Die Brodie-Clique

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Die Blütezeit der Miss Jean Brodie

Muriel Spark

Aus dem Englischen von Andrea Ott

erschienen 2018 im Diogenes Verlag

ISBN 978-3-257-07008-8

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Dieses 1961 erstmals erschienene Buch ist schlichtweg alterslos. Es ist spritzig, charmant, witzig und auf elegante Weise böse und das alles auf nur 261 Seiten. Selten habe ich ein so perfekt komponiertes Schmuckstück gelesen, mit so vielen Facetten auf so wenig Seiten.
Die Lehrerin Jean Brodie pflegt einen eher unkonventionellen Unterrichtsstil. Sie bevorzugt offen eine Reihe Schülerinnen, die sogenannte Brodie-Clique, die sie durchaus auch privat zum Tee einlädt, sie erzählt lieber Ankedoten aus ihrem Leben als den Unterrichtsstoff durchzuarbeiten, sie beeinflusst und formt die Mädchen ungehemmt und manipuliert sie nach ihren Wünschen. Bisher allerdings konnte die Schulleitung ihr noch kein Fehlverhalten nachweisen. Auch Miss Brodies Privatleben entspricht wenig den Gepflogenheiten ihrer Zeit. Sie liebt den verheirateten Kunstlehrer und beginnt mit dem Musiklehrer ein Verhältnis. Doch ihre Blütezeit nähert sich dem Ende, eingeleitet durch einen Verrat aus ihrem engsten Umkreis.
Man mag sie, die charismatische Miss Brodie mit dem römischen Profil. Und trotz ihrer übergriffigen Manipulationen bedauert man ihren Niedergang. Denn eine gewisse Freiheit des Denkens und Handelns hat sie ihren Schülerinnen durchaus vermittelt. Sie ist eine Art dunkler Mary Poppins, eine Miss Poppins, die ihre Macht hemmungslos ausnutzt und das weniger zum Guten ihrer Zöglinge, denn zum eigenen Vorteil. Fasziniert vom Faschismus und von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt, kommt sie wie ein Wirbelsturm in die Leben ihrer bevorzugten Schülerinnen und formt sie nach ihrem Willen. Die Brodie-Clique wird ein Leben lang, diese Unterrichtsstunden als prägend empfinden.
Muriel Spark wechselt die Zeitebenen so oft wie andere ihre Unterröcke. Sie springt vor und zurück, berichtet den Werdegang der Mädchen, erzählt von ihrer Herkunft und Zukunft – und das völlig unaufgeregt und vor allem ohne Hektik. Jedes Wort ist dort, wo es hingehört, jeder Sprung bringt auch den Leser weiter, ein Juwel der Formulierungskunst. Selbst Sex wird unverklemmt und trotzdem damenhaft abgehandelt, und genau genommen gibt es tatsächlich recht viel davon, erstaunlich viel für einen Roman von 1961. Mich aber hat am meisten beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit die Autorin Autoritätsmissbrauch darstellt,ohne erhobenen Warnfinger aber mit Nachdruck. Denn man mag sie, die Miss Jean Brodie in der Blützeit ihrer Jahre, und das ist das Gefährliche.

Ich danke dem Diogenes Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen dieses Romans:

1001 Bücher https://1001buecher.wordpress.com/2017/07/26/buch-71-muriel-spark-die-bluetezeit-der-miss-jean-brodie/

Theater, das Tor zur Welt

 

Wilhelm Meisters Lehrjahre

Johann Wolfgang Goethe

erschienen 1977 in der Reihe dtv weltliteratur

 

In den letzten Tagen war es recht ruhig auf meinem Blog – und hier präsentiere ich den Grund dafür. Neben dem phantastischen Wetter und der damit einhergehenden Gartenarbeit hat auch der liebe Wilhelm mich vom Schreiben abgehalten. Wenn man nämlich vergißt, dass es sich um Weltliteratur, einen Bildungsroman und hehre Kunst handelt, dann liest man den Prototyp der Soap Opera schlechthin.

Ein junger Kaufmannssohn interessiert sich brennend für das Theater und verliebt sich folgerichtig in eine Schauspielerin. Zerschmettert von ihrer vermeintlichen Untreue, beginnt er im Kontor seines Vaters zu arbeiten, der ihn kurz darauf auf eine Geschäftsreise schickt. Unterwegs trifft Wilhelm erneut auf Schausteller und zieht bald mit ihnen durch die Lande…

Der Roman ist prall gefühlt mit schönen Damen unterschiedlicher Natur, mit Baronen und Grafen, mit höfischer Pracht und Schaustellerelend. Es gibt Kämpfe, Entführungen, Ver- und Entlobungen, einen Harfenspieler und die Turmgesellschaft. Wilhelmen ist gewiss kein Kostverächter und Goethe nimmt kein Blatt vor den Mund.

