharova oder Pablo Picasso geschaffen wurden, oder zur Musik: Komponisten wie Strawinsky, Debussy oder Prokofiev schufen Stücke für die Ballets Russes und verdanken Diaghilev große Teile ihres Ruhms. Dieses Gespür für Strömungen, für vielversprechende Talente in allen Formen von Kunst, ist es, was ihn so besonders gemacht hat, ihn abgehoben hat von den anderen Kunstkennern und -förderern seiner Zeit.

Natürlich kann man kein Buch über die Ballets Russes herausbringen, ohne die Tänzer zu benennen, die maßgeblichen Anteil am triumphalen Aufstieg der Truppe hatten. Aber der Tanz selber ist tatsächlich kaum Thema, es geht mehr um die Choreographen und ihren Mut, althergebrachte Regeln zu brechen und Neues zu schaffen, darum, dass den männlichen Tänzern eine andere Rolle zugeteilt wurde, als Ballerinen von rechts nach links zu reichen, dass sogar der männliche Tänzer eher im Mittelpunkt stand als die Damen.

Trotz der vielen Daten und Namen ist das Alles keineswegs trocken geraten, die Essays sind sicherlich auch für jene lesbar, deren Englisch Lücken aufweist, und die Bilder geben einen tiefen Einblick in Diaghilevs Welt. Ich konnte Stunden damit verbringen, mir Details einzelner Kostüme anzusehen und mir ihre Wirkung in Bewegung vorzustellen. Leider gibt von dieser so lebendigen und noch heute das Ballett beeinflussenden Truppe keine Filmaufnahmen. Einzelne Tänzer sind später gefilmt worden oder haben sogar Tanzfilme gedreht, aber für Aufführungen der Ballets Russes unter Diaghilev gilt das nicht. Und so bleiben eben nur Bilder, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was diese Gruppe von Künstlern ausgemacht hat, die die Ballettwelt so revolutioniert hat.

Ein traumhafter Bildband für Ballettliebhaber und ein schickes Coffeetablebook für die, die es noch werden wollen…

Die zauberhafte Welt der Coco Chanel

Coco Chanel von Megan Hess

Coco Chanel

Megan Hess

Übersetzung von Christine Schnappinger

erschienen 2017 im Prestel Verlag

ISBN 978-3-7913-8311-8

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Manchmal stelle ich fest, dass trotz meines nahezu biblischen Alters das „Ich muss das haben, jetzt und sofort“-Gen des Teenagers immer noch aktiv ist. Zuletzt deutlich gemerkt habe ich es bei diesem Buch. Der Anblick des Einbands verführte mich zu quietschigen kleinen Freudenrufen – und ich bin an sich eher nicht… quietschig. Gar nicht. Dann habe ich versucht, meinem erstaunt herbeigeeilten Ehemann zu erklären, dass wir dieses Buch doch sicherlich beruflich unbedingt brauchen. Zur Erklärung, wir führen eine Modeagentur und an sich sollte man sich da schon mit der Entwicklung und Geschichte von Mode auskennen. Er warf einen Blick darauf, grinste breit und meinte lapidar „nein“. Das hat ihm nicht geholfen, denn es liegt nun hier neben mir – aber warum eigentlich tatsächlich?

Es geht in diesem entzückenden Büchlein um Coco Chanel, ihr Leben, die Marke, die Legendenbildung. Dazu gibt es nichtssagende kleine Textchen, die natürlich weder besonders viel Information transportieren noch irgendwelche neuen Erkenntnisse zu Madame Chanel parat halten. Und die auch ganz bestimmt nicht der Grund sind, warum ich quietsche. Nein, der Grund sind die Illustrationen von Megan Hess. In den Chanelfarben schwarz, weiß, rot gehalten, zeichnet sich die Illustratorin Hess durch Coco Chanels Leben, von der Jugend im Waisenheim, über ihren Erfolg in Paris bis zur Etablierung der Marke Chanel. Und sie scheint dabei unglaublich viel Spass gehabt zu haben.
Megan Hess ist Modezeichnerin, arbeitet u.a. für Chanel, Dior und Yves Saint Laurent. Sie versteht es also, mit schnellen Strichen den Fall eines Kleides zu skizzieren oder eine Stickerei am Halseinsatz. Und ihr ist es gelungen, das unverkennbar Französische an Chanels Stil einzufangen, die Eleganz, das Besondere. So blättere ich also fröhlich von Seite zu Seite und erfreue mich an den Zeichnungen, qu… so für mich hin und bin glücklich. Manchmal muss es statt gehobener Literatur eben ein Blingbling-Buch für große Mädchen sein.

