Herman Melville

Meistererzählungen
Billy Budd

Herman Melville
Aus dem Amerikanischen von Richard Moering und Günther Steinig
erschienen am 26.Juni 2019 im Diogenes Verlag
Billy Budd ISBN 978-3-257-24490-8
Meistererzählungen ISBN 978-3-257-24496-0

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Am 01. August 2019 wäre Herman Melville 200 Jahre alt geworden. Ein Anlass für mich, ihn neu zu entdecken. Mit etwa vierzehn Jahren habe ich seinen weltberühmten Roman „Moby Dick“ gelesen, damals ein eher traumatisches Leseerlebnis.
Diesmal habe ich mich für Melvilles Erzählungen entschieden, zu denen auch „Billy Budd“ gehört. Ein vorsichtiger Einstieg also, die Romane haben gerne ihre 800 Seiten.

Als drittes von acht Kindern wird Melville am 01. August 1819 in eine verarmende großbürgerliche Familie geboren. Der Vater versucht den Lebensstandard zu erhalten, verschuldet sich dabei jedoch hoffnungslos. Nach seinem frühen Tod versucht Melvlle sich mit allerhand Jobs über Wasser zu halten. Mit 21 Jahren heuert er auf einem Walfänger an, flieht aber beim ersten Zwischenhalt. Die nun folgenden recht abenteuerlichen Jahre führen zu Melvilles erstem Roman 1846 „Typee“. Weitere Werke folgen.
Melvilles Arbeit ist in weiten Teilen, nun, „maritim angehaucht“, man sollte ihn jedoch keineswegs darauf reduzieren. Vier der hier vorliegenden Erzählungen haben mich besonders angesprochen: Billy Budd, Benito Cereno, Bartleby und Der Glockenturm.
In „Billy Budd“ geht es um einen jungen Seemann, der nach einem scheinbaren Mord im Affekt zum Tode verurteilt wird. Die drohende ausbrechende Meuterei verhindert er noch selbst durch seinen letzten Ausspruch. Das Ganze hat mich sehr an die Hornblower-Romane erinnert: strenges, aber gerechtes Reglement auf englischen Kriegsschiffen etc. Ich muss gestehen, es war weniger der Inhalt als vielmehr die Umsetzung, die mich begeistert hat. Der Schreibstil entwickelt definitiv einen eigenen Sog, während der Inhalt mich recht kalt liess. Das liegt aber daran, dass diese ganze „ein Menschenleben für die Disziplin“-Geschichte, die ja oft Inhalt von Kriegsromanen ist, mir immer schon unverständlich war und ist.
Anders dagegen „Benito Cereno“. Der Befehlshaber eines Robbenfängers entdeckt ein gekentertes Sklavenschiff und leitet die Rettung ein. Melville gelingt es durchgängig, eine unterschwellig bedrohliche Stimmung aufzubauen. Der Leser erkennt recht früh, dass etwas nicht stimmt und ahnt auch, was es sein könnte, während der Protagonist im Dunkeln tappt. Nach heutigem Denken ist allerdings die Beschreibung der Sklaven sehr fragwürdig, 1855 dachte man da definitiv anders.
„Bartleby“ hat weitestgehend die Wallstreet als Schauplatz und ist einfach großartige Literatur. Bartleby, der namensgebende Protagonist, beginnt als Gerichtsschreiber in einer Kanzlei. Er ist unauffällig bis zu dem Tag, wo er eine Bitte mit „Ich möchte lieber nicht.“ beantwortet. Die sich daraus entwickelnde Geschichte ist surreal, kafkaesk (lange vor Kafka) und perfekt umgesetzt – ein echtes Juwel.
„Der Glockenturm“ handelt vom Bau eines ebensolchen Turmes, dem Guss der Glocke und einem dämonischen Baumeister. E.T.A. Hoffmann hätte das Thema nicht besser umsetzen können. Sein Coppelius hätte sich auf diesem Glockenturm recht wohl gefühlt.

Es war definitiv sinnvoll, Melville erneut zu lesen. Sein Schreibstil, sein Sprachfluss haben mich begeistert, wenn auch eher bei den weniger meerlastigen Werken. Als nächstes werde ich wohl „Mardi“ lesen,  eine literarische Umsetzung seiner Erlebnisse nach der Flucht von dem Walfänger und Verbindungsglied zwischen „Typee“ und „Moby Dick“.

Ich danke dem Diogenes Verlag herzlich für die zur Verfügung gestellten Leseexemplare.

