Zerrissen

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Olga
Bernhard Schlink
erschienen am 01.Januar 2018 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-07015-6

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Olga. Olga wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, der Vater ist Schauermann, die Mutter Wäscherin. Die Eltern sterben früh am Fleckfieber und Olga zieht zur ungeliebten Großmutter aufs Land, nach Pommern. Das Mädchen ist intelligent, lernt schnell, findet aber nur schwer Anschluss. Bis sie Herbert kennenlernt, den Sohn des Gutsherren. Die Beiden freunden sich an, gegen alle Widerstände, und werden später auch ein Liebespaar. Olga wird Lehrerin, während Herbert sich in bester Junkermanier zum Kolonialherren entwickelt, durch die Welt reist und Ruhm für Deutschland zu erlangen sucht. Irgendwo in der Arktis verlieren sich dann seine Spuren, Olga bleibt allein zurück.
Soweit der erste Teil des Romans.
Der zweite Teil berichtet von der älteren Olga, bis zu ihrem Tod. Erzählt wird er von einem Icherzähler, einem Jungen, bei dessen Familie sie zunächst als Näherin tätig war und dem sie Großmutter und Freundin zugleich wird. Dieser Junge findet dann auch Briefe, die Olga an Herbert ein Leben lang geschrieben hat und die wir im dritten Teil zu lesen bekommen.
Um Deutschlands Großmachtsträume geht es, um Kolonialismus, um zwei Weltkriege, um ein Leben, dessen Glücksfaden scheinbar immer wieder zerreißt, das immer wieder an der Neigung der Deutschen, zu groß zu denken, scheitert. Zumindest denke ich mir, dass das die Quintessenz des Romans sein soll. Denn seltsam zerrissen ist auch dieses Buch in seinen drei nicht wirklich zueinander passenden Teilen. Wobei alle Teile für sich schlinkgemäß hervorragend geschrieben sind. Trotzdem knirscht es in den Fugen. Der erste Teil mit seiner soghaften Sprache wird ausgebremst durch den zweiten Teil, zu abrupt gerät der Wechsel, der dritte Teil dient der Spurensuche und führt die Fäden zusammen. Der Lesefluss ist dahin, auch wenn jeder Teil für sich neue Erkenntnisse, Perspektivenwechsel und Eindrücke bringt. Vielleicht ist das gewollt, vielleicht soll der formale Rahmen diesem nicht geradlinigen Leben mit seinen vielen Brüchen entsprechen? Dann ist das Konzept aufgegangen. Wie Olga muss der Leser sich immer wieder neu zurechtfinden und wird unterbrochen, wenn er sich bequem eingerichtet hat. Olgas Leben breitet sich puzzleförmig vor uns aus, erst wenn alle drei Teile gelesen sind, ist alles sortiert und am rechten Platz. Geschichtlich gesehen, ist das sehr spannend, zumal Olgas Leben einen weiten Zeitraum umspannt, lesetechnisch ist es etwas bemüht und funktioniert nur deshalb, weil Schlink eben Schlink ist und seine geschliffenen Sätze für sich allein sprechen können.

Weitere Besprechungen:

jo. liest https://joliest.com/2019/02/11/rezension-bernhard-schlink-olga/
the lost art of keeping secrets  https://thelostartofkeepingsecrets.wordpress.com/2018/10/12/olga/

Leben

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Der Beginn
Carl Frode Tiller
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger und Nora Pröfrock
erschienen am 24. Juni 2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-75820-3

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„Ich wartete noch einen Moment, dann zog ich den Wagen auf die Gegenfahrbahn.“

