Briefe an den Sohn

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Über die Kunst, ein Gentleman zu sein
Earl of Chesterfield
Aus dem Englischen von Gisbert Haefs
erschienen am 30. September 2019 im Manesse Verlag
ISBN 978-3-7175-2484-7

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Das Besondere am Manesse Verlag ist die Liebe zu den weniger bekannten Klassikern. So erscheint dort eben nicht nur der x-te Jane Austen-Band, sondern zum Beispiel das japanische Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon oder auch ausgewählte Briefe des Earl of Chesterfield an seinen Sohn.
Mit seinen Briefen gedachte der Earl seinen Sohn zu einem Gentleman und Staatsmann nach eigenem Vorbilde zu erziehen. Von 1739 bis 1768 schrieb er fast vierhundert dieser Briefe, an den Fünfjährigen ebenso wie an den über Dreißigjährigen. Es geht um Fragen der Moral, des Benehmens, der Bildung, der Religion, der Politik, schlicht um das gesamte Wissen, das einen Mann von Stand zu dieser Zeit auszeichnete.
Der Earl scheiterte grandios. Der Sohn, auf den er nicht gelinden Druck ausübte, war unehelich, während die offizielle Ehe kinderlos blieb. Alle Mühen der Erziehung, die Hauslehrer, die Reisen, die ausgewählten Kontakte blieben nutzlos, der Sohn wurde weder zum Gentleman, noch entwickelte er nennenswerte Manieren. Zu guter Letzt starb er jung noch vor dem Vater und hinterließ als Überraschung eine Ehefrau und Kinder in Frankreich.

„Mein Ziel ist es, Dich für das Leben tauglich zu sehen; solltest Du dies nicht sein, habe ich nicht den Wunsch, dass Du überhaupt lebst. Meine Zuneigung zu Dir ist – und wird es immer nur sein- proportional zu Deinen Verdiensten; dies ist die einzige Zuneigung, die ein rationales Wesen für ein anderes empfinden sollte.“

Unter diesen Umständen zu einem charmanten Mann von Welt heranzuwachsen, dürfte ein schwieriges Unterfangen sein. Warum sollte man diesem gescheiterten Erziehungsprojekt also weiterhin Aufmerksamkeit schenken?
Weil es darin eben hauptsächlich um die Ausbildung eines angenehmen (gentle) Wesens geht. Und das ist in der heutigen Zeit genauso von Vorteil wie damals. Es geht darum, seine Arbeit konzentriert zu erledigen, darum, in Gesellschaft eher zuzuhören als sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, es geht um Höflichkeit, um Anstand, um Strebsamkeit und Disziplin. Man kann die Briefe nicht eins zu eins auf unsere heutigen Lebensumstände übertragen, man kann aber sehr wohl Anregungen aus ihnen ziehen, sogar im Umgang mit den sozialen Medien:

„Aber dies will ich Dir raten: niemals ganze Gruppen gleich welcher Art anzugreifen, denn abgesehen davon, dass sämtliche allgemeinen Regeln ihre Ausnahmen haben, machst Du Dir ohne Not eine große Menge Feinde, indem Du ein Corps insgesamt attackierst.“

Natürlich sind die Briefe im Geiste ihrer Zeit zu lesen, so macht es z.B. wenig Sinn, dem Earl Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, er spiegelt lediglich die Ansichten seiner Zeit. Aber seine Anregungen kann man geschlechterunspezifisch umsetzen: selbständig denken, nicht ungeprüft andererleuts Meinung übernehmen, Menschen nicht unnötig verbal verletzen und über unbedeutende Eigentümlichkeiten hinwegsehen, aber wenn nötig auch für die eigene Meinung einstehen. Ein solches Benehmen würde auch heutige Konversationen häufig vereinfachen. Und es spricht nun wahrlich nichts dagegen, sich als von angenehmem Wesen zu erweisen, oder?