Ein Juwel

Landpartie von Eduard Keyserling

Landpartie – Gesammelte Erzählungen

Eduard von Keyserling

erschienen 2018 im Manesse Verlag

ISBN 978-3-7175-2476-2

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Es gibt Schriftsteller, deren Werk völlig unverdient aus der Aufmerksamkeit gerät, in irgendeiner Versenkung verschwindet und dort sanft einstaubt. Und manchmal, zum Glück!, wird so ein Schriftsteller mit seinem Werk wieder entdeckt, entstaubt und den Lesern neu vorgestellt. Eduard von Keyserling ist so ein Schriftsteller, einer der eigentlich in die Riege der großen deutschsprachigen Erzähler der Jahrhundertwende gehören sollte, in einem Atemzug genannt mit beispielsweise Fontane oder Storm oder den Manns, Heinrich und Thomas.
Der Manesse Verlag hat nun den 100. Todestag von Keyserlings am 28.September 2018 zum Anlass genommen, einen Band mit gesammelten Erzählungen herauszubringen. Dort sind nun alle auffindbaren Erzählungen und Novellen versammelt, mit Kommentar, Zeittafel, Bildteil und einem Nachwort von Florian Illies. Es wurde scheinbar sehr sorgsam recherchiert, Übersetzungen werden genannt und sogar Verfilmungen. Das ist zum einen informativ und zum anderen schön, wenn man sich noch nicht so wirklich trennen will von diesem Buch und seiner besonderen Stimmung.
Eduard von Keyserling wurde 1855 in ein altes kurländisches Geschlecht geboren und bleibt in seinen Erzählungen in weiten Teilen der Adelswelt verhaftet. Häufig geht es um den jugendlichen Überschwang gegenüber dem gegebenem Regelwerk, um unstatthafte Liebe. Aber selten wurden diese Motive so elegant und melancholisch behandelt, so bar jeden Schmalzes. Und so modern, denn von Keyserling scheut sich nicht gesellschaftliche Problematiken zu bearbeiten, so zum Beispiel die Stellung der Frau, die häufig genug wenig eigenen Willen zugestanden bekommt und im goldenen Käfig lebt.
Obwohl die Erzählungen, wie der Kommentar beweist, zeitlich und örtlich eingeordnet werden können, wirken sie wie aus der Zeit gefallen, erzählen von einer verlorenen Welt. Wobei der Autor durchaus andeutet, warum diese Welt untergeht, untergehen muss. Es ist spannend zu verfolgen, wie die Erzählungen über die Jahre sich verändern, wie es erst um Angehörige des Landadels geht, mit bestimmten Rechten, mit Gütern und Traditionen und wie nach und nach diese Rechte und Güter und Traditionen verloren gehen, so dass der Band mit einem herrischen Bankdirektor endet, der zwar noch ein „von“ im Namen trägt, aber von adeligem Verhalten keine Spur mehr aufzeigt.
Was all diesen Erzählungen gemeinsam ist, das sind die Stimmungen, die von Keyserling mit Worten schaffen konnte. Seine Beschreibungen der Natur, der Gärten, der Jahreszeiten schaffen nicht nur den Rahmen für die Handlung, sondern geben die passende Färbung. Häufig befinden wir uns im Übergang vom Sommer zum Herbst, wenn die Blumen am prächtigsten blühen, aber der nahende Verfall sich schon ankündigt oder im Übergang zwischen Tag und Abend, wenn die Stimmung stiller wird und die Natur durchatmet. Die Abstufungen sind unglaublich fein, manchmal ist es nur die Beschreibung eines Blumenstraußes in den Händen der Heldin, die dem aufmerksamen Leser den Ausgang schon andeutet.
Es gibt Autoren, wo man nach jeder Erzählung eine lange Pause braucht. Hier habe ich geradezu rauschartig gelesen, weshalb im Nachhinein der Band auf mich wirkt wie ein langer Sommer, mit Bienengesumm und Rosenduft, der unwiderruflich beendet wird durch einen Krieg, der weitere Sommer dieser Art für immer unterbindet.
Es bleibt zu hoffen, dass von Keyserling nun ins Gedächtnis der Leser zurückkehrt, denn seine bildreiche und doch schnörkellose Sprache ist in ihrer Feinsinnigkeit schlicht wunderschön.

