Die schöne Maria

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Die Bagage
Monika Helfer
erschienen am 01.02.2020 im Hanser Literaturverlag
ISBN 978-3-446-26562-2

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Maria Moosbrugger lebt mit ihrem Mann Josef und den Kindern auf einem Bergbauernhof außerhalb des Dorfes. Der Boden gibt nicht viel her, die Familie ist bitterarm. Josef gelingt es allerdings immer wieder auf undurchsichtigen Wegen für Geld und Nahrung zu sorgen. Bis er 1914 eingezogen wird. Er bittet den Bürgermeister, sich um seine Familie zu kümmern.
Nun ist Maria eine sehr schöne Frau. Und unter sich kümmern verstehen die Männer im Dorfe durchaus etwas anderes als Josef. Es bedarf einer Menge Kniffe und Umwege für Maria sich der Avancen zu erwehren. Schwanger wird sie trotzdem, wohl vom eigenen Mann während eines Heimaturlaubs. Dem kommt aber Getuschel zu Ohren und so wird er dieses Kind zeitlebens ablehnen und ignorieren.
„Dieses Kind“, mit dem der Vater ein Leben lang nicht sprach, durch das er hindurch sah, ist Monika Helfers Mutter. Die Bagage, wie die Familie immer etwas abwertend genannt wurde, ist ihre Familie und Maria somit ihre Großmutter.
Einfühlsam und nicht ohne Humor berichtet sie von Erlebnissen, wie sie wohl einige Kriegsfrauen hätten erzählen können, von Übergriffigkeiten, Einsamkeit, aber auch von aufblitzender Liebe, von Mut und der Kraft, die Familie in Notzeiten durchzubringen.
Monika Helfer schreibt damit über das, was in der heutigen Literatur noch viel zu selten erscheint, eine weibliche Sicht der Geschichte, eine weibliche Sicht auf Krieg und Not. Wieviel Bücher gibt es über Schützengräben, über Kriegsneurosen und Männerabenteuer. Aber wer schreibt schon über die Frauen, die erst den Krieg erlitten haben und dann nach Jahren einen völlig veränderten Ehemann zurück bekommen, einen fremd gewordenen Mann, den sie aber tunlichst hegen und pflegen sollen? Wer schreibt schon darüber, dass weibliche Schönheit oft mehr Fluch als Geschenk ist, die Frauen zu Freiwild macht und ein unbeschwertes Leben verhindert?
Trotz der knappen Form ist hier jedes Wort wohl gewählt. Es braucht keinen 800-Seiten-Wälzer, wenn man so genau weiß, was man erzählen möchte, wie Monika Helfer. Sie hat diese Geschichte wohl schon recht lang mit sich herumgetragen und nun endlich die für sie richtige Form gefunden: die Vergangenheit aus der Gegenwart zu erzählen. Sie berichtet immer wieder, was aus den erwähnten Personen geworden ist, wie Ereignisse Menschen geprägt haben, welche Steine ins Rollen gekommen sind, ohne dass das in dem Moment zu erkennen gewesen wäre.
Ein beeindruckender Roman, ebenso klug wie warmherzig, und ein konsequenter Blick aus weiblicher Sicht. Großartig!

 

Ich danke dem Hanser Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Weitere Besprechungen zu diesem Buch:

Bücheratlas https://buecheratlas.com/2020/02/09/monika-helfer-ueber-die-schoene-maria-moosbrugger-und-ihre-bagage/
Lesen in vollen Zügen https://leseninvollenzuegen.wordpress.com/2020/02/07/review-die-bagage/

Joseph von Hammer-Purgstall

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Der Hammer
Dirk Stermann
erschienen am 17.09.2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-04701-6

