Hommage an Erich Kästner

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Friedrich der grosse Detektiv
Philip Kerr
Aus dem Englischen von Christiane Steen
erschienen am 28.01.2020 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-499-00070-6

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Eigentlich bespreche ich hier ja keine Kinderbücher. Diesmal mache ich eine Ausnahme: erstens, weil das Thema so unglaublich wichtig ist und zweitens, weil es um Erich Kästner geht.
Ein amüsanter Zufall: erst bei der Recherche zu dieser Rezension ist mir aufgefallen, dass gestern die Taschenbuchversion erschienen ist. Ich nehme es als Zeichen für den richtigen Zeitpunkt.
1933. Friedrich und seine Freunde Albert und Viktoria, genannt der Doktor, spielen gerne Detektive. Friedrichs Lieblingsbuch ist „Emil und die Detektive“ und zu seiner großen Freude wohnt der Autor Erich Kästner gleich in der Nähe.
Während sein älterer Bruder Rolf begeisterter Nazianhänger wird und sogar Friedrichs signiertes Lieblingsbuch zur Bücherverbrennung einzieht, lösen Friedrich und seine Bande kleinere Fälle um verlorene Gegenstände. Als dann tatsächlich die Polizei sie um Hilfe bittet, sind sie ganz stolz, bis sie feststellen, dass sie Erich Kästner ausspionieren sollen. Sie berichten stattdessen Kästner davon und müssen bald feststellen, dass unbeschwerte Kinderspiele in ihren Zeiten nicht mehr möglich sind.
Philip Kerr hat ein Kinderbuch geschrieben, dass eigentlich gar keines ist. Zumindest dann nicht, wenn man erwartet, dass in Kinderbüchern trotz aller Probleme, aller Schwierigkeiten und allem Ernst das Ende irgendwie gut ist. Oder hoffnungsvoll. Friedrich lebt aber nicht in hoffnungsvollen Zeiten und Kerr scheint zu meinen, dass man das Kindern auch so vermitteln kann und darf.
Ich habe das Buch gelesen und es gleich weitergereicht an meinen Sohn. Der hatte das Cover entdeckt und kannte Kästners Kinderbücher schon. (Was übrigens ungemein hilft, denke ich. Andererseits, wenn man durch dieses Buch sich veranlasst fühlt, sie zu lesen, ist das natürlich auch gut.) Er wollte das Buch nun unbedingt lesen, während ich ehrlicherweise so meine Zweifel hatte. Ich habe es ihm überlassen mit den Worten, er könne jederzeit mit mir über den Inhalt sprechen. Zwei Tage lang habe ich nichts mehr davon gehört. Dann kam ein heulendes Häufchen Elend aus dem Kinderzimmer.
-Mama, warum sind Menschen so? Und: warum hast Du mir das Buch gegeben, Du wusstest doch, was passiert?
-Weil die beschriebenen Dinge eben wirklich passiert sind, weil es den verfolgten Dichter Kästner eben wirklich gab, weil die Bücherverbrennung stattgefunden hat und die Rekrutierung von Kindern für Spitzelaufgaben, weil plötzlich jüdische Nachbarn und Freunde verschwunden oder geflohen waren, weil der Graben sich durch Familien zog. Und weil man das nie vergessen darf, es immer wieder erzählen muss und in Erinnerung rufen.
-Damit es nicht wieder passiert, oder, Mama?
-Ja, damit so etwas nie wieder passiert.
-Dann war es gut, dass ich es gelesen habe. Auch, wenn mir der Schluß nicht gefallen hat.

Ich finde dieses Kinderbuch wichtig. Ich denke aber auch, Eltern sollten es gelesen haben, bevor sie es ihren Kindern geben. Nicht jedes Kind wird damit zurecht kommen. Empfohlen ist es ab 11 Jahren. Ich würde es vom Charakter des Kindes abhängig machen, denn, und das ist jetzt definitiv ein Spoiler: Friedrich wird den Krieg nicht überleben. Und das hat selbst mich als Erwachsener heftig getroffen. Weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass ein Autor soweit geht, seinen Hauptcharakter sterben zu lassen. Nicht in einem Kinderbuch. Nicht in einem Buch, das zunächst versucht, den Charme von „Emil und die Detektive“ einzufangen, das als klassisches Abenteuerbuch beginnt.