Ich danke dem Manesse Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

AstroLibrium widmet dem Buch ein ganzes Projekt: https://astrolibrium.wordpress.com/projekte/das-gentleman-projekt/

Teatime

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Tea and Cake
Illustriert von Emma Block
aus dem Englischen von Lisa Voges
erschienen 2013 im Bassermann Verlag
ISBN 978-3-572-08102-8

 

Ich möchte euch diesen herrlichen Flohmarktsfund nicht vorenthalten, ein Buch mit klassischen Rezepten für den englischen Vier-Uhr-Tee.
Ein wirklich entzückender Band, zum einen, weil er einfach alles enthält, was man für eine Teatime brauchen könnte, plus noch unzählige Vorschläge auf die man selbst nicht gekommen wäre, zum anderen, weil er von Emma Block liebevoll illustriert wurde. Wer hätte gedacht, dass jemand Zwiebeltarteletts so anregend zeichnen kann, dass man am liebsten gleich in die Küche stürzen würde um mindestens ein halbes Dutzend zu produzieren?
Es gibt Tipps zur Teestärke, zur Planung und natürlich Rezepte. Für die obligatorischen Gurkensandwiches, für süße und herzhafte Scones, für Erdbeer-Shortcakes, Baisers, Cupcakes, Macarons und für die Damen und Herren, die ihrem Tee lieber Hochprozentigeres als Milch zufügen.
Da wir ab Herbst tatsächlich nachmittags eine kleine Aufwärmpause mit Tee einlegen, speziell nach der Gartenarbeit oder langen Hundespaziergängen, werde ich mich in den kommenden Monaten fröhlich durch das Buch backen. Und da unsere Tage derzeit recht prall gefüllt sind, wird man mich dann wohl nachts in der Küche finden.
Herzlichen Dank also an die unbekannte Alina, die unverständlicherweise ihr Geburtstagsgeschenk in einer Flohmarktkiste landen ließ und zwar sichtbar unbenutzt. Und einen ebenso herzlichen Gruß an die unbekannten Schenkenden. Das Buch wird nun den verdienten Ehrenplatz im Koch- und Backbuchregal bekommen.
Wer nun auch Interesse hat: ich fürchte „Tea and „Cake“ ist nur noch antiquarisch erhältlich. Im Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher wird man allerdings fündig: www.zvab.de

Pamela Mitford

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Die Schwestern von Mitford Manor – Gefährliches Spiel
Jessica Fellowes
Aus dem Englischen von Andrea Brandl
erschienen am 02.September 2019 im Pendo Verlag
ISBN 978-3-86612-453-0

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Auf sechs Bände ist diese Krimireihe ausgelegt. Sechs Bände, weil es sechs Mitford-Schwestern gibt. Die Mitfords sind eine englische Adelsfamilie, die in den Zwanzigern bis Vierzigern des letzten Jahrhunderts von sich reden machten. Die Schwestern waren ebenso hübsch wie unangepasst. Man sprach von Diana der Faschistin, Jessica der Kommunistin, Unity der Hitler-Verehrerin, Nancy der Schriftstellerin, Deborah der Duchess und Pamela der farblosen Geflügelbratenliebhaberin.
Band 1 beschäftigte sich mit der ältesten Schwester, Nancy, die tatsächlich eine Karriere als Schriftstellerin machte. In Band 2 nun geht es um Pamela, die Bodenständigste der Schwestern. Sie scheint sich hauptsächlich mit Pferden und Kochen beschäftigt zu haben und Skandalen weitestmöglich aus dem Weg gegangen zu sein.
Jessica Fellowes verknüpft das Leben jeder Schwester mit einem erfundenen Mord, d. h. sie mischt Biographisches mit Erfundenem. Im ersten Band ist ihr das sehr charmant gelungen, Band 2 dagegen ist leider eher verworren und langatmig.
An Pamelas 18. Geburtstag stürzt einer der Gäste vom Kirchturm in den Tod. Des Mordes verdächtigt wird ein Dienstmädchen. Das aus dem ersten Band schon bekannte Kindermädchen Louisa Cannon beginnt zu ermitteln. Zu Hilfe kommt ihr dabei wieder der Polizist Guy Sullivan. Wir folgen Louisa nun vom beschaulichen Mitford Manor ins trubelige London der Roaring Twenties mit der schillernden Meisterdiebin Alice Diamond im Mittelpunkt. Jessica Fellowes hat erneut hervorragend recherchiert, aber diesmal hapert es in der Umsetzung. Die Charaktere bleiben blass, die Story ist begrenzt glaubwürdig. Selbst das Prickeln zwischen Louisa und Guy entfällt weitestgehend. Da hilft auch eine Konkurrentin in Form von Guys Kollegin Mary Moon nicht.
Die Protagonisten scheinen stets gehetzt unterwegs zu sein, von Party zu Party, von Club zu Club, auf den Straßen Londons. Und Louisa hat für eine Angestellte erstaunliche Möglichkeiten und Freiheiten. Sie scheint ihren Dienstplan beständig ungestraft umstürzen zu dürfen und tummelt sich in der Großstadt, wenn sie eigentlich auf dem Lande Kinder hüten sollte.
Alles in allem ist Band 2 solide Krimikost mit Downton Abbey-Flair, dabei etwas uninspiriert. Vermutlich konnte die Autorin mit der lieben Pamela wenig anfangen. Daher bin ich tatsächlich gespannt auf die nächsten beiden Bände, die mit der Faschistengattin Diana und dem Hitler-Fangirl Unity etwas schillernderes Personal aufzuweisen haben.