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Was für ein Roman! Ich mag die Formulierung „prall gefühlt mit…“ ja nicht so sehr, aber selten passte sie so gut wie hier: prall gefüllt nun also mit Farben, Gerüchen, Träumen und Illusionen, mit Politik, Sprache, Geschichte, mit Joseph Hammer, mit Bildern aus dem Orient und aus den schmutzigsten Gossen Wiens.
1787. Der dreizehnjährige Joseph wird von seinem Vater aus der österreichischen Provinz nach Wien gebracht, um Zögling an der Orientalischen Akademie zu werden. Dort soll er Sprachen lernen. Höchstes Ziel ist es, nach Abschluß der Ausbildung nach Konstantinopel beordert zu werden. Joseph ist genauso talentiert wie ehrgeizig und so sollte seinen Träumen wenig im Weg stehen…
Dirk Stermann ist mit „Der Hammer“ eine großartige Romanbiographie gelungen, an der der echte Joseph von Hammer-Purgstall wohl seine Freude gehabt hätte. Komplett aus der Sicht seines Protagonisten geschrieben, sehen wir von Hammer ein ums andere Mal an der Natur der Menschen scheitern und dabei quasi im Vorbeigehen Großes vollbringen. Der Hammer ist brilliant, aber eben auch unbequem, wenig diplomatisch und von niederer Herkunft, Adelstitel und -sitz kommen erst spät im Leben. Und so ziehen die guten Posten an ihm vorbei, leidet er lautstark unter der Unfähigkeit seiner Vorgesetzten, verkriecht sich zunehmend hinter seinen Büchern und Übersetzungen.
Stermann erweckt die Wiener Gesellschaft zu neuem Leben, lässt die Puppen tanzen, sogar Napoleon höchstselbst hat einen Auftritt, von Metternich darf Gift verspritzen und der König Bälle suchen wie ein gut abgerichteter Apportierhund.
Romane mit geschichtlichem Hintergrund sind kein einfaches Feld. Viel zu häufig werden dabei Menschen mit heutigem Benehmen und Denken in ein historisches Setting gepresst. Heraus kommen austauschbare und blutleere Erzählungen mit ein bisschen aufgemalter Kulisse. Ganz anders ist da dieser Roman: Sprache, Verhalten, Umgebung, alles passt zusammen. Der Erzähler sieht, was Hammer sieht, riecht, was Hammer riecht, wittert mit ihm Ämtermissbrauch und Vetternwirtschaft und läßt den Leser am egozentrischen Weltbild seines Protagonisten teilhaben. Und trotzdem verschmilzt er nicht kritiklos, man spürt schon recht schnell, wo der Hammer schief hängt. Ein wirklich lesenswerter Roman über ein großes Talent und einen Grantler erster Güte, bei dem man sich die Zeit nehmen sollte, ihn Seite für Seite zu genießen.

Ich danke dem Rowohlt Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Fanny

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Die Königin schweigt
Laura Freudenthaler
erschienen am 09.September 2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-71705-7

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Fanny und ihr Bruder wachsen in den 30iger Jahren auf dem elterlichen Hof auf. Der Vater ist sehr streng, das Leben hart. Schon früh müssen die Kinder mit anpacken. Trotzdem darf Fanny später sogar eine weiterführende Schule besuchen, die Kinder sollen es einmal besser haben.
Eine kurze Phase des Glücks erlebt Fanny mit dem Schulmeister des Dorfes. Sie verlieben sich, gehen tanzen, heiraten, bekommen einen Sohn. Fanny ist nun die Schulmeisterin, zuständig für die Mittagsspeisung der Schulkinder, geachtet im ganzen Dorf.
Nebenbei hilft sie weiter auf dem Hof aus. Bis der Bruder im Krieg stirbt, die Eltern den Hof verkaufen.
Ihr Mann stirbt bei einem Autounfall, Fanny ist nun alleinerziehend. Sie verläßt das Dorf, sucht ihr Auskommen in der großen Stadt.
Fannys ganzes Leben läßt Laura Freudenthaler an uns vorbei ziehen. Ein Leben geprägt von harter Arbeit, Unglück, Tod und Schweigen. Denn über Gefühle redet man nicht, das hat Fanny von kleinauf so gelernt. Wenn es gar nicht mehr geht, nimmt man den Strick, ansonsten presst man die Lippen aufeinander und macht den Rücken lang.
Alles zieht so an Fanny vorbei, der Schmerz, die Liebe, Einsamkeit, ohne dass sie es wagt, die Gefühle zu teilen. Nur wenn sie allein ist, kann sie der Gedankenflut nicht Einhalt gebieten, rollt alles über sie hinweg.
Ganz allein treffen wir sie im Alter an, nur eine Enkelin hat sie noch, unerreichbar, irgendwo im Ausland. Ein ganzes diszipliniertes, hartes Leben- und am Ende bleibt davon nichts hängen, am Ende sind die Hände leer und die Räume stumm.
Lakonisch schreibt die Autorin über Fanny, so wortkarg wie ihre Protagonistin. Leid durchzieht das Buch, Trauer, nicht endenwollendes Unglück. Aber Fanny hält durch und dafür gebührt ihr Bewunderung, neben dem Mitleid, das sie nicht wollen würde.
Ein stilles, aber dennoch beeindruckendes Buch über ein nicht ungewöhnliches Frauenschicksal, über eine „einfache“ Frau und ihr dennoch erinnerungswürdiges Schicksal.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