Aber nur so ist es realitätsnah. Und kommt hoffentlich in den Köpfen an: rechtes Gedankengut ist nicht tolerierbar und nicht zu entschuldigen. Es ist menschenverachtend und gefährlich und darf gesellschaftlich nie wieder akzeptiert werden.

Der Beweis, dass ein dritter Band nicht immer erstrebenswert ist

9783423289658

Ich und der Weihnachtsmann

Matt Haig

Deutsch von Sophie Zeitz

erschienen am 21.09.2018 im dtv Verlag

ISBN 978-3-423-28965-8

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In die ersten beiden Bände dieser Reihe habe ich mich verliebt. Das viktorianische Setting, der Humor, die Illustrationen, schon der Anblick der Bücher liess sofortige Weihnachtsstimmung aufkommen. Ich habe mich dieses Jahr daher richtig auf den dritten Band gefreut. Nachdem ich ihn nun gelesen habe, kann ich nur hoffen, um beim Buchthema zu bleiben, dass das Hoffnungsbarometer nicht von mir abhängt. Dann ist es nämlich schockgefroren in die Tiefsee geplumpst. Ansonsten treibt mich die Frage um, ob Haig wohl ein wenig zu viel Rum in seinem Weihnachtskakao hatte oder seine Kekse aus Holland kamen.
Da rennen Osterhasen in Uniform durchs Buch, die Gringotts oder das Wichteläquivalent dazu knacken wollen, dem Weihnachtsmann steht bisweilen die Schokolade bis zum Hals und irgendwie wirken die Wichtel insgesamt wie eine Herde aufgeschreckter AFDler. Es geht um Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsklitterung, um Hetze und Beeinflussung durch die Medien. Natürlich kinderfreundlich verpackt mit Glitzer oben drauf. Da hat jemand am Gleis 9 3/4 wohl den falschen Zug erwischt oder wollte auf einen solchen aufspringen.
Nein, mit diesem seltsamen Machwerk lockt man mich nicht hinterm Weihnachtsbaum hervor. Wobei man ja sagen muss, dass den Illustrator Chris Mould daran definitiv keine Schuld trifft. Seine Zeichnungen sind so wunderbar und witzig wie in den Bänden davor.
Ach, es ist ein Jammer, wirklich, aber ich denke, ich verschenke lieber zum zweiten Mal Band Eins, als jemanden mit napoleonischen Osterhasen zu Weihnachten zu belästigen. Mir sind Langohren definitiv lieber, wenn sie in Eile sind und Taschenuhren tragen.

Ohne Worte

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Ein Engel für Miss Flint

Moira Young

Aus dem Englischen von Alice Jakubeit

erschienen 2017 im S. Fischer Verlag

ISBN 978-3-596-29836-5

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Es wird Bloggern ja recht häufig vorgeworfen, sie schrieben zu unkritisch, man fände zu selten richtige Verrisse, alles wäre immer zu positiv. Das liegt meines Erachtens daran, dass man mit der Zeit schon ein Gefühl dafür entwickelt, welche Bücher man lesen möchte und welche einem so gar nicht gefallen würden. Daher findet man bei mir beispielsweise keine Thrillerrezensionen. Außerdem sehe ich keinen Wert darin, die Arbeit eines anderen mit Gehässigkeiten, egal wie wohlformuliert, zu überhäufen. Seine Meinung schreiben, sicher, aber muss ich dazu ausfallend werden?
Wie auch immer, heute ist alles anders. Heute gibt es hier einen Verriss. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich freundlich bleibe.

