Was nicht im Baedecker stand

U1_978-3-463-40715-9.indd

Das Buch von der Riviera
Erika und Klaus Mann
erschienen am 16.04.2019 im Kindler Verlag
ISBN 978-3-463-40715-9

#supportyourlocalbookstore

 

Zugegeben, ein Reiseführer von 1931 ist eher etwas für Liebhaber. Auch, wenn er von Erika und Klaus Mann verfasst wurde, den Enfants terribles ihrer Zeit. Denn natürlich sind viele der empfohlenen Hotels, Pensionen und Restaurants inzwischen geschlossen oder anders zu bewerten, den netten Portier des Hotels Beauvau in Marseille gibt es sicherlich gar nicht mehr und insgesamt haben die Zeiten sich unwiderruflich geändert.
Und trotzdem! Trotzdem lohnt es sich, das Buch von der Riviera zu lesen. Zum einen eben tatsächlich, weil die Manns es geschrieben haben und ihr flappsiger, noch in den Zwanzigern verhafteter Stil heutzutage immer noch sehr charmant wirkt, zum anderen, weil dieser Reiseführer mit seinen Insidertipps, den Künstlerörtchen und Casinobeurteilungen ein Tor in eine vergangene Welt öffnet und zum dritten, weil das Büchlein eine immense Reiselust weckt. Ich hätte am liebsten gleich meine Taschen gepackt und den nächsten Flieger gen Nizza bestiegen.
Bevor Erika und Klaus Mann diesen Reiseführer verfassten, hatten sie sich am Theater versucht, Erika Mann hatte Gustav Gründgens geheiratet und sich wieder scheiden lassen, Klaus Mann war von Pamela Wedekind verlassen worden, sie hatten eine schuldenreiche Weltreise hinter sich, die ihr Vater mit dem Geld für seinen Nobelpreis finanzieren musste, waren in Marokko mit Drogen in Kontakt gekommen, führten ein ziemlich atemloses Leben, immer kurz vor dem Absturz. Das Buch von der Riviera wirkt da wie eine Zäsur, wie ein kurzer Moment der Ruhe. Restaurants empfehlen, Strände beschreiben, Fischerdörfer erkunden, Strandpromenaden entlang schlendern, sich einen Moment lang nur mit angenehmen Dingen befassen und dabei auch ein wenig gegen den sehr kulturbeflissenen Baedecker sticheln, es muss den Geschwistern diebischen Spass gemacht haben.
Danach wird ihr Leben und Schreiben immer politischer, sie gründen das Kabarett „Die Pfeffermühle“ und müssen kurze Zeit später ins Exil.
Acht Jahre bleiben nach Erscheinen des Reiseführers, um die Riviera zu genießen. 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg, 1940 wird Frankreich besetzt.
Und so dokumentiert dieser Reiseführer ein verlorenes Lebensgefühl, das Ende der Roaring Twenties mit russischen Emigranten, reichen Amerikanerinnen, englischen Lords und Ladies, mondänen Französinnen, mit Glücksspielern, Bel Amis und Künstlern, die von Licht und Landschaft angezogen werden.
„Glückliche Küste! Coast of Pleasure, Cote d’Azur, blaue Küste! Strand des Dolce-far-niente, des Spiels, der Arbeit, der Blumen und der sonnenbeglänzten Promenaden. Wir können nicht alles zeigen, was es an ihr zu sehen gibt. Aber doch etwas. Und nun fangen wir an.“

Ich danke dem Kindler Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

BuchUhu https://buchuhu.wordpress.com/2019/07/23/erika-und-klaus-mann-das-buch-von-der-riviera/

Chapeau, Mr. Wilder!