Terje liegt nach einem Suizidversuch im Krankenhaus, seine Lebenszeit ist nur noch knapp bemessen. Er blickt zurück, immer weiter in Richtung Vergangenheit.
Carl Frode Tiller erzählt von einem Leben, in dem es von Anfang an nur wenig Chancen gibt. Terjes Mutter kämpft mit Depressionen und Alkohol, sein Vater verlässt die Familie schon früh. Nicht erkannte und nicht behandelte Depressionen führen wohl auch zu Terjes Selbstmord. Erkennen kann man das aber nur im Nachhinein, im täglichen Überlebenskampf bleibt keine Zeit für solche Schlussfolgerungen.
Stück für Stück folgen wir Terje zurück in seiner Lebensbahn, lesen von der gescheiterten Ehe, dem schlechten Verhältnis zu Mutter und Schwester, erfahren von seinen Gewaltausbrüchen als Teenager und den Überforderungen seiner Kindheit. Vieles bleibt für den Leser im Moment des Lesens undurchsichtig, klärt sich bruchstückhaft erst mit dem nächsten Schritt. Mal liegen nur Tage zwischen den einzelnen Momenten, mal sind es Jahre. Immer ist da aber Terje, schwankend zwischen Aggression und maskenhaftem Lächeln.
Ein düsteres, realistisches Bild zeichnet Tiller in diesem Roman. Zeigt, dass die Wurzeln für einen Suizid ganz weit in der Vergangenheit liegen können, verschüttet durch den Alltag und Phasen des vermeintlichen Glücks.
Mit dem Ende vor Augen, erhalten die einzelnen Szenen eine ganz andere Bedeutung, achtet man auf Anzeichen weitaus mehr als man das hätte tun können, wäre der Roman dem normalen Lebensverlauf gefolgt.
Dass das Konzept überhaupt aufgeht, ist Tillers Schreibstil zu verdanken. Immer geradlinig, mit schwarzem Humor, lässt er den Leser nicht komplett in Düsternis versinken. Er bleibt nah an seinem Protagonisten und ihm gelingt dabei das Kunststück, Terjes Handlungsweisen nachvollziehbar zu machen, selbst bei Gewaltausbrüchen. Trotz der Bruchstücke bleibt ein roter Faden erkennbar. Ein ganzes, kompliziertes Leben so lakonisch in Worte zu fassen, das ist nicht jedem gegeben. Daher verwundert es auch nicht zu lesen, dass Tiller zu Norwegens bedeutendsten Gegenwartsautoren gehört.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Weitere Besprechungen:

letteratura https://letteraturablog.wordpress.com/2019/08/29/das-leben-rueckwaerts-verstehen-carl-frode-tiller-der-beginn/
Esthers Bücher https://esthersbuecher.com/2019/08/26/carl-frode-tiller-der-beginn/

Fünf Frauen

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Die Liebe im Ernstfall
Daniela Krien
erschienen am 27. Februar 2019 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-07053-8

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Über fünf Frauenleben erzählt Daniela Krien in ihrem neuen Roman.
Paula, geschieden und alleinerziehende Buchhändlerin, kann den Tod ihres zweiten Kindes nicht verwinden.
Judith, allein lebende Ärztin, sucht über Datingportale nach dem perfekten Match.
Brida, auch geschieden mit zwei Kindern, Schriftstellerin, möchte ihren Exmann zurück erobern.
Malika, Musiklehrerin, hat ihr Liebesleben auf eine Karte gesetzt und verloren.
Jorinde, Schauspielerin, hat aus Trotz geheiratet und möchte sich nun wieder trennen.