Über die genaue Interpretation mögen sich die Literaturwissenschaftler die Köpfe heiß reden, die war ja schon zu des Autors Zeiten umstritten, für mich liest sich das Ganze wie ein Schelmen- und Reiseroman mit einer gehörigen Portion Augenzwinkern. Wie sich die Handlung beständig ver- und entwickelt, schon fast vergessene Personen plötzlich den Raum betreten, eine bedeutende Rede halten oder ein Rätsel lösen, und kurz danach auch wieder in der Versenkung verschwinden, das kann einfach nicht durchweg ernst gemeint sein, nein, auch nicht 1795/96. Überhaupt, diese Unmenge an Personal, verteilt über acht Bücher, da hat Goethe mit Sicherheit seinen Spass gehabt. Der Theatermensch gibt tiefen Einblick in die Welt des Schauspiels zu seiner Zeit, den Traum von einem deutschen Nationaltheater, von durchgearbeiteten Interpretationen, aber auch in das Leben weitgehend talentfreier Überlandtruppen, die mühsam sich Essen und Schlafplatz erspielen müssen. Da hat der mit ausreichend Geld versehene Wilhelm bisweilen gut reden, da ist sich jeder selbst der nächste.

Und da es im Roman unter anderem auch um eine Aufführung von Shakespeares „Hamlet“ geht und ja im Moment das Hogarth Shakespeare Project läuft, wo namhafte Schriftsteller Shakespeares Stücke neu interpretieren: eine solche Neuinterpretation von den Lehrjahren könnte auch ein spannendes Unterfangen sein. Womit wir bei der anfangs erwähnten Soap Opera wären, heutige Drehbuchschreiber müssten ihre helle Freude an dieser Vorlage haben, wie es da knistert und munkelt und tuschelt und kungelt, wie die Damen und Herren „Bäumchen, wechsel Dich“ spielen, mal die eine lieben, mal den anderen. Vielleicht würde so ein Projekt auch unseren Klassikern zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen und zu der Feststellung, dass der „olle“ Goethe so verstaubt gar nicht ist…

Geschichten aus dem Dschungelbuch

9783791536057

Das Dschungelbuch

Rudyard Kipling

erschienen 2004 im Cecilie Dressler Verlag

ISBN 3-7915-3605-2

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Ich mag Disney-Filme. Wirklich. Aber ich mag nicht, was sie so manchem Buch angetan haben. Bis zur Unkenntlichkeit verzuckert, kennt kaum noch jemand die ursprüngliche Vorlage. Die Kinderklassiker-Reihe von Dressler verschafft Abhilfe. Man erhält dort nicht nur die Bücherreihe von Pamela L. Travers zu einer überaus strengen Gouvernante namens Mary Poppins, sondern auch Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“. Zwar ist auch dies eine Ausgabe für Kinder, aber sie hält sich weitgehend an Inhalt und Wortlaut des Originals.

Und welch ein Schatz an Geschichten und Liedern ist dort zu entdecken! Natürlich lesen wir von Mowgli, Baloo und Bagheera, aber eben auch von Kotick, einem weißen Robbenmännchen, der sein Leben der Suche nach einem Ort widmet, wo er und seine Artgenossen sicher sind vor dem Zugriff menschlicher Robbenschlächter. Oder von Rikki-tikki-tavi, einem Mungo, der seine Familie vor einem Angriff durch Königskobras schützt. Und von dem Jungen Toomai, der beim Tanz der Elefanten anwesend sein darf. Allen Geschichten gemeinsam ist die Achtung vor dem Wesen und Können der Tiere und die offensichtliche Liebe zur wilden Seite der Natur.