Ich danke dem Prestel Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Weitere Rezensionen zu diesem Buch findet ihr hier:

Rosie whispers https://rosiewhispers.com/2017/12/06/romeos-geschenkidee-coco-chanel/
Maxis Buchwelt https://maxisbuchwelt.wordpress.com/2017/07/21/coco-chanel-die-zauberhafte-welt-der-stil-ikone-von-megan-hess/
my imperfect life https://fairytalelivres.wordpress.com/2017/06/04/gelesen-coco-chanel-die-zauberhafte-welt-der-stil-ikone-von-megan-hess%e2%99%a5/
Bücherkompass https://buecherkompass.wordpress.com/2017/03/20/coco-chanel-megan-hess/

 

Betörend

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Das Parfum

Patrick Süskind

erschienen 1985 im Diogenes Verlag

ISBN 3-257-22800-7

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Immer wieder wird die Frage gestellt, ob ich eigentlich ein Lieblingsbuch hätte. Und immer wieder muss ich sagen, dass es eine Reihe von Lieblingsbüchern gibt, aber nicht das Eine und Einzige. Süskinds „Das Parfum“ kommt dem jedoch recht nahe. Es muss etwa 1994 gewesen sein, als ich es zum ersten Male las. Ich war zwanzig und gerade in die Welt hinaus gezogen, vorher hatte ich jedoch am heimischen Theater eine Aufführung von „Der Kontrabass“ gesehen, ebenfalls von Süskind, und war mehr als begeistert. Damals hatte ich einen recht knappen finanziellen Rahmen, aber als ich „Das Parfum“ in der Auslage einer Buchhandlung sah, musste es mit. Und ich eine Woche hungern. aber das war es definitiv wert…

Seitdem habe ich den Roman bestimmt fünfzehn Mal oder mehr gelesen und kann mich immer noch begeistern am Sprachfluss und der Handlungsführung. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass alle wirklich großen Romane zeitlos sind? Dass wir in ihnen versinken unabhängig von Entstehungszeit und Moden? Dass ihr Inhalt funktioniert und ihre Charaktere lebendig bleiben auch nach Jahrzehnten?

Und ich bin ja nicht die Einzige, die den Roman liebt: neun (!) Jahre lang stand er auf der Spiegelbestsellerliste, wurde in über fünfzig Sprachen übersetzt und schlußendlich auch verfilmt. Und das trotz des öffentlichkeitsscheuen Autors, der genau ein Interview gab – und dann keines mehr.

Zum Inhalt möchte ich gar nichts sagen. Ich weiß, das gehört sich nicht bei einer Besprechung, aber trotzdem. Die, die es gelesen haben, kennen den Inhalt und die, die es noch nicht gelesen haben, diese Glücklichen, denen das erste Mal noch bevorsteht, die sollten das Buch einfach aufschlagen und beginnen zu lesen:

Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte.“ (…)

Wie gut, dass es nicht bei der eigentlich geplanten Kurzgeschichte geblieben ist…

 

Paris – Eine Kulturgeschichte

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Paris – Lichte Straßen im Abglanz der Zeiten

Markus Spiegelhalder

erschienen 2016 im Provinz Verlag

ISBN 978-88-99444-08-2

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Mit „Paris – Lichte Straßen im Abglanz der Zeiten“ legt Markus Spiegelhalder ein Buch über die Geschichte und Entwicklung von Frankreichs Hauptstadt vor. Vom römischen Lutetia bis zu den Haussmannschen Boulevards, erklärt er die Gründe für Auf- und Umbauten, zeigt er, wie sich Paris scheinbar von innen heraus vergrößert hat. Hilfreich sind dabei die jedem Kapitel vorangestellten Karten, anhand derer man Veränderungen, Stadtgrenzen, markante Gebäude der jeweiligen Epoche sofort erkennen kann. Der Leser erfährt allerhand über die Verknüpfung von Herrscherhaus und Prestigebauten, über Einflüsse durch Kunst und Zeitgeist, über der technischen Entwicklung geschuldete Veränderungen im Stadtbild.