Ich danke dem Piper Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

 

Dame Edith Sitwell

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Die Dame hinter dem Vorhang
Veronika Peters
erschienen am 23. September 2019 im Wunderraum Verlag
ISBN 978-3-336-54808-8

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Die Bücher des Wunderraum Verlags sind eigentlich alle hübsch. Es sind sozusagen Wohlfühlbücher für Leseratten. Fest gebunden mit Lesebändchen, einem zum Thema passenden Cover und Vorsatzband, das lässt Augen leuchten.
Noch mehr Glanz bekamen meine Augen allerdings bei diesem Roman beim Lesen des Klappentextes. Es geht um Dame Edith Sitwell, eine der größten britischen Schriftstellerinnen ihrer Zeit, exzentrisch, spitzzüngig, eine Ikone.
Geboren 1887 auf Renishaw, einem Herrenhaus in Yorkshire, als Tochter eines Baronet, wächst sie in gesicherten, aber lieblosen Verhältnissen auf. Von der Mutter ob mangelnder Schönheit verachtet, vom Vater wegen ihres freien Geistes kritisiert, blüht sie erst mit 25 Jahren nach einem Umzug nach London auf, wo sie sich mit ihrer Gouvernante eine Wohnung teilt. Sie bekommt Kontakt zu anderen Künstlern, veröffentlicht erste Arbeiten. Es folgen Ruhm und Anfeindungen, ein wechselvolles Leben, das 1964 endet.
Diesem Weg folgt auch der Roman, aber aus Sicht einer fiktiven Bediensteten, einer Art Kammerzofe. Eigentlich keine schlechte Wahl, denn näher hätte kaum eine Person der privaten Edith Sitwell kommen können. Eigentlich deshalb, weil das Buch selbst leider einer Edith Sitwell wenig gerecht wird. Das hat sie wahrlich nicht verdient, Bestandteil eines seichten Downton Abbey-Abklatsches zu werden. Und eine derart naive, aber von sich eingenommene Person wie diese Jane Bannister hätte sie wohl auch kaum zu ihrer Vertrauten gemacht.
Warum ist das eigentlich so, dass „Literatur für Frauen“ so häufig hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt und sich lieber mit der xten Beschreibung einer Perlenkette abgibt? Es ist ja logisch, dass ein Dienstmädchen damaliger Zeit keine hohe Literatur schreibt, aber muss das Ganze denn so platt klingen, so vorhersehbar, so austauschbar? Der Roman hangelt sich am Leben der Protagonistin entlang, kein Charakter ist ausgearbeitet, vielmehr besteht er aus name dropping und dazu passenden Anekdötchen. Tiefgang? Fehlanzeige.
Dabei wäre das Potential ja da gewesen. Wie geht es einer Bediensteten mit einer so ungewöhnlichen Herrin? Wie geht sie damit um, einerseits berühmte Künstler kennenzulernen und andererseits jederzeit Tee servieren zu müssen? Wie ist es, ein Leben lang nur am Rand zu stehen und dem Getümmel zuzusehen?
Schlußendlich ist Jane nur das Vehikel, um über Dame Edith Sitwells Leben zu plaudern. Das ist mir persönlich einfach zu wenig. Zumal da jede Biographie aufschlußreicher ist.