Rudyard Kipling wurde 1865 in Indien geboren und lebte dort bis zum Alter von fünf Jahren. Danach wurde er, wie für die Kinder der in den Kolonien lebenden Engländer üblich, per Schiff nach Großbritannien verfrachtet, um dort zur Schule zu gehen. Der Schock über den Verlust alles Gewohnten, einschließlich der Eltern, muss riesig gewesen sein. Erst mit sechzehn Jahren kehrt er zurück. Bis 1889 bereist er als Zeitungskorrespondent den indischen Subkontinent. „Das Dschungelbuch“ entsteht allerdings wesentlich später erst, nach der Geburt seiner ersten Tochter. 1907 erhält Kipling für sein Gesamtwerk den Literaturnobelpreis. Und dürfte der einzige Preisträger sein, der hauptsächlich bekannt ist für ein Kinderbuch. Vielleicht sollte Disney auch die Werke anderer Preisträger bearbeiten?

Was die Erzählungen und Lieder, man darf sie auf keinen Fall vergessen, die Lieder, die jeder Erzählung zugeordnet sind, so besonders macht, ist der meisterhafte Sprachgebrauch. Die Genauigkeit, mit der alles beschrieben wird, die Stimmungen, die Kipling mühelos hervorruft. Man sieht den Dschungel, die Robbenfelsen, den Elefantentanzplatz, hört das Lärmen der Affen, den Wellenschlag, das Trommeln der Elefantenfüsse, riecht das Feuer, den Geruch von Meer und Salzluft. Er ist ein echter Geschichtenerzähler, einer, dessen Gestalten beim Lesen lebendig werden.

Und so ist es im Grunde gar kein Wunder, dass seine Geschichten um Mowgli, das Menschenkind, das im Dschungel aufwächst und den mächtigen Tiger Shir Khan besiegt, die Vorlage wurden für einen der berühmtesten Disney-Filme. Was ich den Machern des Films allerdings nie verzeihen werde, ist, was sie aus Kaa, der mächtigen und weisen Baumpython gemacht haben. Denn die Achtung, die Kipling seinen Lebewesen entgegen bringt und das Wissen um ihr Wesen und ihre Lebensweise, die findet man im Film nicht mehr. Und darum wird es Zeit, dass das wirkliche Dschungelbuch wieder gelesen wird. Damit nicht nur Mowgli, sondern auch Kotick und Rikki-tikki-tavi unvergessen bleiben.

Viele Köche und kein heißer Brei

9783608981131

Zu viele Köche – Ein Fall für Nero Wolfe

Rex Stout

erschienen 2017 bei Klett-Cotta

ISBN 978-3-608-98113-1

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Seit einiger Zeit scheint sich der Verlag Klett-Cotta alter und teilweise vergessener Krimischätze anzunehmen – und das auf sehr liebevolle Art. So sind in den letzten Jahren zwei Weihnachtskrimis erschienen und die ersten Bände einer Reihe um den Privatermittler Nero Wolfe. Alle Bücher sind in Leinen gebunden und mit einer gut ausgewählten Buchdeckelgestaltung versehen. Außerdem hat man sich um eine angemessene Neuübersetzung gekümmert. Für Freunde des klassischen Kriminalromans eine echte Freude!

Bei „Zu viele Köche“ nun handelt es sich um den zweiten Band der Nero Wolfe-Reihe von Rex Stout. Zwischen 1933 und 1975 verfasste der Autor über 30 Romane mit dem gewichtigen Ermittler im Mittelpunkt. Stout, der politisch sehr aktiv war, nutzte die Wolfe-Fälle gern, um auf weltpolitische Ungereimtheiten und inneramerikanische Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Sollte man sich für den zeitgeschichtlichen Kern dieses Bandes interessieren, empfiehlt es sich, das Nachwort zuerst zu lesen, in dem Tobias Gohlis die politischen Intentionen Stouts sehr schön erläutert.

Nero Wolfe, den älteren Semestern eventuell noch durch die Fernsehserie mit William Conrad aus den Achtzigern des letzten Jahrhunderts bekannt, reist mit seinem Begleiter Archie Goodwin, der gleichzeitig auch der Erzähler der Geschichte ist, zu einer Tagung der fünfzehn berühmtesten Köche der Welt. Dort kommt es, wie sollte es auch anders sein, zu einem Mord. Nero Wolfe sieht sich gezwungen zu ermitteln…

Und wer nun glaubt, jetzt flögen die Fetzen bzw die Tranchiermesser, sieht sich getäuscht. Der durch sein Gewicht nahezu bewegungsunfähige Wolfe erledigt seine Fälle ausschließlich im Kopf und mit Hilfe Archie Goodwins, der gegebenenfalls Beine und Augen ersetzt. Eine sehr gemächliche, aber präzise Art des Ermittelns. Wer allerdings Krimis mit viel Blut und Action bevorzugt, wird hier schier verzweifeln. In weiten Teilen des Buches wird nachgedacht, beobachtet und der Leser hat Zeit, eigene Schlüsse zu ziehen. Das ist aber dank des nie um einen Spruch verlegenen Goodwins und diverser anderer eigentümlicher Persönlichkeiten mitnichten trocken oder gar langweilig. Wer, wie ich, klassische Whodunnits wirklich gerne liest, wird erkennen, wie meisterhaft dieser Fall aufgebaut ist und seine Freude daran haben.