Mit Hilfe der Karten und der Informationen in den einzelnen Kapiteln wäre es wahrscheinlich sogar möglich, sich die Geschichte von Paris zu „erwandern“, sich die markanten Gebäude oder ihre ehemaligen Standorte gezielt den Epochen zugeordnet anzusehen. Das ist zwar zeitraubend, dürfte aber ein äußerst spannendes Unterfangen sein. Auf jeden Fall ist dieses Buch jedoch eine hervorragende Vorbereitung für jeden Parisreisenden, der sich neben den Daten seines Baedeckers einen umfassenden Rundumblick verschaffen möchte.

Zwei Punkte, die mir nicht so gut gefallen haben, möchte ich trotz meiner grundsätzlichen Begeisterung nicht verschweigen: des Autors Schreibstil und die Bildauswahl.  Für ein Buch dieser Art hätte ich mir einen weniger verschnörkelten Stil gewünscht, etwas geradliniger und ohne Bandwurmsätze. Andererseits ist die Begeisterung des Autors für sein Thema mehr als deutlich zu spüren und macht die teilweise etwas antiquierte Wortwahl dadurch wieder wett.

Die Bildauswahl dagegen ist leider zur Gänze mißlungen. Wünschenswert wären Bilder gewesen, die, ähnlich wie die wunderbaren Karten, den Kapitelinhalt unterstützen. Stattdessen haben wir touristische Schnappschüsse zweifelhafter Qualität. Das ist äußerst schade, wären doch passende Bilder eine echte Bereicherung und begleitende Informationsquelle gewesen.

Aber davon sollte sich kein Parisreisender abschrecken lassen. Lesenswert ist Spiegelhalders Kulturgeschichte definitiv. Und nach einem Besuch dieser wunderbaren Stadt hat sicher auch jeder die passenden Bilder im Kopf.

Ich danke dem Autor Markus Spiegelhalder für das Leseexemplar.

Wortgewaltig

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Max

Markus Orths

erschienen 2017 im Carl Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-25649-1

erhältlich u.a. in der Bücherstube

 

„Alles starb hier. Ein loser Vogel floh vor dem Donnern. Keine Krähe, kein Rabe, kein Kakadu: eine Amsel. Max sah ihr nach in die Nacht. Fliegen: fliehen. Stattdessen Granaten, Kanonen, Ducken in den Grabendreck. Jedes Bild ertrank im Jahre 1915. Was ist deine Lieblingsbeschäftigung, Max? – Sehen! Sehen! Sehen! Seine lebenslange Antwort. Doch gab’s nichts mehr zu sehen jetzt. Das Licht lag im Schlamm.“

Max. Sechs Frauen, sechs Lieben, ein Jahrhundert. So bewirbt der Hanser Verlag das neue Werk von Markus Orths. Und deutet damit schon an, welche Mammutaufgabe Orths sich da vorgenommen hat. Nicht irgendein Max ist es, über den er schreibt, nein, es ist Max Ernst, der unangepasste Ausnahmekünstler, der ewig Suchende, Streitbare. Und seine Frauen: Lou Strauß-Ernst, Gala Eluard, Marie-Berthe Aurenche, Leonora Carrington, Peggy Guggenheim, Dorothea Tanning. Sechs Frauen, und doch nur eine Auswahl aus den unzähligen Frauen des Max Ernst.

2.April 1891 – 1.April 1976. Fast ein Jahrhundert. Und welch eine Zeit: geboren im Kaiserreich, zwei Kriege erlebt, aus der wilhelminischen Enge in den Schützengraben, von da nach Paris, das Nazireich, Flucht, entarteter Künstler, gefeiert und wieder fallengelassen in Amerika, Rückkehr nach Frankreich. Ein reiches Leben, ein schweres Leben, ein langes Leben.

Das alles verarbeitet Markus Orths in seinem Buch, größtenteils gesehen durch die Augen der Frauen. Faszinierend , wie es dem Autor gelingt, Max Ernst quasi als Spiegelbild wieder aufleben zu lassen, als jugendlicher Liebhaber bei Lou, als besitzergreifender Teil einer Menage á trois bei Gala und Paul Eluard, als Objekt einer Obsession bei Marie-Berthe, als Teil einer Verschmelzung  bei Leonora, als unwilliges Besitzstück der Peggy Guggenheim und schlußendlich als teilender Partner bei Dorothea.