9783311140085

Hat es Spass gemacht, Mr. Wilder?
Billy Wilder & Cameron Crowe
Aus dem amerikanischen Englisch von Rolf Thissen
erschienen am 06. Mai 2019 im Kampa Verlag
ISBN 978-3-311-14008-5

#supportyourlocalbookstore

 

Unter dem Namen Kampa Salon bringt der noch junge, aber überaus engagierte Kampa Verlag Gesprächsbände heraus, mit namhaften Schriftstellern, Denkern, Regisseuren, Kulturschaffenden.
Und innerhalb dieser Reihe sind nun auch die Aufzeichnungen Cameron Crowes erschienen, der das rare Glück hatte, mit dem wohl bekanntesten Regisseur seiner Zeit, Billy Wilder, über seine Filme und sein Leben plaudern zu dürfen. Wilder drehte mit den damaligen Hollywoodgrößen, mit Audrey Hepburn, Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, mit Jack Lemmon, Gary Cooper, Humphrey Bogart, um nur einige zu nennen. Jeder seiner Filme ist besonders, viele Filme sind auch heute noch weltweit bekannt und beliebt.
Es ist unfassbar großartig, dass es Crowe gelang, den interviewscheuen Wilder zu überzeugen, denn herausgekommen ist ein Gesprächsband, der gleichermaßen lebensklug, charmant und witzig ist. Der 90jährige Wilder plaudert aus dem Nähkästchen, erzählt von Dreharbeiten, von Schauspielermarotten, bewertet seine eigenen Filme und hat sogar bisweilen Tipps für seinen jungen Kollegen. Selbst das Privatleben wird gestreift, Wilders Jugend in Deutschland, der Verlust seiner Familie in Auschwitz. Wilder weicht dabei häufig geschickt aus, es gibt Bereiche, über die er sichtlich nicht sprechen möchte. Das ist nachvollziehbar zum einen und zum anderen bietet sein Hollywoodleben genügend Gesprächsstoff für den faszinierten Leser. Eine komplette Ära wird hier erneut zum Leben erweckt, Glanz und Glamour inklusive.
Ich interessiere mich schon recht lange für Filmgeschichte und kenne daher die meisten der angesprochenen Filme. Ich habe dieses Buch mit großem Vergnügen gelesen und füge es mit ebenso großer Freude meiner Film- und Theaterbuchsammlung hinzu. Für einen Leser, der keinen Billy Wilder-Film kennt, dürfte es allerdings ein wenig schwierig zu lesen sein. Am besten besorgt man sich vorher „Manche mögen’s heiss“, „Zeugin der Anklage“, „Sabrina“ oder „Das Appartement“ (oder alle zusammen) und sieht sich die Filme an. Wem sie nicht gefallen, dem ist eh nicht zu helfen und alle anderen können dann den trockenen Humor Wilders genießen, der schon seine Filme so herausragend gemacht hat.

Ich danke dem Kampa Verlag herzlich für das Leseexemplar und werde es hegen und pflegen und regelmäßig anstrahlen.

Pferde

ARTK_CT0_9783446262058_0001

Pferde
Jenny Friedrich-Freksa
erschienen am 18.Februar 2019 im Verlag Hanser Berlin
ISBN 978-3-446-26205-8

#supportyourlocalbookstore

 

Pferde. Ein Buch über Pferde. Keine Geschichte für Teenager über die große Ponyliebe oder ein Fachbuch für Reitfreunde, nein, ein Buch für Erwachsene mit Essays über alle Aspekte des Zusammenlebens mit diesen wunderbaren Geschöpfen.
Jenny Friedrich-Freksa ist mit Pferden aufgewachsen, quasi im Sattel groß geworden. Und nun schreibt sie ebenso kluge wie feinfühlige Texte zu Themen wie „Das Wesen der Pferde“, „Vertrauen“ und vor allem „Warum Pferde?“ Sie erkundet z.B.den Wechsel vom fast reinen Männerfeld zu einer Frauendomäne, ein Wechsel, der übrigens so ausgeprägt ist, dass mein Sohn immer wieder irritiert angeschaut wird, wenn er sagt, dass er reitet. Dabei berichtet sie immer wieder von eigenen Erfahrungen und auch Ängsten, von schönen und schwierigen Momenten.
Herausgekommen ist ein sehr persönliches Buch über die Jahrtausende alte Beziehung zwischen Mensch und Pferd, aber auch über die Verantwortung, die wir gegenüber einem so langjährigen Begleiter und Freund haben, auch wenn oder gerade weil der praktische Nutzen weitgehend verloren gegangen ist. Wir haben Pferde durch Autos oder Mähdrescher ersetzt, durch Panzer und andere Maschinen. Aber sie sind eben noch da, leben und haben Bedürfnisse, die wir zu achten haben.
Außerdem, und auch darüber schreibt die Autorin, können wir zu kaum einem anderen Tier eine so innige Verbindung aufbauen, Vertrauen gegen Vertrauen, eine Verbindung, die erdet und gleichzeitig Flügel verleiht.
Illustriert ist dieser großartige Band mit wunderbaren Zeichnungen von Katharina Grossmann-Hensel, die die einzelnen Themen elegant begleiten.
Ein wirklich rundum gelungenes Buch, auch für Nichtreiter lesenswert.