Ich danke dem Wunderraum Verlag für das zur Verfügung gestellte Lesexemplar.

 

 

Hinter der Maske

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Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
Stuart Turton
Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
erschienen am 24. August 2019 im Tropen Verlag
ISBN 978-3-608-50421-7

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„Agatha Christie meets Und täglich grüßt das Murmeltier“, so steht es auf der Buchrückseite. „Ein teuflisch spannender Kriminalroman.“ meint die Times dazu. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an das Debüt des Reisejournalisten Stuart Turton.
Der Inhalt ist kompliziert, so kompliziert, dass eine Kurzbeschreibung schwierig ist, will man nicht zuviel verraten. Und das will ich definitiv nicht, sollen doch meine Nachfolger unter ähnlich vor Spannung abgekauten Fingernägeln leiden wie ich.
Irgendwo im Wald, meilenweit vom nächsten Dorf entfernt, liegt das Anwesen der Hardcastles. Die Familie wohnt dort schon lange nicht mehr. Das Haus ist eine Ruine, bewohnbar gemacht nur für ein Ereignis: einen Maskenball. Auf dem Höhepunkt des Festes begeht die Tochter des Hauses, Evelyn Hardcastle, scheinbar einen Selbstmord. Die Besonderheit: der Tag wiederholt sich so oft in Endlosschleife, bis jemand die tatsächlichen Geschehnisse darlegen kann.
Auf den ersten Blick ein klassischer britischer Landhauskrimi, -ein von der Welt abgeschlossenes Gelände, eine begrenzte Anzahl Gäste, ein durch Kombinationsgabe zu lösendes Vergehen – , erhöht Turton mit dem Zeitschleifendreh die Spannung ins Unendliche. Jeder Tag beginnt anders, die Karten müssen quasi neu gemischt werden, nur das Grundgerüst verläuft gleich. Der Leser hetzt mit dem Autor Beweismittel suchend durch den Text, muss Finten erkennen und um das Leben einiger Ballgäste fürchten, während die Zeit von Seite zu Seite abläuft.
Meine Familie musste zwei Tage mit den Buchdeckeln kommunizieren, weil es mir wirklich extrem schwer gefallen ist, Pausen einzulegen. So bin ich tatsächlich in kürzester Zeit durch die 604 Seiten gerauscht und habe mir dabei mehrfach selbst auf die Finger geklopft, um nicht auf die letzten Seiten zu schauen.
Einziger Wermutstropfen: das Ende mit der abschließenden Auflösung des gesamten Geschehens war mir zu weit hergeholt. Ich hatte mich schon während des Lesens danach gefragt und war dann ein wenig enttäuscht. Aber niemand sollte sich davon nun vom Lesen abhalten lassen! Turton ist es wirklich gelungen, den Whodunit in die Gegenwart zu holen, den Staub abzuklopfen und einen unerwartet großartigen Dreh einzuführen, der es ihm erlaubt, fast jeden Ermittlertypus auftreten zu lassen. Und , aber das ist nur eine Vermutung meinerseits, die auch keineswegs stimmen mag, wir treffen auf alte Bekannte im neuen Kleid: Sherlock Holmes, Nero Wolfe, Philip Marlowe. Da ich nicht alle entschlüsseln konnte, kann das jedoch auch schlicht meine blühende Phantasie sein. Passen würde es allerdings zu diesem ausgeklügelten Werk allemal.
Ein abschließender Tipp: man nehme sich Zeit und Ruhe zum Lesen, nebenher laufen lassen kann man diesen komplexen Roman definitiv nicht.