Jede Frau zeigt uns eine andere Facette an Max Ernst und erst alle Ansichten zusammen ergeben das Gesamtbild. Dabei lässt Orths den Frauen viel Raum, tritt der Künstler teilweise sogar in den Hintergrund, erfahren wir viel über Leben und Leiden seiner Partnerinnen. Auffallend oft sind sie labil, schillernde Falter an der Grenze zum Wahnsinn. Alle sind sie kunstbegeistert, kunstbesessen, Malerinnen, Kritikerinnen, Kunstsammelnde. Auf der Suche nach einer Identität in einer umbrechenden, auseinanderbrechenden Welt.

Künstlerisch ist die Zeit, in der Max Ernst in Paris lebt, die Zeit zwischen den Kriegen, die Zeit, in der ein Großteil des Romans spielt, eine Hochphase: Breton, Eluard, Dali, Picasso. Alle auf der Suche nach neuem Ausdruck, nach Wahrheit im Ausdruck. Alle kriegsgeprägt, bereit alte Werte zu verwerfen. Dadaismus, Surrealismus, Aufbruch, Neufindung – laut, schnell, exzessiv. Alles wird bis zur Neige probiert, Alkohol, Sex, durchzechte Nächte. Nur langsam dringt das Zeitgeschehen in die Künstlergemeinschaft, spät erst erkennen sie die Zeichen der heranbrechenden Nacht. Erst in letzter Sekunde gelingt Max Ernst die Flucht nach Amerika. Er verliert dabei viel: Freunde, seine vielleicht größte Liebe, Teile seines Werks.

Markus Orths schafft es tatsächlich, den Geist dieser Zeit wieder zum Leben zu erwecken; seine Personen sind aus Fleisch und Blut, nicht nur Schattenbilder aus gut recherchierten Quellen. Wortgewaltig, atemlos, bilderreich gibt er den Menschen eine Stimme, lässt er Farben leuchten, erfasst er Zeitströmungen. Selten habe ich nach dem Lesen eines Buches das Gefühl aufzutauchen, Luft schnappen zu müssen. Hier brauchte ich tatsächlich Zeit, habe ich lange noch Bilder vor mir gesehen, Sprachschnipsel im Kopf gehört, Worte hin und her bewegt.

Und darum möchte ich Markus Orths danken, dass er gegen das Vergessen angeschrieben, Max Ernst und seiner Zeit eine so großartige Stimme gegeben und damit den Menschen hinter den Kunstwerken gezeigt hat.

 

Ich danke dem Hanser Verlag und lovelybooks.de für das Rezensionsexemplar.

Hervorragend

Commissaire Le Floch und das Geheimnis der Weissmaentel von Jean-Francois Parot

Commissaire Le Floch & das Geheimnis der Weißmäntel

Jean-Francois Parot

erschienen 2017 im Blessing Verlag

ISBN 978-3-89667-573-6

 

Mit diesem Buch legt der Blessing Verlag den ersten Band einer Reihe vor, die in Frankreich schon seit dem Jahr 2000 erscheint und es inzwischen auf ganze dreizehn Bände gebracht hat. Sogar eine Serien-Verfilmung gibt es. Hoffen wir, dass wir nicht ebenfalls 17 Jahre auf eine synchronisierte Fassung warten müssen. Das wäre wirklich äußerst schade.

Parot, einem studierten Historiker, spezialisiert auf das 18.Jahrhundert, gelingt es nämlich, sein immenses Wissen in eine spannende und sehr lebendige Geschichte zu verpacken, die den Leser mitnimmt auf eine Reise in das Paris von 1761. Ein Paris im Aufbruch, ein Paris, in dem königlicher Glanz und tiefstes Elend nebeneinander wohnen, ein Paris, in dem Mord und Korruption Alltag sind. Dort nun also soll der junge Provinzler Nicolas Le Floch einen Kriminalfall lösen, der von höchster Bedeutung für den König ist. Le Floch, gerade erst, versehen mit einem Empfehlungsschreiben seines Patenonkels, aus der Bretagne nach Paris gereist, weiß zunächst gar nicht, wie ihm geschieht, kennt er sich doch in der großen Stadt keineswegs aus und mit den Gepflogenheiten der Bewohner schon gar nicht.