 

März – April – Mai

36392

Mein Frühlingsgarten
Vita Sackville-West
Aus dem Englischen von Gabriele Haefs
erschienen am 11.03.2019 im Insel Verlag
ISBN 978-3-458-36392-7

#supportyourlocalbookstore

 

Schon seit Tagen wollte ich dieses wirklich hübsche Büchlein vorstellen. Doch leider hat mich eine Erkältung komplett ausgeknockt. Dafür passt jetzt das Wetter perfekt zum Buch…
Als ich anfing es zu lesen, war das Wetter noch recht wenig frühlingshaft und ich gedachte mir so wenigstens ein Frühlingsgefühl ins Haus zu holen. Das hat hervorragend funktioniert.
Vita Sackville-West (1892 – 1962), Gartenikone und berühmt für die Gärten von Sissinghurst, schrieb über Jahre eine Gartenkolumne für den Observer. Hier sind nun ein paar ihrer Texte zum Thema „Frühling“ zusammengefasst, genauer Tipps für die Monate März, April und Mai. Sie verrät ihre liebsten Frühlingsblüher, schreibt über „altmodische“ Blumen wie Aurikeln oder gefleckte Nelken, über passende Pflanzzeitpunkte, kurz, über alles, was den Gärtner im Frühjahr interessiert. Und das macht sie so humorvoll, breitgefächert und elegant, dass ich Seite für Seite das Bedürfnis hatte, sofort und augenblicklich in den Garten zu rennen, um mit dem Gestalten der Beete zu beginnen. Natürlich erfindet sie nicht das Rad neu, aber ihr Schreibstil ist einfach hinreissend englisch und dazu kommen noch wirklich entzückende Illustrationen von Redouté.
Tatsächlich also ein wunderschönes Geschenkbuch für Gartenverrückte. Und ich freue mich schon jetzt auf den Nachfolger zu Sommerblumen, der im Juni erscheinen wird.

Eine Reise in die Antike

9783827500632_Cover

Eine Odyssee
Mein Vater, ein Epos und ich
Daniel Mendelsohn
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork
erschienen am 04. März 2019 im Siedler Verlag
ISBN 978-3-8275-0063-2

#supportyourlocalbookstore

 

Es gibt sie meist nur einmal im Jahr, diese ganz besonderen Bücher, die sich abheben von der Masse, die anders sind, in kein Raster passen. In diesem Jahr scheint das Mendelsohns „Eine Odyssee“ zu sein. Das Buch eines Altphilologen über die Irrfahrten des Odysseus, aber auch darüber, was man heute noch aus einem jahrhundertealten Epos lernen kann und ein Buch über Beziehungen, zwischen Partnern, zwischen Eltern und Kindern. Weiterlesen

Charmante Überraschung

Pressebild_Rendezvous-mit-einem-OktopusDiogenes-Verlag_72dpi

Rendezvous mit einem Oktopus
Sy Montgomery
Aus dem Amerikanischen von Heide Sommer
am 27.Februar 2019 als Taschenbuch erschienen im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-24453-3

bestellen

 