Ich habe mich vergriffen. Das ist natürlich mein eigenes Versagen. Scheinbar braucht es nur einen kleinen Jungen mit Hund und den Vergleich mit „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ im Klappentext und mein sonst so untrügliches Bauchgefühl schlägt Purzelbäume. Ich habe mir diesen Roman selbst gekauft, er wurde mir nicht zugesendet, nicht von wohlmeinenden Freunden geschenkt, nein, ich habe ihn ausgesucht und zur Kasse getragen.

Der Inhalt ist kurz skizziert. Kleiner Waisenjunge, obdachlos, wächst in grauer, freudloser Stadt auf. Malen, singen, tanzen, alles verboten. Trifft alte Schabracke, die ihn (13 Jahre alt) als Chauffeur anstellt. Die Dame verstirbt unterwegs und reist als Geist weiter.


Ja, nicht? Habe ich auch gedacht.
Dabei wird jedes mögliche Klischee bis zum Äußersten ausgereizt. Fast wäre es der Autorin gelungen, mir meinen liebsten Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön?“ mit James Stewart zu verleiden. Auch ich habe nämlich durchaus meine kitschigen Momente. Aber ununterbrochenes Gebimmel zur Fließbandengelproduktion macht mich grantig. Sehr grantig. Später kommen dann noch die Kelten ins Spiel. Kein mystisches Buch ohne Keltengefasel. Denen müssen doch im Grabe die Ohren klingeln. Bekommt davon eigentlich auch ein Engel Flügel? Egal, dank diesem Buch herrscht da oben eh Überfüllung.
Davy David, so heißt phantasievollerweise das Oldtimer fahrende Bengelchen, ist übrigens der nächste Fra Angelico. Malt mit Stöckchen hochkünstlerische Engel auf nicht schnell genug fliehende Untergründe.

Ich könnte so noch geraume Zeit fortfahren. Aber das wäre ernsthaft zuviel der Aufmerksamkeit. Ich erfreue mich gerade an dem Gedanken, diesen Text auf dem Laptop zu formulieren. Bei einer Schreibmaschine wäre ich eventuell ja selbst zur Flügelproduzentin geworden. Klimbim.

Buchschätze

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Lieber Daddy Long Legs

Jean Webster

Aus dem Englischen von Ingo Herzke

erschienen 2017 im Königskinder Verlag

ISBN 978-3-551-56044-5

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Seit ich denken kann, liebe ich Fred Astaire-Filme. Ich kann stundenlang mit glänzenden Augen vor dem Fernseher sitzen und mir eine Tanzszene nach der nächsten ansehen. Und es ist mir normalerweise dabei gänzlich egal, wer seine Tanzpartnerin ist (wobei Ginger Rogers, Cyd Charisse und Rita Hayworth, in genau dieser Reihenfolge, mir durchaus lieber sind als die anderen, egal, wie gut sie tanzen). Und natürlich kenne ich auch „Daddy Long Legs“ und finde den Film ganz wunderbar und das, obwohl die grausliche Leslie Caron die Hauptrolle spielt. Jahaaa, richtig, „grauslich“ – ich mag sie überhaupt gar nicht. Dummerweise spielt sie in ein paar wirklich guten Tanzfilmen mit, man kommt also nicht drumherum. Aber wie gesagt, ich finde „Daddy Long Legs“ ganz wunderbar und das liegt unter anderem an der entzückenden Geschichte.
Irgendwann bin ich in der örtlichen Bücherei über den Roman von Jean Webster gestolpert, der die Vorlage zum Film darstellt, und habe ihn mir damals regelmäßig ausgeliehen. Wahrscheinlich hätte ich ihn auswendig mitsprechen können…
Tja, und dann bin ich erwachsen geworden – eine sehr dumme Idee im Übrigen, die ich inzwischen nach Leibeskräften umzukehren versuche – und habe Film und Buch bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Bis…