Mit diesem raffinierten Kunstgriff hat Parot die Möglichkeit, sowohl Le Floch, als auch uns einiges zu erklären und nutzt das auch geschickt. So begleiten wir also den jungen Mann auf seinem Weg und erfahren nebenher, wie das Leben in Paris zur damaligen Zeit aussah und das ganz unaufdringlich, eingebettet in die Erzählung.

Die nimmt schnell an Fahrt auf, denn mit seinen Ermittlungen scheint unser jugendlicher Held in ein Wespennest gestochen zu haben. Und genauso schnell mag man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, das mit 453 Seiten nicht gerade schmal angelegt ist. Zumindest ist es mir so ergangen. Von Mittag bis Mitternacht habe ich durchgelesen, dann war der Fall leider gelöst und ich nur dadurch zu trösten, dass der nächste Band schon im Frühjahr 2018 erscheint und danach hoffentlich noch mindestens elf weitere.

Definitiv auch erwähnenswert ist die Aufmachung des Buches. Der Einband wird beherrscht von einem historischen Stadtplan, der auf der Innenseite die wichtigsten Handlungsorte aufzeigt. So bekommt man ein besseres Gefühl für die zu Fuß oder per Kutsche zurückgelegten Entfernungen. Desweiteren gibt es eine Liste der auftretenden Personen und dazu ergänzend ein Register der historischen Persönlichkeiten, die in diesem Buch von Bedeutung sind. Das ist hochspannend, weil es erkennen lässt, wie präzise Parot seine Geschichte in den historischen Kontext eingefügt hat. Schlussendlich folgt noch ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen, so dass der Leser auf seiner Zeitreise wirklich gut begleitet wird.

Ein gut recherchierter, spannend geschriebener historischer Krimi und gelungener Auftakt zur Reihe – wirklich lesenswert!

Zauberhaft

Das Lavendelzimmer

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erschienen 2013 im Knaur Verlag

ISBN 078-3-426-65268-8

Der Buchhändler Jean Perdu erhält nach etlichen Jahren eine Nachricht einer verlorenen Liebe, die sein ganzes Leben umwirft. Er löst buchstäblich alle Leinen und geht mit einem Hausboot auf die Reise zu sich selbst. So einfach wäre wohl der Inhalt des Buches skizziert. Aber so einfach ist es natürlich nicht, denn Perdu lebt ja nicht im luftleeren Raum. Und gerade das Drumherum ist es, was diesen Roman so zauberhaft macht: die vorbeiziehenden Dörfer, Städchen und Landschaften, die Personen am Wegesrand, die ihn mal länger, mal kürzer begleiten. Da wäre der junge Bestseller-Autor Max Jordan, auf der Flucht vor seinen Fans und mit seiner Schreibblockade hadernd oder Cuneo, der Italiener, der seit Jahrzehnten Frankreichs Kanäle nach seiner großen Liebe absucht, die er einst auf einem Hausboot traf.

Nina George schafft es, auch an schwerer wiegende Lebensthemen heranzugehen ohne den luftig-leichten, fließenden Ton zu verlieren, der dieses Buch ausmacht. So entwickelt die Geschichte ihren eigenen Sog, ihren ganz eigenen Erzählfluss, der den Leser einfach mitnimmt auf die Reise durch Frankreich und Perdus Leben, ihn mitfühlen, mitzittern, mithadern und -weinen lässt.

„Dieser Geschichte wohnt ein unglaublich feiner Zauber inne.“ meint Christine Westermann und beschreibt damit das Gefühl, das auch ich beim Lesen hatte. Das Gefühl, in eine Welt einzutauchen, in der man Schmerz fühlen und auch loslassen darf, in der das Leben intensiver, die Liebe strahlender und Freundschaft etwas Festes und Unvergängliches ist.

Ein nettes Beiwerk sind die angehängten Listen mit Rezepten der Gerichte, die Jeans Reise begleiten und der Bücher, die, als Jean Perdus literarische Notapotheke bezeichnet, bei allerlei Leiden und passenden oder unpassenden Gefühlen helfen sollen.

Auch wenn das Buch schon 2013 erschienen ist, für mich zählt es zu den Leseentdeckungen des Jahres und ich werde es sicherlich nicht nur einmal lesen und genauso sicher auch anderen als Leseempfehlung ans Herz legen.