Sie heißen Athena, Octavia oder Kali und sie sind empfindsame weibliche Wesen, neugierig, stark, selbstbewußt, aber auch voller Vertrauen und Kontaktfreude. Jede von ihnen ist ein Oktopus. Ein Oktopus? Auch Krake oder Tintenfisch genannt? Richtig, ein Oktopus.
Ein erzählendes Sachbuch nennt der Diogenes Verlag diesen wunderbaren Text von Sy Montgomery, der sich mit dem Wesen und der Seele dieser charmanten Tiere befasst. Nun liebe ich das Meer, wohne direkt an der Nordseeküste, aber mit Tintenfischen habe ich mich bisher nicht einmal frittiert beschäftigt. Ich habe sie mir, geprägt durch die Darstellungen in Büchern oder Filmen, immer als eklige Glibberteile mit Saugnäpfen vorgestellt, die mit Vorliebe in der Tiefsee lauern, um in passenden Momenten Hollywood-Piraten des Schiffs zu berauben. Oder so. Falls ich mir überhaupt Gedanken dazu gemacht habe.
Niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, ihnen das zuzusprechen, was ich für meine Haustiere als selbstverständlich betrachte: Gefühle und Intelligenz. Generell scheinen viele Menschen sich persönlich angegriffen zu fühlen, wenn man Tieren einen gleichwertigen Platz einräumt. „Vermenschlichen“ nennen sie das, wenn man von Bindung, Vorlieben und Abneigungen spricht und schütteln entsetzt das weise Haupt. Der Mensch als Krone der Schöpfung, das steckt in den meisten christlich geprägten Köpfen unverrückbar fest. Und so gilt es auch in der Verhaltensforschung als unprofessionell, Tieren Denkfähigkeit zuzusprechen.
Aber der Mensch scheint umdenken zu müssen. Und Bücher wie dieses, helfen dabei, sich selbst darüber klarzuwerden, wie vorurteilsbehaftet man mit Tieren umgeht.
Wenn selbst ein Seestern ohne Gehirn Neugier zeigen kann, wenn Fische ihre Pfleger erkennen, Kühe kuschelbedürftig sind und Hühner gerne umarmt werden, dann ist die Welt vielleicht gar nicht so, wie es uns der Biologieunterricht in der Schule weissmachen wollte.
Oktopusse jedenfalls sind hochintelligente Wesen, problemlösungsorientiert und humorvoll, gewitzt im Umgang mit Werkzeugen, bindungsfähig und charaktervoll. Nie hätte ich gedacht, dass mich ein Sachbuch über Kraken so begeistern könnte. Aber ich kann es wirklich jedem naturwissenschaftlich interessierten Menschen ans Herz legen. Und keine Sorge, Sy Montgomery weiß, wovon sie schreibt. Sie beobachtet diese Tiere schon lange, in Aquarien und auch in freier Wildbahn. „Rendezvous mit einem Oktopus“ ist ein ungewöhnlich spannendes und anrührendes Buch und definitiv lesenswert.

Ich danke dem Diogenes Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Doch bevor es Nacht wird, liegt er wieder droben…

9783462051988_5

Brecht
Heinrich Breloer
erschienen am 14.02.2019 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05198-8

bestellen

 