Die Fälle Wolfes sind alle wunderbar einzeln lesbar und bauen nur begrenzt aufeinander auf. Man kann sie also kunterbunt durcheinander lesen ohne den Faden zu verlieren. Dank einiger wiederkehrender Personen, wie Goodwin oder auch Wolfes Koch Fritz Brenner, kennt man sich aber schnell im Wolfe’schen Kosmos aus und fühlt sich zuhause. Ich freue mich schon sehr auf die weiteren Bände der Reihe, die Ende April 2018 mit „Der rote Stier“ fortgeführt wird. Auch dort geht es wieder um Mord und gutes Essen.

 

Ich danke dem Klett-Cotta Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Eine Bootsfahrt, die ist lustig…

Drei Mann in einem Boot Ganz zu schweigen vom Hund von Jerome K Jerome

Drei Mann in einem Boot

Ganz zu schweigen vom Hund!

Jerome K. Jerome

erschienen 2017 bei Manesse

ISBN 978-3-7175-2440-3

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So darf das Neue Jahr gerne starten! Dieses 1889 erstmals erschienene Buch hat über die Jahre nichts an Charme und Frische verloren und ist noch genauso vergnüglich zu lesen, wie es wohl schon vor fast 130 Jahren der Fall war.

Drei überaus vom Leben erschöpfte Männer und ein überaus wasserscheuer Hund unternehmen eine erholsame zwölftägige Bootsfahrt auf der Themse. Das läuft natürlich nicht reibungslos ab: sie werden nass vom Regen und nass vom Fluss, die Nahrungsbeschaffung und -zubereitung stellt sie vor schier unlösbare Probleme und der Frieden an Bord ist auch nur schwer zu halten.

Im Gegensatz zur Themse ist der Humor trocken. Pointiert beschreibt Jerome die Irrungen und Wirrungen der drei Männer, schweift dabei aber auch gerne ab, erzählt von vergangenen Reisen, plaudert über Pubaufenthalte, Arbeitsgewohnheiten, Lebensumstände. Ohne Klamauk, aber durchaus mit slapstickartigen Szenen, bewältigen die vier Helden Schleusen, sperrige Dosen und unwillige Zelte. Der Leser schmunzelt freudig. Und darf das auch, denn hier wird niemand vorgeführt, niemand lächerlich gemacht oder verunglimpft. Der Ton ist immer höflich, der Blick auf die Charaktere liebevoll ironisch. Ein wirklich unbeschwerter Lesespass also und wohl formuliert noch dazu.

Natürlich hat Manesse diesem wunderbaren Büchlein den passenden Rahmen verschafft. Es fängt an mit Einband und Lesebändchen in Bootsfahrer-Blau, geht weiter mit drei Schwimmern in Badeanzügen alten Stils auf dem Umschlag und ja, endet mit Hunden auf dem Vorsatzpapier. Perfekt!

Ein kleines Gesamtkunstwerk: ein wirklich lesenswerter Roman und ein Schmuckstück für das Bücherregal – mehr kann man wirklich nicht verlangen.

 

Ich danke dem Manesse Verlag sehr herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Nach dem dritten Lesen…

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Die Brautprinzessin

William Goldman

erschienen 1977 bei Ernst Klett, nun Klett-Cotta

ISBN 978-3-608-93871-5

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Dies wird eine traurige Rezension. Ich sage es gleich zu Anfang, damit niemand sich später beschwert, er hätte es nicht gewusst. Dreimal habe ich Goldman’s „Brautprinzessin“ nun über die Jahre gelesen: beim ersten Mal wurde es mir vorgelesen von einem Verehrer, beim zweiten Mal las ich es quasi als Erinnerung zum ersten Mal und erst beim dritten Male las ich für mich allein. Und stolperte. Immer wieder.