Unter den Buchbloggern wird dieser Roman wirklich bejubelt. Und Daniela Krien schreibt auch tatsächlich phantastisch. Einmal begonnen, mochte ich das Buch nicht mehr zur Seite legen.Die Sprache entwickelt einen eigenen Sog. Und das ist umso verwunderlicher, als der Inhalt mich zunehmend weniger packen konnte.
Fünf Frauen, fünf Leben, alle miteinander irgendwie verwoben, Freundinnen, Rivalinnen, Nachfolgerinnen. Und alle kreiseln sie um Liebe, Partnerschaft, Männer.
Paula verliert sich fast selbst für ihren Mann und seine sehr einseitige Weltsicht. Judith sucht den Einen, möchte dafür aber nichts aufgeben. Brida ist fixiert auf ihren Mann, wie auch Malika, ihre Vorgängerin. Und Jorinde hat es schwer, Beruf und Kinder zu vereinbaren.
Alle Frauen sind an der Liebe gescheitert. Das, was im besten Falle ein Leben lang halten sollte, ist zerbrochen. Hier findet man die starken Teile des Romans, in den Beschreibungen der Frauen und ihrer Versuche, sich wieder ans Licht zu kämpfen.
Wenn es allerdings um die Männer geht, dann strauchelt Daniela Krien. Zumindest für mich.
Da ist Ludger, Paulas Mann, ein Ekel erster Güte. Rechthaberisch, unsensibel, rücksichtslos. Wenzel, Paulas nächste feste Beziehung, dagegen ist die Fürsorge in Person. Und scheinbar braucht Paula einen Mann, damit es ihr besser geht.
Dann Götz, dieser schiere Wundermann. Charismatisch, gut aussehend, zärtlich, treu, familienbezogen. Seltsam nur, dass dieser Märchenprinz rücksichtslos seine Frauen verläßt, sobald sich ein neues Abenteuer anbahnt. Dabei aber problemlos die Neue mit der Alten betrügt, wenn es sich gerade so ergibt. Ist Daniela Krien nicht aufgefallen, wie unsensibel gerade dieser Mann geraten ist? Oder soll das so sein?
Torben, Jorindes Mann, hat den Moment verpasst, wo er hätte erwachsen werden müssen. Er ist wie ein großes Kind, extrem in seinen Ansichten und nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Während die Frauen Personen sind, sind die Männer des Romans Schablonen. Der Selbstgerechte, der Superheld, der Egoist…
Auffallend ist, dass die Männer durchgängig ihre Schritte selbst bestimmen. Es sind die Frauen, die sich anpassen, zurückstecken, aufgeben. Die Männer haben bestimmte Ansichten zum Leben, die Frauen akzeptieren das.
Ganz extrem bei Malika, für die Götz ein wahrer Himmelsbote ist, Garant für ein seliges Leben als Mutter und Ehefrau. Und die nach seinem Weggang ihre Träume aufgibt. Denn noch so ein egozentrisches A…, Verzeihung, so einen wunderbaren Mann wird sie nie wieder finden.
Sind Frauen wirklich so? So abhängig, so unselbständig? Oder so hart, wenn sie denn erfolgreich sind? Und sind wir denn wirklich alle nur darauf erpicht, den richtigen Kerl nach Hause zu tragen, um dann mit Kindern und Haustieren glücklich gen Sonnenuntergang zu schielen?
Schlußendlich verliert sich für mich irgendwann der rote Faden. Die Geschichte beginnt irgendwo und endet nirgendwo. Wir blicken auf einen Lebensausschnitt jeder Frau und … Ende. Das ist mir irgendwie zu wenig.
Der Roman ist hervorragend geschrieben, aber mit der Umsetzung des Themas werde ich leider nicht warm. Da es jedoch allen anderen Leserinnen anders zu gehen scheint, mag das auch an meiner ganz persönlichen Weltsicht liegen.

Ich danke dem Diogenes Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen dieses Romans:

Zeilentänzer https://zeilentaenzer.blog/2019/02/27/die-liebe-im-ernstfall/
Studierenichtdeinleben https://studierenichtdeinleben.wordpress.com/2019/02/28/rezension-die-liebe-im-ernstfall-daniela-krien/
Buchstabenfaengerin https://buchstabenfaengerin.wordpress.com/2019/02/27/frisch-rezensiert-die-liebe-im-ernstfall-von-daniela-krien/
Nacht und Tag https://nachtundtag.blog/2019/02/26/meisterhafte-beschreibungen-der-liebe/