Brecht. Roman seines Lebens. So lautet der knappe Titel dieses 527-Seiten-Wälzers. 527 Seiten, das ist doch nicht viel, wird so mancher denken. Und dann noch unzählige Photos, das liest sich doch recht schnell. Irrtum. Das zieht sich wie die B4. Rechts ein Dorf und links ein Baum und immer geradeaus.
Zunächst muss man wissen, dass das Ganze ein Buch zum Film ist. Es gibt einen Film? Es gibt einen Film. Mit Burghart Klaußner als Brecht und Adele Neuhauser als Helene Weigel. Die beigefügten Bilder sind daher meist aus diesem Film, Originalphotos sind so gut wie nicht vorhanden. Die etwas unbeholfen eingefügten Erklärungen zu Drehbelangen hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, aber vielleicht gehören die zu einem solchen Buch-Film-Konzept zwingend dazu, wer weiß?
Dann „Roman seines Lebens“, nicht Biographie. Breloer füllt seine Recherchelücken mit hättekönntewürde, geschrieben wie eine penible Inhaltsangabe des Films: „Augsburg, eine Gasse in der Nacht. Wir blicken auf eine hohe Mauer. Ein Lampion erscheint, wie ein Ton auf einer Notenlinie…“ (S.42)
Es geht um den „privaten“ Brecht, um den Menschen hinter der Fassade des Genies, weniger um seine Werke. Die werden natürlich genannt, größere Erfolge oder Niederlagen am Theater auch beschrieben, an der Recherche ist nichts auszusetzen, aber in erster Linie sind es die Beziehungen und Liebschaften, die rechts und links unserer Landstraße liegen, die den Autor angezogen haben müssen wie die Motte das Licht.
Und, was soll ich sagen? In der nächsten Zeit wird niemand den Namen Brecht nennen können, ohne dass es mich gewaltig schüttelt. Ein zudringlicher Widerling, egoistisch, narzistisch und gefühlskalt, dabei zum Ausgleich rücksichtslos, Herr der Besetzungscouch und lüstern über jede Jungschauspielerin herfallend. Aber nur so konnte er selbstverständlich das Beste aus den Damen herausholen. Aha.
Brechts Genie waren alle untertan, der hatte immer das hellste und größte Zimmer und ausreichend Platz für seinen Harem. Und so geben sich 527 Seiten lang die Bewunderinnen die Türklinke in die Hand. Dazwischen schreibt der Meister Stücke und huldigt dem Kommunismus. Lebt in seiner Theater- und Schlafzimmerblase und verpasst die tatsächlichen Ereignisse in der DDR. Waren nun aber auch nicht seine Probleme, der Brecht konnte ja ein- und ausreisen und seine Meinung ungestraft kundtun. Puh.
Ich bin mit Brechts Texten groß geworden. Vor allem mit der Dreigroschenoper und Mahagonny, aber natürlich auch mit der Courage oder der Heiligen Johanna. Sein episches Theater, sein Umgang mit der Sprache, seine Forderung, das Publikum selbst denken zu lassen, haben Großes und Großartiges auf den Theaterbühnen entstehen lassen.
Dem Menschen Brecht, wenn er denn Breloers Beschreibungen entsprochen hat und davon gehe ich doch weitestgehend aus, dem Menschen hätte ich nicht begegnen mögen. Der Autor Brecht hat die Theater gefüllt, der Mensch Brecht hat mich in seiner Vorhersehbarkeit geärgert und gelangweilt. Eine Liebelei und noch eine Liebelei, und das in Endlosschleife.
Oder wie er es selbst formuliert hat in der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“:

Da steht nun einer fast schon unterm Galgen
Der Kalk ist schon gekauft, ihn einzukalken.
Sein Leben hängt an einem brüch’gen Fädchen.
Und was hat er im Kopf, der Bursche? Mädchen!
Schon unterm Galgen, ist er noch bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.

 

Winnie Puhs Honichküchlein

Little Library Cookbook von Kate Young

Little Library Cookbook

Kate Young

Aus dem Englischen von Regina Rawlinson und Susanne Kammerer

erschienen 2018 im Wunderraum Verlag

ISBN 978-3-336-54799-9

bestellen

 