Ich danke dem Tropen Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

Leselust Andreas Kück https://andreaskueckleselust.com/2019/08/25/rezension-stuart-turton-die-sieben-tode-der-evelyn-hardcastle/

Landhaus-Krimi

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Dreizehn Gäste
J. Jefferson Farjeon
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
erschienen am 23. März 2019 im Klett-Cotta Verlag
ISBN 978-3-608-96392-2

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Ein verregneter Sonntag, keinerlei Verpflichtungen, der Regen prasselt gegen die Scheiben, auf der Couch mit Wolldecke, der Tee dampft, links ein Hund und rechts ein Hund, in der Hand ein klassischer britischer Krimi- das kommt dem Paradies schon recht nahe…
Und darum freut es mich ganz außerordentlich, dass der Klett-Cotta Verlag seit geraumer Zeit wunderschöne leinengebundene britische Krimis veröffentlicht, von mal mehr mal weniger bekannten Autoren.
Diesmal handelt es sich um einen Landhaus-Krimi von J. Jefferson Farjeon, erstmals erschienen 1936. Farjeon war ursprünglich kein Unbekannter in der Krimiwelt, eines seiner Bücher wurde sogar von Hitchcock verfilmt, ist aber inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten. Seine Plots sind oft recht verwickelt, ein klitzekleines bißchen zu konstruiert und die Charaktere dadurch ein wenig blass. Das wird aber aufgehoben durch den Spannungsbogen und die überraschenden Auflösungen.
So auch diesmal. „Dreizehn Gäste“ ist wie ein Ausflug nach Downton Abbey mit Mord zum Dinner. Wir befinden uns auf Bragley Court, dem Anwesen Lord Avelings. Selbiger hat zwölf Gäste zu einer Party eingeladen, durch einen Zufall werden es dreizehn. Eine Unglückszahl! Prompt kommt kurze Zeit später ein Gast ums Leben.
Der Ablauf ist ganz klassisch: als Mörder in Frage kommen nur Hausbewohner, Gäste und Personal. Der Gärtner ist es nicht, so viel verrate ich gerne. Aber gut behütet auf dem Sofa ist es ein Genuss, den Mörder mit zu entlarven, zumal auf detailgetreue Schilderungen etwaiger Verletzungen verzichtet wird. Für mich ist genau das auch der Reiz an diesen Romanen. Es ist mehr eine literarische Form von Sudoku, verlockt zum Kombinieren und Mitraten, und weniger Gemetzel mit ein bißchen Handlung dazwischen.
Wer sich also für derartige Lektüre ähnlich begeistern kann wie ich, der möge einen Blick zu Klett-Cotta werfen und wird dort bestimmt fündig.

Weitere Besprechungen:

KrimiLese https://krimilese.wordpress.com/2019/07/26/j-jefferson-farjeon-dreizehn-gaeste/
Andreas Kück https://andreaskueckleselust.com/2019/04/17/rezension-j-jefferson-farjeon-dreizehn-gaeste/
Buchkenner https://buchkenner.wordpress.com/2019/04/27/dreizehn-gaeste-j-jefferson-farjeon/

Agentenroman

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Kriegslicht
Michael Ondaatje
Aus dem Englischen von Anna Leube
erschienen am 11.August 2018 im Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-25999-7

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Ondaatje gehört für mich zu diesen Schriftstellern, die über Tütensuppen schreiben könnten und ich wäre immer noch begeistert.
Sein neuer Roman „Kriegslicht“ ist nicht zwingend an allen Stellen plausibel, manches erscheint arg überzeichnet, aber Ondaatjes Stil und seine besonderen Charaktere machen auch diesen Roman für mich zum Meisterwerk.
London, 1945. Unter mysteriösen Umständen werden Nathaniel und seine Schwester von den Eltern verlassen. Eine berufliche Reise entpuppt sich als Lüge, die Eltern bleiben spurlos verschwunden. Allerdings nicht ohne völlig fremden Personen die Aufsicht über ihre Kinder übertragen zu haben. Personen mit Namen wie „Der Falter“ oder „Der Boxer“.
Ondaatje beschäftigt sich hier mit den Auswirkungen englischer Spionageaufträge auf die Mitarbeiter. Mit Rache für Kriegsverbrechen. Mit fehlendem Schutz für Familienmitglieder. Stück für Stück gelingt es Nathaniel, die Vergangenheit seiner Mutter aufzudecken, ein Puzzle, bei dem die meisten Teile fehlen. Und er muss erkennen, dass seine Schwester keineswegs seine Erinnerungen teilt, sondern ganz eigene Vorstellungen davon hat, was damals passiert ist.
Ein literarischer Spionage-Roman also, sehr britisch und mit einem Sog, der mich nur ungern Lesepausen einlegen liess.
Ich weiß, dass die Geister sich an diesem Buch scheiden. Einige finden es komplett unrealistisch, andere wiederum, wie ich, lieben den Erzählstil, das Ondaatjesche „Flair“. Ich kenne mich zu wenig mit Wahrscheinlichkeiten im Leben von Spionen aus, um entscheiden zu können, ob die Geschichte so überhaupt hätte passieren können. Muss sie nämlich auch nicht, die Freiheit hat Literatur. Mir ist allerdings meistens wichtig, dass Charaktere in sich schlüssig aufgebaut sind, in ihren Handlungen glaubhaft sind. Und ich zumindest konnte den Verlauf nachvollziehen.
Daher: ein weiterer Roman des großartigen Schriftstellers, spannend, poetisch, gekonnt.