Bis ich in einer Buchhandlung die wirklich wunderschöne Ausgabe des Königskinder-Verlags entdeckt habe. An der Kasse teilte man mir dann mit, “ es sei aber nur ein Kinderbuch, dafür allerdings ganz nett“. Wer im Zusammenhang mit Kinderbüchern „nur“ benutzt, der hat von der ganzen Sache wenig Ahnung, finde ich, habe aber schweigend bezahlt und meinen Schatz nach Hause getragen.
Selten findet man ein derart liebevoll gestaltetes Buch. Rosen, wo man hinblickt, auf dem Einband, dem Vorsatz, dem Schutzumschlag. Den ziert zusätzlich noch die Silhuette eines Herrn mit Zylinder, dem eine gewisse Ähnlichkeit zu Herrn Astaire nicht abzusprechen ist. Einen Inhalt gibt es auch, und der ist nicht zu vernachlässigen: Jean Webster hat einen federleichten Briefroman über ein junges Waisenmädchen geschrieben, das seinen Weg findet, fröhlich, keck, ehrlich und liebenswürdig. Der Roman zaubert dem Leser blitzschnell ein Lächeln ins Gesicht, obwohl bei genauerer Betrachtung gar nicht alles immer so zum Lächeln ist. Das sind Waisenhäuser nie, und um 1912 noch weniger.

„Lieber Daddy Long Legs“ ist also ein rundherum gelungenes Glücklich-Mach-Buch erster Güte, auch wenn es angeblich „nur“ ein Kinderbuch ist. Ist es genau genommen allerdings keineswegs, sondern ein ausgesprochen charmantes Buch für junge Damen, romantisch, durchaus klug und mit einer wirklich liebenswerten Protagonistin.
So. Und jetzt gehe ich frevelhafterweise fernsehen. Something’s gotta give…

 

Weitere Rezensionen zu diesem Buch:

Buchperlenblog https://buchperlenblog.wordpress.com/2018/01/12/rezension-jean-webster-lieber-daddy-long-legs/
Bücherschmöker https://buecherschmoeker.com/2017/11/10/rezension-lieber-daddy-long-legs-von-jean-webster/
Trallafittibooks https://trallafittibooks.com/2017/10/02/vorstellung-jean-webster-lieber-daddy-long-legs/
Irve liest https://irveliest.wordpress.com/2017/12/10/jean-webster-lieber-daddy-long-legs/

Mitmach Buch

Der heutige Buchtipp kommt von Jessica Fröhlich-Brandes. Sie ist Lehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach guten Kinderbüchern…

„Ich liebe Bücher, bei denen man mitmachen kann!
Kinderbücher, insbesondere Bilderbücher, gibt es so einige. Es gibt sehr schöne Geschichten, Wimmelbücher, Sachbücher und auch Mitmachbücher. Letztere finde ich als Lehrerin und Mutter besonders spannend.

Das Buch, welches ich heute vorstellen möchte, heißt auch genau so. Nämlich „Mitmach Buch“. Der Autor bzw Künstler ist Hervé Tullet, erschienen ist das Buch 2010 im Christophorus Verlag, es kostet 12,99 € und hat die ISBN 978-3-8411-0016-0.
das Buch ist in sämtlichen Sprachen erhältlich und sogar, was mich besonders freut, für  blinde und sehbehinderte Kinder „übersetzt“ worden.

Das Buch ist eigentlich ein klassisches Bilderbuch. Bunte Bilder, wenig Text. Aber so ganz klassisch ist es eben doch nicht, denn man wird beim Anschauen aufgefordert Dinge zu tun und abzuwarten, was passiert. Der Klappentext fasst es ganz gut zusammen: „Das ist ein ganz besonderes Buch, mach, was es Dir sagt und Du wirst staunen.“ Und das stimmt wirklich.
Kinder können viel Zeit mit diesem Buch verbringen, ganz nebenbei Farben lernen, Anweisungen befolgen, lesen und links und rechts unterscheiden üben und auch für Erwachsene hat es einen hohen Aufforderungscharakter.

Es gibt noch zahlreiche weitere Bücher von Hervé Tullet in ganz unterschiedlichen Stilen und zu verschiedenen Themen, aber immer bunt und motivierend und spannend. Ein Stöbern lohnt sich.
Wer neugierig auf den Autor/ Künstler ist, kann unter www.herve-tullet.com mehr erfahren.