Ein literarisches Kochbuch. Da führte natürlich kein Weg drum herum. 100 Speisen aus Romanen, zu kochbaren Rezepten umgeformt von der Food-Bloggerin Kate Young, einigen vielleicht bekannt durch ihren Blog „The Little Library Café“, wo sie das Konzept dieses Buches wohl schon länger durchführt.
Die Idee ist charmant. Wer wollte nicht immer schon einmal Puhs Honichküchlein oder Harry Potters Siruptorte probieren? Die Auswahlliteratur ist weit gefächert, von Kinderbüchern über Klassiker zu Gegenwartsliteratur, der eine oder andere Roman war mir auch gänzlich unbekannt. Immer gibt es ein oder zwei Zeilen aus dem jeweiligen Buch, dann einen persönlichen Text Kate Youngs und schlußendlich das Rezept, häufig begleitet vom passenden Bild.
Und an dieser Stelle muss ich doch leise ein paar Kritikpunkte anbringen, so gelungen ich die Idee auch finde: bei einem literarischen Kochbuch hätte ich mir mehr Infos zu den ausgewählten Büchern gewünscht. Nur die Zeile mit dem betreffenden Gericht, das erscheint mir doch ein wenig mager. Im Gegenzug hätte ich wirklich nicht geschätzt dreiundneunzigmal den Hinweis darauf gebraucht, wie sehr die australische Autorin in England unter Heimweh gelitten hat und wie sehr ihr dabei Bücher und Essen geholfen haben. Es tut mir ja leid für sie, aber da hätten ein paar Kürzungen zugunsten der Auswahlliteratur bzw ein anderer Schwerpunkt im Kochbuchaufbau nicht geschadet. Und auch unter den Rezepten waren einige, die bei mir eine irritierte Augenbraue hervorgerufen haben. Ein sehr weiches Frühstücksei, ernsthaft? Jane Austen hin oder her, aus deren „Emma“ diese grandiose Rezeptidee stammt, aber ein weiches Ei als ernstgemeintes Rezept in einem Kochbuch? Hatte Austen sonst nichts zu bieten? Und Baked Beans aus der Dose zum Frühstück fand ich auch eher gewöhnungsbedürftig.
Aber nun ist Schluß mit dem Genörgel, denn natürlich gibt es auch ganz wunderbare Rezepte – und bei 100 Gerichten dürfte jeder etwas Passendes für sich finden können, ob nun Sherlock Holmes‘ Hähnchen-Curry, Pippi Langstrumpfs Pfannkuchen oder das Weihnachtsmahl aus Dickens Christmas Carol oder,oder, oder… Und Spass macht es allemal, durch das Buch zu blättern, ob man nun nach Rezepten sucht und Bücher entdeckt oder andersherum. Also insgesamt eine gelungene Idee, deren Umsetzung meiner Meinung nach noch ein wenig holprig daher kommt. Aber das Thema schreit ja förmlich nach einer Fortsetzung…

Ich danke dem Wunderraum Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

schiefgelesen https://schiefgelesen.net/2017/12/09/kate-young-the-little-library-cookbook/
leaf and literature https://leafandliterature.de/2018/10/01/kate-young-little-library-cookbook/

Unity Mitford

Karl_MIch_blaetterte_gerade_in_der_Vogu_182630

„Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an.“

Michaela Karl

erschienen 2018 im btb Verlag

ISBN 978-3-442-71623-4

bestellen

 