Aber zunächst zum Inhalt. Ich bin eigentlich keine Klappentextkopiererin, aber dieser ist so bekannt und berühmt, dass er zitiert werden muss, weil anderenfalls etwas fehlt. Daher : „Worum es geht in diesem Buch? – Fechten. Ringkämpfe. Folter. Gift. Wahre Liebe. Haß. Rache. Riesen. Jäger. Böse Menschen. Gute Menschen. Bildschöne Damen. Schlangen. Spinnen. Wilde Tiere jeder Art und in mannigfaltigster Beschreibung. Schmerzen. Tod. Tapfere Männer. Feige Männer. Bärenstarke Männer. Verfolgungsjagden. Entkommen. Lügen. Wahrheiten. Leidenschaften. Wunder. (…)“

Goldman schrieb „Die Brautprinzessin“ als Buch im Buch. Angeblich soll es sich beim Hauptteil um eine gekürzte Fassung des Buches eines S. Morgensterns handeln, mit einer erklärenden Rahmenhandlung Goldmans. Eine schöne Idee. Wirklich. Das ganze Buch ist überhaupt eine wunderbare Idee, wenn, ja, wenn nicht…

Westley liebt Butterblume, die aber Prinz Humperdinck von Florin heiraten soll. Das ist der berühmte rote Faden, um den herum sich alles verwickelt. Goldman hat eine übersprudelnde Phantasie, fröhlich reiht er Abenteuer an Abenteuer. Das Buch ist die Essenz aller Mantel- und Degen-Filme, aller Märchen, aller Liebesschmonzetten. Und man soll/ muss/ darf es ironisch lesen.

Aber, nun kommt es, das große „aber“: auch mit noch so viel Humor kann ich die Tatsache nicht überlächeln, dass mir Goldman schlicht unsympathisch ist. In seiner Rahmenhandlung folgt Seitenhieb auf Seitenhieb gegen seine fiktive Ehefrau, die nämlich – o Graus! – dünn, intelligent und erfolgreich ist. Was man als wahrhaft weibliche Person ja gar nicht sein kann / darf. Da gefällt ihm das vollbusige Sternchen gleich viel besser, das versucht den vermeintlich erfolgreichen Autor „anzugraben“. Sein pummeliger Sohn ist natürlich zeitgleich nicht der hellste, weil ja „dumm und gefräßig“ so gut zusammen passen, nicht wahr? In diesem Tenor zieht der gute Mann über alles her, was fahrlässigerweise seinen Weg kreuzt.

Und das nicht nur in der Rahmenhandlung. Butterblume hat so viel Energie in ihre atemberaubende Schönheit gesteckt, dass leider keine Gehirnzelle mehr Platz fand in ihrem hübschen Köpfchen. Westley dagegen hat Kraft, Intelligenz und Mut für zwei. Natürlich.Und es reicht auch noch, um zusätzlich zwei hilfreiche Haudegen zu lenken, den dicken und dummen ( hatten wir das nicht schon einmal?), aber starken Fezzik und den versoffenen, rachegeleiteten Meisterschwertkämpfer Inigo.

Wir stolpern also von Klischee zu Klischee. Dass das so gewollt ist, ist mir durchaus klar. Aber ist es denn auch wirklich lustig? Eine ferngesteuerte Barbiepuppe trifft auf einen mittelalterlichen Old Shatterhand, drumherum tummeln sich Ko-Helden und Bösewichter, von denen aber keiner dem Haupthelden so richtig das Wasser reichen kann. Das ist die böse Interpretation.

Ganz so böse muss man es nicht auffassen. Das Buch macht ja durchaus Spass, es ist romantisch, es ist heldenhaft, es ist abenteuerlich. Aber hätte ein Funken von Intelligenz denn wirklich das Gebäude um Butterblume zum Einsturz gebracht?  Muss ein Kind wirklich fett und dumm sein, damit es ungern liest? Welchen Sinn und Nutzen hat es, auf denen herumzuhacken, die sich eh schon begrenzt wehren können? Und welches Vorbild gibt man damit?

Ich bin überkritisch? Ich hänge mich an Details auf? Ich muss das wunderbare Ganze betrachten? Das Buch ist ein Kultroman, das muss doch Gründe haben? Vielleicht. Vielleicht sind wir aber nur schon ausreichend gewöhnt an Texte dieser Art, um die Sticheleien zu überlesen. Vielleicht finden wir ja auch, dass Frauen besser hübsch sind als klug. Und dass fette Kinder nervig sind. Vielleicht…

Mir jedenfalls hat es gehörig die Suppe versalzen. Und ich lasse mich eher humorlos schimpfen, als diese Ansammlung von kleinen Gehässigkeiten unkommentiert zu loben. Auch bei einem von Generationen gefeierten Roman. Gerade da.