Weitere Besprechungen:

Esthers Bücher https://esthersbuecher.com/2019/05/04/michael-ondaatje-kriegslicht/
letteratura https://letteraturablog.wordpress.com/2018/08/26/verstehen-was-geschah-michael-ondaatje-kriegslicht-2/
Exlibris https://exlibris-jmalula.com/2018/09/14/kriegslicht/

Liebe, Kunst und Ringelreihen

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Die Sparsholt-Affäre
Alan Hollinghurst
Aus dem Englischen von Thomas Stegers
erschienen am 11.März 2019 im Blessing Verlag
ISBN 978-3-89667-626-9

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Ich springe ausnahmsweise einmal gleich ohne Umschweife in das Thema: Wandlungen in der englischen Gesellschaft von 1940 bis zur Gegenwart, dargestellt anhand des Umgangs mit Homosexualität. Was klingt wie eine trockene Abhandlung, ist stattdessen ein geistreicher, charmanter und absolut lesenswerter Roman.
Zunächst befinden wir uns im Oxford der Kriegsjahre. Freddie Green berichtet von der Liebe seines guten Freundes Evert Dax zu einem Mitstudenten namens David Sparsholt. Dessen Ausrichtung ist unklar, immerhin ist er verlobt und direkte Nachfragen sind aufgrund der Gesetzeslage nicht ungefährlich. Schließlich galt Homosexualität damals als strafbares Delikt.
Was auch immer in Oxford damals geschah, David wird Vater eines Sohnes, Johnny. Und dessen Lebensweg ist der rote Faden des Romans. Wir lesen über die erste Verliebtheit in einen französischen Austauschschüler, erleben, wie der Wunsch wächst, Künstler zu werden, wie Johnny über Umwege Vater einer Tochter wird und versucht, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Überschattet wird dieser Versuch allerdings von einem Skandal rund um seinen Vater, der dessen Leben und Ehe zerstört und auch den Sohn stark beeinflusst.
Ein sprachlich hervorragender Roman, der feinfühlig mit einem schwierigen Thema umgeht. Was macht es mit einem Menschen, wenn die Hälfte seines Lebens im Verborgenen stattfinden muss, wenn Gesellschaft und nahe Umgebung die Neigungen, die man ja nicht beeinflussen kann, nicht akzeptieren, schlimmer noch verachten? Welche Veränderungen sind möglich, wenn Liebe nicht mehr strafbar ist und verhältnismäßig offen gelebt werden darf?
Der Roman hat eine besondere Ausstrahlung, die ich nur schwer beschreiben kann. Vielleicht ist es die auch heute noch seltene Selbstverständlichkeit, mit der über gleichgeschlechtliche Liebe gesprochen wird. Die sich ja nicht unterscheidet von der gesellschaftlich anerkannten Form.
Vielleicht sind es aber auch die Charaktere, die britische Kultiviertheit und der Schreibstil, „geistreich“ laut Klappentext, „geistreich, berührend und brillant“. Und besser kann man es eigentlich auch gar nicht zusammenfassen.

