Serge Diaghilev

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Diaghilev and the Golden Age of the Ballets Russes 1909-1929

herausgegeben von Jane Pritchard

erschienen 2010 bei V&A Publishing

ISBN 978-1-851-77613-9

 

Jeder Mensch, der sich nur halbwegs mit Ballettgeschichte beschäftigt, dürfte bei diesem Buch Schnappatmung bekommen. Zum einen, weil es ein echter Backstein von einem Bildband ist und wunderbar geeignet, Armmuskeln in Form zu bringen, zum anderen aber, weil es wirklich fast jeden Schnipsel enthält, der von der Hoch-Zeit der Ballets Russes noch zu finden ist. Gestaltet als Begleitband zu einer Ausstellung im Victoria & Albert Museum in London, findet man Bilder von Originalkostümen, Theaterplakaten, Bühnenbildern und dergleichen mehr.

In den ausführlichen Essays geht es dann, wie der Titel schon impliziert, hauptsächlich um Serge Diaghilev und seine Rolle als Impresario und Kunstförderer. Man findet neben den selbstverständlichen Texten zu seiner Herkunft und seinem Lebenslauf auch Analysen seines Verhältnisses zur Kunst, besonders im Bezug auf die Bühnenbilder und Kostüme der Truppe, die u.a. von Leon Bakst, Natalia Goncharova oder Pablo Picasso geschaffen wurden, oder zur Musik: Komponisten wie Strawinsky, Debussy oder Prokofiev schufen Stücke für die Ballets Russes und verdanken Diaghilev große Teile ihres Ruhms. Dieses Gespür für Strömungen, für vielversprechende Talente in allen Formen von Kunst, ist es, was ihn so besonders gemacht hat, ihn abgehoben hat von den anderen Kunstkennern und -förderern seiner Zeit.

Natürlich kann man kein Buch über die Ballets Russes herausbringen, ohne die Tänzer zu benennen, die maßgeblichen Anteil am triumphalen Aufstieg der Truppe hatten. Aber der Tanz selber ist tatsächlich kaum Thema, es geht mehr um die Choreographen und ihren Mut, althergebrachte Regeln zu brechen und Neues zu schaffen, darum, dass den männlichen Tänzern eine andere Rolle zugeteilt wurde, als Ballerinen von rechts nach links zu reichen, dass sogar der männliche Tänzer eher im Mittelpunkt stand als die Damen.

Trotz der vielen Daten und Namen ist das Alles keineswegs trocken geraten, die Essays sind sicherlich auch für jene lesbar, deren Englisch Lücken aufweist, und die Bilder geben einen tiefen Einblick in Diaghilevs Welt. Ich konnte Stunden damit verbringen, mir Details einzelner Kostüme anzusehen und mir ihre Wirkung in Bewegung vorzustellen. Leider gibt von dieser so lebendigen und noch heute das Ballett beeinflussenden Truppe keine Filmaufnahmen. Einzelne Tänzer sind später gefilmt worden oder haben sogar Tanzfilme gedreht, aber für Aufführungen der Ballets Russes unter Diaghilev gilt das nicht. Und so bleiben eben nur Bilder, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was diese Gruppe von Künstlern ausgemacht hat, die die Ballettwelt so revolutioniert hat.

Ein traumhafter Bildband für Ballettliebhaber und ein schickes Coffeetablebook für die, die es noch werden wollen…

Ballettgeschichte

 

A history of ballet and its makers

Joan Lawson

erschienen 1964 bei Sir Isaak Pitman & Sons

 

Wer mich ein bisschen kennt, der weiß, daß mein Leben bis 2016 mehr als tanzgeprägt war. Und als Buchliebhaberin, die ich ja auch bin, habe ich natürlich eine Tanz- und Theaterbuchsammlung. Und zu der ist nun diese Ballettgeschichte gekommen.

Joan Lawson (1907 – 2002) war die große alte Dame des britischen Ballettbuchs. Sie hat Bücher zu Technik und Geschichte geschrieben, Grundlagenwerke, die jeder englische Ballettlehrer gelesen haben dürfte. Selbst ursprünglich Tänzerin, unterrichtete sie später an der Royal Ballet School und gab ihr immenses Wissen so weiter.

Dieses Buch ist nun eine kurze Zusammenfassung, wie Ballett enstanden ist und sich über die Jahrhunderte entwickelt hat. Mrs Lawson fängt dafür bei der griechischen Tragödie an, geht über die römischen Pantomimen zu den ersten Tanzspektakeln in der Renaissance. Die ersten Ballett-Akademien werden gegründet, die Technik festgelegter, es gibt Profitänzer. Und so arbeitet sie sich straff und pointiert vor bis zu den großen Tänzern und Choreographen ihrer Zeit. Zwei Bildreihen in der Mitte des Buches untermalen das Ganze anschaulich. Ein wunderbares Buch, geschrieben für Ballettinteressierte oder junge Tänzerinnen und Tänzer, die ein tieferes Verständnis für diese Kunst entwickeln wollen, die die Wurzeln kennen möchten, mehr wissen möchten über große bekannte Namen. Es ist kein Buch für den Ballettkenner oder gar Tanzwissenschaftler, dafür ist es nicht ausführlich genug und, man verzeihe, es fehlt die Tiefe. Aber dafür war es ja auch nicht gedacht. Es ist eine Einführung in die Ballettgeschichte und als solche ein kleiner Schatz.

Mich freut es immer sehr, wenn ich meine Lawson-Sammlung ein wenig vollständiger machen kann. Viele ihrer Bücher sind vergriffen und in Deutschland sowieso kaum erhältlich. Meiner Erfahrung nach sind englische Antiquariate was Ballett betrifft, deutlich besser sortiert als hiesige. Andererseits hat das Royal Ballet dort auch einen anderen Stand als z.B. das Stuttgarter Ballett hier.

In der Fundstücke-Rubrik werde ich sehr wahrscheinlich immer mal wieder Tanzbücher vorstellen. Wer sich für das Thema interessiert, sollte dort bisweilen einfach mal stöbern gehen. Für interessierte Fragen stehe ich natürlich gerne zur Verfügung.