Michaela Karl schreibt einfach wirklich lesenswerte Biographien. Erst kürzlich habe ich ihr Buch über New Yorks spitzeste Feder Dorothy Parker gelesen, nun folgte ihr neuestes Werk über Unity Mitford. Was die Bücher Frau Karls ausmacht, ist die sehr gute Recherche, der nachvollziehbare Aufbau ohne unnötiges Namedropping und die durchgehend spannende Ausarbeitung. Zusammenhänge klar zu erklären und dabei charmant zu erzählen, das Talent hat wahrlich nicht jeder…
Diesmal also Unity Mitford. Aber wer zum Henker ist das? Ein leises Klingeln hatte ich im Hinterkopf beim Namen Mitford, jedoch in Verbindung mit dem Namen Nancy. Und, bingo, Unity ist eine der sogenannten Mitford Schwestern, die in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts Englands Tageszeitungen recht häufig zierten.
Die Mitford Schwestern sind die sieben Töchter von Lord und Lady Redesdale. Aufgewachsen in für die Zeit erstaunlicher Freiheit auf dem Lande und nicht an eigener Meinungsbildung gehindert, werden sie genauso schön wie exzentrisch. Nancy und Diana, Unitys ältere Schwestern, sind gern gesehene Ballgäste, weltoffen, mit großem Freundeskreis. Unity dagegen gilt früh schon als schwierig und aufmüpfig. Als Diana Geliebte des englischen Faschistenführers Mosley wird, wendet auch Unity sich dem Faschismus zu. Sie reist nach Deutschland, lernt dort tatsächlich Hitler kennen und eine enge Freundschaft entsteht.
Michaela Karl versucht aufwendig nachzuvollziehen, wie aus einem englisches Upper class girl eine hartgesottene Nationalsozialistin werden konnte. Wie ein intelligenter, charmanter, fröhlicher Mensch einer solchen menschenverachtenden Idiologie blind folgen konnte, alles ausblendend, was nicht ihrem Weltbild entsprach.
Es ist nicht nachzuvollziehen, zumindest für mich nicht. Frau Karl holt sehr weit aus, berichtet über Herkunft und Umfeld, über Einflüsse, politische Strömungen, aber Unity bleibt blass, nicht greifbar. Sie soll aufgedreht und dumm gewesen sein, sagen die einen, die anderen sprechen von ihrem Charme und ihrer Aufgeschlossenheit. Definitiv war sie wohl eines der ersten Fangirls, völlig ihrem Idol Hitler verfallen. Schlimmer noch, es gelingt ihr, auch einen Teil der Familie damit anzustecken. Ihre Schwester Diana wird bis zum Tode bekennende Faschistin bleiben.
Für mich war es hochinteressant zu lesen, wie viele Engländer den deutschen Nationalsozialismus bewundert und auch gefördert haben. Wie gesellschaftsfähig Faschismus und Judenhass auch dort waren. Ich wusste, dass es diese Strömungen dort gab, P.G. Wodehouse z.B. macht sich mit seiner Figur Spade über oben erwähnten Oswald Mosley lustig, aber wie offen Hitler von britischen Adelskreisen hofiert wurde, war mir nicht klar.
Auch wenn sich mir die Beweggründe Unitys nicht wirklich erschlossen haben, ist diese Biographie äußerst lesenswert und sollte unsere Wachsamkeit wecken. Denn Menschenverachtung kommt nicht immer dumpf und kahlgeschoren daher. Nein, manchmal erscheint sie auch als elegante, redegewandte Dame von Welt. Aber wie auch immer sie auftritt, man muss ihr frühzeitig entgegen treten.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Der Krimi und das ländliche England

Mit_Miss_Marple_aufs_Land-500x400

Mit Miss Marple aufs Land

Luise Berg-Ehlers

erschienen 2013 im Elisabeth Sandmann Verlag

ISBN 978-3-938045-77-0

 

Ich muss gestehen, ich liebe den klassischen britischen Kriminalroman. Ein Mord in einem hübschen, kleinen Dörfchen mit ein bißchen Dorfklatsch anbei, ein behagliches Kaminfeuer und eine gute Tasse Tee. Das Ganze nicht zu blutig und vor allem nicht zu actionreich und schon bin ich zufrieden.
Daher lag es nahe, mir diesen wirklich schön aufgemachten Bildband über englische Krimischriftstellerinnen zuzulegen. Unzählige Bilder aus dem idyllischen, ländlichen England, Informationen zu den bekanntesten Reihen, ich dachte, das alles wäre Grund genug.
Es gibt vereinzelte Ausschnitte aus den erwähnten Romanen, die ruhig ein wenig länger hätten sein dürfen, mit Sepiabildern ausgestattete Kurzbiographien und so possierliche Kapitelüberschriften wie „Alltägliches – Zwischen Tearoom und Pub“ oder „Sonntägliches – Es läuten die Glocken“. Dazwischen finden sich Texte über die Eigenheiten der Engländer im Allgemeinen und Besonderen, über typische Mordschauplätze im typischen Krimi, über Cricket und Krocket, über Dorffeste und Kirchgänge.
Schlußendlich sind mir persönlich die Texte zu oberflächlich und die Bilder zu nichtssagend, obwohl nett anzuschauen. Der ganze Band ist darauf ausgerichtet, Leute wie mich anzulocken, was ja auch gelungen ist, bleibt aber letztlich ein Staubfänger auf dem Wohnzimmertisch.
Die Autorin ist allerdings geschickter als ich darin, die Länge ihrer Texte auszudehnen, unverfänglich zu plaudern ohne zu große Langeweile aufkommen zu lassen. Daher wird meine Besprechung heute ungewöhnlich kurz ausfallen, denn mehr will mir zu diesem Buch einfach nicht einfallen. Netter Geschenkband für Bekannte mit einem Faible für Krimis.