 

Kostbarkeiten

Die Kostbarkeiten von Poynton von Henry James

Die Kostbarkeiten von Poynton

Henry James

erschienen 2017 bei Manesse

ISBN 978-3-7175-2352-9

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Manesse. Der Name dieses Verlags zaubert fast jedem Buchliebhaber sogleich ein Lächeln ins Gesicht. Manesse, das ist ein Versprechen auf liebevoll und sorgsam aufgemachte Bücher, ein Versprechen auf hochwertige Übersetzungen. So auch in diesem Falle: in elegantem Grau gebunden, mit farblich passendem Lesebändchen und einem Umschlag mit dem Bild einer Lady vor einem edlen Landsitz, kommt das Buch selbst als kleine Kostbarkeit daher. Und die Übersetzung durch den preisgekrönten Nikolaus Stingl hat zur Folge, dass der Inhalt nicht weniger elegant ins Deutsche übertragen wurde. Bei des Autors Vorliebe für verschachtelte Endlossätze mit Sicherheit kein Spaziergang.

„Die Kostbarkeiten von Poynton“, erstmals erschienen 1897, zählt zum Spätwerk Henry James‘. Der Autor, im angelsächsischen Raum ähnlich bekannt wie hierzulande GoetheSchillerLessing, gilt als einer der besten Schriftsteller seiner Zeit, besonders gerühmt für seine präzisen Charakterzeichnungen.

In diesem Roman nun treffen wir auf Adela Gereth, die zusammen mit ihrem verstorbenen Gatten aus ihrem Landsitz Poynton Park ein erlesenes Kunstwerk gemacht hat. Haus und Garten sind gefüllt mit unzähligen Kostbarkeiten, ein ganzes Eheleben lang liebevoll und mühsam gesammelt. Nach viktorianischer Gesetzgebung gehört das Alles nun ihrem Sohn Owen. Der wiederum möchte eine junge Dame heiraten, der es an jeglichem Kunstverständnis mangelt und zusätzlich seine Mutter in einen im Vergleich spartanischen Witwensitz ausquartieren. Das nimmt Mrs Gereth natürlich, trotz rechtlich fehlender Grundlage, nicht so hin. Sie hat mit der armen, aber dennoch gebildeten Fleda Vetch eine passendere Schwiegertochter gefunden, die sie ihrem Sohn schmackhaft machen möchte. Dabei hat sie aber nicht mit der inneren Moral und Schüchternheit ihres Schützlings gerechnet, die selbst den Leser bisweilen zu hochgezogenen Augenbrauen und genervtem Seufzen bringt. Man wünscht Miss Vetch doch einen etwas zupackenderen Charakter, der die für alle Beteiligten beste Lösung hervorbringen könnte. Den jedoch konnte James ihr nicht geben, wäre das Buch doch dann mit einer gefälligen Liebesgeschichte schnell beendet gewesen.

So darf man dem Autor also dabei zusehen, wie er seine Charaktere meisterhaft in moralische und sonstige Verstrickungen stürzt, dabei Wendungen findet, die den Leser überraschen und aus dem vermeintlichen Konzept bringen, und so das viktorianische Zeitalter mit all seinen Ungerechtigkeiten, besonders die Stellung der Frau betreffend, zum Leben erweckt. Immer höchst elegant formuliert wohlgemerkt. Es sind tatsächlich die Frauen, denen das Hauptaugenmerk gilt: Fleda, die gezwungen ist, sich bei Bekannten einzuquartieren, da ihr Vater sie ungern bei sich wohnen haben möchte und die im Grunde nur eine Heirat erlösen könnte; Mrs Gereth, die durch den Tod ihres Gatten alle Rechte am gemeinsam Erschaffenen verliert und vom guten Willen ihres Sohnes abhängig ist; aber auch Mona Brigstock, die ungewollte Verlobte, die froh sein kann, einen so wohlhabenden Verehrer gefunden zu haben und diesen natürlich auch nicht „von der Angel“ lassen möchte. Eher schattenhaft gleiten die männlichen Charaktere durch das Buch, immer vom Vorrang des männlichen Geschlechts überzeugt, auf ihre Rechte pochend, weil sie sie ja nun einmal haben und die armen Frauen ja gar nicht wissen, was gut für sie ist. Und doch sind es meistens die Frauen, die die Fäden in der Hand haben, ständig bemüht es die Herren nicht merken zu lassen. Erstaunlich konzipiert für einen männlichen Schriftsteller dieses Zeitalters. Und ein Punkt, der Henry James so lesenswert macht: die scheinbare Fortschrittlichkeit seiner Ansichten. Dazu kommt die wunderbar durchkomponierte Sprache und der genaue Blick auf seine Charaktere, auf ihre Gedanken, die Gründe ihres Handelns.