 

Danach

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Die Rückkehr
Ernst Lothar
erschienen am 10. Juni 2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-71794-1

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1949 erschien dieser Roman erstmalig. Und thematisierte etwas, das damals niemand hören oder lesen wollte. In heutiger Zeit, mit einer wiedererstarkenden Rechten, ist „Die Rückkehr“ ein wichtiges Zeitdokument, das Einblick gibt in die direkte Nachkriegszeit.
1938 emigriert die österreichische Bankiersfamilie von Geldern in die USA. Nun, 1946, reist der jüngste Spross des Hauses, Felix von Geldern, mit seiner Großmutter Viktoria nach Wien. Vordergründig um finanzielle Angelegenheiten der Familie zu regeln, eigentlich aber, um seine Heimat wiederzusehen und seine Mutter, die die Ausreise damals verweigert hatte. Sie ist liiert mit einem Nazi-Mitläufer und konnte oder wollte sich nicht trennen. Damit geht ein Riss durch die engste Familie. Viktoria lehnt Felix‘ Mutter wegen ihrer Haltung ab, Felix steht zwischen den Stühlen, denn einerseits liebt er seine Mutter, andererseits teilt er Viktorias Einschätzung.
Felix ist in der Zwischenzeit amerikanischer Staatsbürger geworden, verlobt mit einer jungen Amerikanerin. Er trauert jedoch immer noch um seine Jugendliebe, die im Krieg umgekommen sein soll. Als er sie quicklebendig wiedersieht, überrollt ihn die Tiefe seiner noch vorhandenen Gefühle. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Gertrud um des Vorteils willen eine Affäre mit Goebbels eingegangen ist und nun mit einem Amerikaner liiert ist.
Und das ist der Kern des Romans. Es gibt keine einfachen Einteilungen in schwarz oder weiß im Leben. Gertrud ist Felix‘ große Liebe und er muss erkennen, dass seine Gefühle sich wenig darum scheren, was in der Zwischenzeit geschehen ist. Nun ist dies aber keine kitschige Liebesgeschichte mit Happy End, sondern ein realistischer Nachkriegsroman. Und eine Affäre mit Goebbels kann man nicht einfach aus dem Lebenslauf streichen, genausowenig wie man an die Vergangenheit nahtlos anknüpfen kann. Und so muss Felix erleben, dass der Besuch in seiner alten Heimat zunehmend schwieriger wird und er immer zerissener. Bei jeder Begegnung stellt sich als erstes die Frage, was hat der- oder diejenige im Krieg gemacht, auf welcher Seite stehen die einzelnen Personen.
Felix gehört nirgendwo so wirklich hin. Er ist amerikanischer Staatsbürger, aber eben nicht gebürtig. Also betrachten ihn die Amerikaner bisweilen mit Misstrauen. Er ist kein Österreicher mehr, das nehmen ihm die Landsleute übel. Er hat die Emigrationszeit vergleichsweise angenehm verbracht, das trennt ihn von den Menschen, die in den Lagern leiden mussten. Er bzw seine Familie ist wohlhabend, das ruft bei den ausgebombten und hungernden Wienern Missgunst und Neid hervor. Und den immer noch offen auftretenden Nazis ist er eh ein Dorn im Auge.
Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Roman 1949 nicht gerade begrüßt wurde. Niemand wollte damals eine so harte Beschreibung der vorhandenen Situation lesen. Und vor allem wollte sich wohl kaum einer der Schuld-Frage stellen. Der Krieg war vorbei, nun wurde wieder aufgebaut. An Hunger und Not waren die Besetzer schuld, der Grund für den Krieg schnell vergessen. Die Amis waren doch reich, da hätten sie ja wohl mehr abgeben können, sich mehr kümmern können. Schließlich hatte man sich ja nicht selbst ausgebombt…
Ernst Lothar beschrieb wohl mehr oder weniger, was er selbst erlebt hatte. Er war gelernter Jurist wie seine Figur Felix von Geldern, arbeitete aber später als Theaterkritiker und Intendant des Theaters in der Josefstadt. 1938 flüchtete er in die USA, 1946 kehrte er als Theater- und Musikbeauftragter des US Departments of State zurück. Anders als von Geldern war Lothar Jude, seine Flucht daher nicht freiwillig, sondern lebensnotwendig. Sein Bezug zum Theater fließt wohl in die Figur der Gertrud, einer ehrgeizigen jungen Opernsängerin.
Ein Roman, der zu Recht neu aufgelegt wurde und es verdient gelesen zu werden. Fast würde ich sagen, ein Roman, den jeder lesen sollte, um sich ein Bild zu machen von der damaligen Zeit zum einen und zum anderen, um die Parallelen zur heutigen Zeit zu erkennen, die Verhaltensmuster und Methoden der Nazis und ihrer Mitläufer, die sich nicht einen Deut geändert haben und unfassbarerweise wieder funktionieren, als hätte die Vergangenheit nicht stattgefunden.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