Ich danke dem Manesse Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Dunkles Geraune

9783455002980

Lichter im Berg

Barbara Aschenwald

erschienen 2018 im Hoffmann und Campe Verlag

ISBN 978-3-455-00298-0

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Wenn man viel liest, und das kann ich von mir durchaus behaupten, bekommt man ein ganz gutes Gespür dafür, welche Bücher interessant sein könnten und welche eher unpassend sind. Man kennt die Verlage, man kann Klappentexte einschätzen, man kennt die eigenen Vorlieben und weiß, welche Grenzen man zu überschreiten bereit ist und welche nicht. Ich zum Beispiel würde unter keinen Umständen blutige Thriller lesen oder allzu genau beschriebene Gemetzelszenen aller Art. Damit mag mir manch gut geschriebenes Buch entgehen, aber das ist dann eben so.
Bei „Lichter im Berg“ hat dieses Gespür komplett versagt. Ich habe das Buch in der Verlagsvorschau entdeckt, mir notiert und war hocherfreut, als ich über die Buchplattform Litnity die Möglichkeit bekam, es zu lesen und zu rezensieren. Es ginge in der Hauptsache um Galtür und seine Bewohner, dachte ich:„Ein Dorf hoch oben in den Bergen. Wenn die Dämmerung kommt, beginnen seine Lichter zu brennen, und ob sie offen leuchten oder verborgen schimmern, Barbara Aschenwald folgt ihnen und findet in ihrem Lichterkreis allerhand Geschichtenstoff“ so heißt es im Klappentext. Damit ist geklärt, was die Autorin inspiriert hat, aber nicht, wohin die Inspiration sie führt – und das genau ist der Punkt, den ich übersehen habe. Und auch der Grund, warum dieses Buch und ich nicht zueinander gefunden haben, denn auf ihren Wegen mochte ich Barbara Aschenwald immer weniger folgen.
Es beginnt schon im ersten Absatz der ersten Erzählung. Sie schreibt vom „letzten, feigen Licht des Tages“ und in mir regt sich Unwillen. Feiges Licht, ernsthaft? Sonnenuntergänge können ja eine Menge Gefühle hervorrufen, aber sie als feige zu bezeichnen, ist mir zu gewollt poetisch. Was genau macht denn feiges Licht aus?
Weiter geht es mit der Tür, die schon im Ortsnamen anklingt, durch die jemand vermeinte zu gehen. Falltür nach Galtür? Ah geh, wie eine Wiener Bekannte nun sagen würde…
Ich habe sie gelesen, Geschichte für Geschichte, und dagegen angekämpft, das Buch zuzuklappen. Es erschien mir nicht richtig, das zu tun, denn jede Geschichte hätte meine Sicht ja drehen können. Dem war leider nicht so.
Schlußendlich finde ich Frau Aschenwalds Stil immer da gelungen, wo sie anscheinend nah an bekannten Menschen und Orten geblieben ist, wo sie Galtürs Lebensarten und Besonderheiten beschrieben hat: nur drei warme Monate, kein Obst gedeiht so hoch oben, es gibt kaum Vögel, und im Winter ist Galtür teilweise ganz abgeschnitten von der Außenwelt. Das ruft einen besonderen Menschenschlag hervor, einen anderen Zusammenhalt. In diesen Geschichten findet sie einen echteren Ton.
In den anderen freilich ist sie mir abwechselnd zu naiv , etwa wenn sie den glücklichen Bergbauern gegen den vom Leben ermüdeten Logistiker stellt; zurück zu Natur und Genügsamkeit, und alles wird gut? – wohl kaum. Manch ein einsamer Bergbauer wird von der weiten Welt geträumt haben, auch Enge kann ersticken. Oder zu oberlehrerhaft, wenn sie da von Irrenanstalten schreibt, die ihre Kranken erst irre machen oder ihren Lebenswillen brechen, von einer Stadt, wo alte und kranke Menschen entsorgt werden. Gesellschaftskritik in dieser Form ist mir zu simpel. Das Leben und die Gesellschaft sind nie „schwarz kontra weiß“, die Guten gegen die Bösen.
Ich glaube, da wollte jemand ganz viel Bedeutung in seinen Texten unterbringen, ganz viel poetische Sprache. Mir wäre durchdachter Inhalt lieber gewesen.So ist es bisweilen unfreiwillig komisch: „Und nun, da er direkt neben der Zypresse stand, hatten die beiden tatsächlich gewisse Ähnlichkeit. Der dunkle Mantel, die schlanke Gestalt, hoch und dünn, nur, dass er nach oben hin an den Schultern erheblich breiter wurde und die Zypresse schmaler.“ Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

 

Ich danke dem Verlag und litnity.com herzlich für das Rezensionsexemplar.