Es ist wirlich großartig, die Möglichkeit zu haben, diesen hervorragenden Schriftsteller neu zu entdecken. Dem Verlag und dem Übersetzer dafür einen herzlichen Dank. Für den interessierten Leser: bei Manesse finden sich übrigens noch weitere Werke Henry James‘ in ähnlicher Aufmachung.

 

Ich danke dem Manesse Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Klassischer Weihnachtskrimi

9783608961027

Geheimnis in Weiss

J. Jefferson Farjeon

erschienen 2016 bei Klett-Cotta

ISBN 978-3-608-96102-7

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„Geheimnis in Weiss“ scheint der Auftakt zu einer Reihe mit klassischen Weihnachtskrimis zu sein, die Klett-Cotta in diesem Jahr mit „Geheimnis in Rot“ fortgesetzt hat. Die liebevolle Aufmachung macht beide Bücher zu wunderbaren Weihnachtsgeschenken: Leineneinband mit stimmungsvoller Illustration und einem Lesebändchen. Lesebändchen machen mich glücklich, liegen meine Lesezeichen doch immer da, wo ich gerade nicht bin…

Der Autor diesen Bandes ist eine spannende Wiederentdeckung. J.Jefferson Farjeon war zu seiner Zeit, d.h. in den zwanziger bis vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, durchaus kein Unbekannter. Er verfasste ca sechzig Bücher, wovon eines sogar von Alfred Hitchcock höchstselbst verfilmt wurde.

In diesem Krimi nun bleibt ein Zug in einem Schneesturm stecken. Ein Teil der Reisenden sucht Zuflucht in einem am Wege liegenden Landhaus. Kein Bewohner ist anwesend, und trotzdem brennt der Kamin und der Tisch ist gedeckt. Sogar das Teewasser wurde bereits aufgesetzt. In dieser mysteriösen Umgebung und durch den Schneefall abgeschlossen von der Außenwelt, geschieht ein Mord…

Was nun folgt, ist meisterhaft komponiert. Eine Handlung setzt die nächste in Gang, Personen verschwinden, andere kommen hinzu, die Spannung erhöht sich stetig und über allem liegt lautlos eine immer höher werdende Schneedecke. Für heutige Thrillerleser ungewohnt, fliesst kaum Blut und der Autor lässt seinen Charakteren Zeit zum Grübeln und Gruseln.

Einziger Minuspunkt für mich: das Ganze ist für meinen Geschmack zu kontruiert und hat entschieden zu viele Charaktere, die aus dem Nichts/dem Schneesturm in die Geschichte taumeln. Das schmälert ein wenig das Lesevergnügen, ist aber eventuell auch dem Zeitgeschmack geschuldet. Man darf ja nicht vergessen, dass die englische Originalausgabe bereits 1937 erschien.

Es ist eine überaus gelungene Idee von Klett-Cotta, diesen Klassiker der englischen Krimi-Literatur endlich auch dem deutschen Leser zugänglich zu machen. Hoffentlich wird die Reihe fortgeführt, denn es warten doch bestimmt noch mehr solcher Juwelen auf ihre Wiederentdeckung.

 

Grillparzer

 

Von Zeit zu Zeit finde ich unter meinen Stapeln von Büchern, die ich im Laufe der Jahre gekauft, geschenkt bekommen oder geerbt habe, kleine Schätze, die ich vorher entweder übersehen oder vergessen habe. Gestern war das wieder einmal der Fall.

Gefunden habe ich zwei Novellen von Grillparzer, gebunden wahrscheinlich irgendwann zwischen 1920 und 1940. Die eine, „Das Kloster bei Sendomir“, ist eine gruselige Geschichte über Verrat und enttäuschte Liebe, die andere, „Der arme Spielmann“, eine traurige Geschichte über Betrug und die Liebe zur Musik.