Zeichen & Zeiten https://zeichenundzeiten.com/2018/08/23/fremde-heimat-ernst-lothar-die-rueckkehr/

Wenn Manen mahnen

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Rückwärtswalzer
Vea Kaiser
erschienen am 07.März 2019 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05142-1

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Blut ist eben doch dicker als Wasser und niemand wird zurückgelassen. Zumindest nicht in der Familie Prischinger. Als Lorenz vor der Pleite steht und seine Freundin ihn verläßt, darf er ganz selbstverständlich bei seiner Tante Hedi und ihrem Lebensgefährten Willi einziehen. Seine beiden anderen Tanten Mirl und Wetti gehen dort auch ein und aus. In Notfällen halten die Prischinger eben zusammen. Ein ebensolcher Notfall ist Willis plötzlicher Tod. Denn der gebürtige Montenegriner möchte in seinem Heimatland begraben werden, allein es fehlt das Geld für die Überführung. Und so machen Lorenz und seine Tanten sich mit dem gefrorenen Willi auf dem Beifahrersitz seines Pandas auf den langen Weg nach Montenegro…
Vea Kaiser hat mit „Rückwärtswalzer“ ein gleichermaßen charmantes, witziges und berührendes Buch geschrieben. Leichtfüssig, aber nie seicht, erzählt sie mit Rückblenden vom Leben der Protagonisten von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart und macht damit deutlich, wie sehr unsere Vergangenheit uns prägt bzw. die Erlebnisse der Elterngeneration auf das Werden der Kinder einwirken. Sepp zum Beispiel, Lorenz‘ Vater, hätte sich als Kind Anerkennung für seinen Lerneifer gewünscht und darum überschüttet er seinen Sohn mit Lob, weshalb der wiederum sich für ein verkapptes Genie hält und erst lernen muss, auch auf andere einzugehen. So trägt jeder sein Päckchen und gibt es gewissermaßen unbewußt weiter. Und wird dabei seinerseits beeinflusst von den Taten der Ahnen (im Alten Rom „Manen“ genannt).
Dass man auch bei den engsten Verwandten häufig den größten Teil der prägenden Ereignisse nicht kennt, macht die Sache nicht einfacher. Denn so entstehen im Grunde unnötige Konflikte und Mißverständnisse.
Was hier eher dramatisch klingt, beschreibt Vea Kaiser schwungvoll und mit treffsicherem Humor. Ich habe mit den Schwestern gelacht, geweint, gelitten und gehofft, der Roadtrip möge einen guten Verlauf nehmen und Onkel Willi friedlich in montenegrinischer Erde enden.
Ich kann es nur wiederholen: ein charmanter, leichtfüssiger Roman, dem ich von Herzen viele Leser wünsche! Meine Leseliste jedenfalls ist mal wieder länger geworden, weil ich nun natürlich auch die anderen Romane der Autorin lesen möchte…

Ich danke dem Verlag Kiepenheuer & Witsch herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen zu diesem Roman:

Buchrevier https://buchrevier.com/2019/03/07/vea-kaiser-rueckwaertswalzer/
Andreas Kück Leselust https://andreaskueckleselust.com/2019/03/12/rezension-vea-kaiser-rueckwaertswalzer-oder-die-manen-der-familie-prischinger/