Ich danke dem Blessing Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Arg betulich

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Mord auf Selchester Castle
Elizabeth Edmondson
Aus dem Englischen von Peter Beyer
erschienen am 18.02.2019 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-48824-7

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Ich habe ja nun schon diverse Male erwähnt, dass ich gerne britische Krimis lese. Bei mir muss es durchaus nicht blutig sein, solange das Buch charmant, gerne ein wenig verschroben, aber logisch aufgebaut ist. Eben passend zu Kamin, Gummistiefeln und Hochmoor. Oder Scones, Tee und Hochadel. Ich scheue da kein Klischee…
Der Vorgänger dieses Romans, „Der Tote in der Kapelle“, entsprach dem weitestgehend. Schauplatz ist eine alte Burg und das dazugehörige Dorf. Es gibt ein ansprechendes Ermittlerduo, eine Teestube, einen Buchladen und einen verschwundenen Earl. Wunderbar zum Schmökern und Entspannen.
Der zweite Band nun baut auf dem ersten auf. Wobei das schon fast übertrieben formuliert ist. Sagen wir besser, der zweite Band spielt im gleichen Setting. Allerdings gibt es kaum Besuche im Dorf und somit auch keine putzigen Dorfbewohner, fehlt das Knistern zwischen den beiden Hauptpersonen Hugo und Freya zur Gänze, wirkt es ein wenig so, als wären der Autorin die Ideen ausgegangen. Kurz, die Handlung stagniert. Zwar wurde ein Nachfolge-Earl aus dem Hut gezaubert, ein Amerikaner gar, aber das Potential, das ein waschechter Amerikaner im traditionell-dörflichen Britannien geboten hätte, das wurde nicht andeutungsweise ausgeschöpft. Man überlege sich nur, welche schönen Szenen sich da auf der kalten, uralten Burg seiner Vorfahren hätten ergeben können. Stattdessen gibt es ein paar halbgare Mordversuche, denen der gute Mann mühelos entrinnt bzw die er kaum wahr nimmt. Wenn man auf mich mit einer Armbrust schießen würde, würde ich danach übrigens nicht entspannt durchs Dorf tapsen. Aber ich bin ja auch kein Earl.
Nein, dieser zweite Band war selbst mir zu spannunglos. Da helfen auch keine Spielchen mit alten elektrischen Leitungen im Wintergarten. Da hätte nur noch ein erzählerischer Blitzschlag helfen können, aber der blieb leider aus.

Weitere Besprechungen:

Esthers Bücher https://esthersbuecher.wordpress.com/2019/02/24/elizabeth-edmondson-mord-auf-selchester-castle/

Leider belanglos

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Sniffler der englische Dachshund
Hans Traxler
erschienen am 12.03.2018 im Insel Verlag
ISBN 978-3-458-17746-3

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Was habe ich mich auf dieses Buch gefreut. Es geht um einen Hund, es gibt Zeichnungen von Hans Traxler und laut Klappentext ist die Geschichte spannend, komisch und unterhaltsam.
Ein Ehepaar macht Urlaub im ländlichen England. Sie wohnen bei Freunden, die ihnen Haus und Hof zur freien Nutzung überlassen haben, solange sie nur auf Sniffler aufpassen, den geliebten Hund. Sniffler nun aber hasst nichts mehr, als allein gelassen zu werden und findet sich daher ganz selbstverständlich im Bett oder auf dem Beifahrersitz im Auto ein.
Komik soll entstehen durch die Vorstellungen des Ehepaars zu Hundehaltung und Snifflers Ideen dazu. Und ja, bisweilen musste ich auch schmunzeln. Aber wirklich komisch fand ich die Story nicht. Sniffler ist eine ziemlich Nervensäge und das Ehepaar übertrieben hilflos im Umgang mit dem tyrannischen „Viech“.
Daher ist das, was eigentlich charmant hätte werden können, einfach nur belanglos. Die Illustrationen sind deutlich gelungener als der Text, typisch Traxler eben, und zeigen auch durchaus mehr Situationskomik.
Alles in allem ein hübsches Büchlein mit einer leidlich gelungenen Geschichte. Schade.