Beide Novellen waren schnell gelesen, leider, denn ich hätte davon durchaus mehr vertragen können und brachten mich zu der Frage, wer genau war denn nun eigentlich dieser Grillparzer? Den Namen kennt man ja durchaus, den Namen, ja – und dann?

Ich habe ein wenig nachgeforscht, was in diesem Falle nicht wirklich schwer war und darf euch nun also vorstellen:

Franz Seraphicus Grillparzer lebte vom 15.Januar 1791 bis zum 21. Januar 1872 und zwar hauptsächlich in Wien. Er war Sohn eines Rechtsanwalts, studierte selber die Rechte und war dann zeitlebens Beamter.

Den schönen Künsten zugetan, beschäftigte er sich schon früh mit der Schriftstellerei und mit Musik. 1817 wurde seine Tragödie „Die Ahnfrau“ am Theater an der Wien uraufgeführt, 1823 verfasste er für Beethoven ein Opernlibretto. Weitere Bühnenstücke folgten, heute noch bekannt sind u.a. „Das goldene Vlies“, „Der Traum ein Leben“ und „Die Jüdin von Toledo“. Sein Gesamtwerk findet man heute im Suhrkamp Verlag , einzelne Stücke auch bei Reclam . Er gilt als Nationaldichter Österreichs, der, zeitweise in Vergessenheit geraten, heute seinen Platz im Kanon eingenommen hat.

Wer sich eingehender mit Herrn Grillparzer beschäftigen möchte, denn meine Vorstellung ist ja nur ein kleiner Einblick, der muß sich ein wenig bemühen. Als ebook sind diverse Biographien zu finden, gebunden leider nur antiquarisch nach meiner Recherche. Ich lasse mich da aber gerne eines besseren belehren.

Ich bin ja immer glücklich, wenn ich auf solche Entdeckungen stoße, speziell, wenn sie dem Theater so nah sind, daher werde ich in der nächsten Zeit bestimmt noch mehr von Grillparzer lesen. Und das kleine Büchlein oben sicherlich auch nicht wieder verlegen oder vergessen…

 

 

Mit leichter Feder geschrieben

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Mavis Doriel Hay

erschienen 2017 bei Klett-Cotta

ISBN 978-3-608-96189-8

Wie schon im letzten Jahr mit „Geheimnis in weiß“, legt Klett – Cotta nun erneut einen Weihnachtskrimi vor: diesmal „Geheimnis in rot“. Beide Bände sind liebevoll aufgemacht, gebunden, mit Lesebändchen und einem weihnachtlich-winterlich gestalteten Cover. Ein tolles Weihnachtsgeschenk für Freunde des klassischen englischen Krimis. Was die Bücher für mich aber umso interessanter macht, ist der Versuch, damit hervorragende Autoren dieses Genres aus dem unverdienten Vergessen zu holen. So wurde ein Roman von J.Jefferson Farjeon, dem Schriftsteller von „Geheimnis in weiß“, tatsächlich von Alfred Hitchcock verfilmt.

Mavis Doriel Hay nun hat nur drei Kriminalromane geschrieben, einer davon, „The Santa Klaus Murderer“, ist jetzt also erstmals auf Deutsch erschienen.

Der Inhalt ist klassisch und daher schnell umrissen: jedes Jahr trifft sich die Familie von Sir Osmond Melbury in Flaxmere, dem Stammhaus der Melburys, zu einem mehr oder weniger fröhlichen Weihnachtsfest. Während dieses Festes jedoch wird Sir Osmond erschossen im Arbeitszimmer vorgefunden. Bei der Suche nach dem Mörder stellt man fest, daß fast jeder der Anwesenden Motiv und Gelegenheit gehabt hätte…

Charmant und mit leichter Feder geschrieben, ist dieser Roman ein kleiner Lesegenuß. Wie in britischen Krimis üblich, wird der Suche nach dem Täter mehr Zeit eingeräumt als der Greueltat selber, die einzelnen Personen und ihre Eigenarten werden schön charakterisiert und auch ein wenig schwarzer Humor darf nicht fehlen.

Mir bleibt nun zweierlei zu hoffen: erstens, dass auch die anderen beiden Romane von Mrs Hay übersetzt und veröffentlicht werden und zweitens, daß Klett-Cotta die „Geheimnis in „-Reihe auch im nächsten Jahr fortführt. Es gibt doch sicherlich noch weitere englische Krimiautoren, die ihrer Neuentdeckung entgegen harren?