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Mitmach Buch

Hervé Tullet

erschienen im Christophorus VerlagChristophorus Verlag

ISBN 978-3-8411-0016-0

Geschichten aus dem Dschungelbuch

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Das Dschungelbuch

Rudyard Kipling

erschienen 2004 im Cecilie Dressler Verlag

ISBN 3-7915-3605-2

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Ich mag Disney-Filme. Wirklich. Aber ich mag nicht, was sie so manchem Buch angetan haben. Bis zur Unkenntlichkeit verzuckert, kennt kaum noch jemand die ursprüngliche Vorlage. Die Kinderklassiker-Reihe von Dressler verschafft Abhilfe. Man erhält dort nicht nur die Bücherreihe von Pamela L. Travers zu einer überaus strengen Gouvernante namens Mary Poppins, sondern auch Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“. Zwar ist auch dies eine Ausgabe für Kinder, aber sie hält sich weitgehend an Inhalt und Wortlaut des Originals.

Und welch ein Schatz an Geschichten und Liedern ist dort zu entdecken! Natürlich lesen wir von Mowgli, Baloo und Bagheera, aber eben auch von Kotick, einem weißen Robbenmännchen, der sein Leben der Suche nach einem Ort widmet, wo er und seine Artgenossen sicher sind vor dem Zugriff menschlicher Robbenschlächter. Oder von Rikki-tikki-tavi, einem Mungo, der seine Familie vor einem Angriff durch Königskobras schützt. Und von dem Jungen Toomai, der beim Tanz der Elefanten anwesend sein darf. Allen Geschichten gemeinsam ist die Achtung vor dem Wesen und Können der Tiere und die offensichtliche Liebe zur wilden Seite der Natur.

Rudyard Kipling wurde 1865 in Indien geboren und lebte dort bis zum Alter von fünf Jahren. Danach wurde er, wie für die Kinder der in den Kolonien lebenden Engländer üblich, per Schiff nach Großbritannien verfrachtet, um dort zur Schule zu gehen. Der Schock über den Verlust alles Gewohnten, einschließlich der Eltern, muss riesig gewesen sein. Erst mit sechzehn Jahren kehrt er zurück. Bis 1889 bereist er als Zeitungskorrespondent den indischen Subkontinent. „Das Dschungelbuch“ entsteht allerdings wesentlich später erst, nach der Geburt seiner ersten Tochter. 1907 erhält Kipling für sein Gesamtwerk den Literaturnobelpreis. Und dürfte der einzige Preisträger sein, der hauptsächlich bekannt ist für ein Kinderbuch. Vielleicht sollte Disney auch die Werke anderer Preisträger bearbeiten?

Was die Erzählungen und Lieder, man darf sie auf keinen Fall vergessen, die Lieder, die jeder Erzählung zugeordnet sind, so besonders macht, ist der meisterhafte Sprachgebrauch. Die Genauigkeit, mit der alles beschrieben wird, die Stimmungen, die Kipling mühelos hervorruft. Man sieht den Dschungel, die Robbenfelsen, den Elefantentanzplatz, hört das Lärmen der Affen, den Wellenschlag, das Trommeln der Elefantenfüsse, riecht das Feuer, den Geruch von Meer und Salzluft. Er ist ein echter Geschichtenerzähler, einer, dessen Gestalten beim Lesen lebendig werden.

Und so ist es im Grunde gar kein Wunder, dass seine Geschichten um Mowgli, das Menschenkind, das im Dschungel aufwächst und den mächtigen Tiger Shir Khan besiegt, die Vorlage wurden für einen der berühmtesten Disney-Filme. Was ich den Machern des Films allerdings nie verzeihen werde, ist, was sie aus Kaa, der mächtigen und weisen Baumpython gemacht haben. Denn die Achtung, die Kipling seinen Lebewesen entgegen bringt und das Wissen um ihr Wesen und ihre Lebensweise, die findet man im Film nicht mehr. Und darum wird es Zeit, dass das wirkliche Dschungelbuch wieder gelesen wird. Damit nicht nur Mowgli, sondern auch Kotick und Rikki-tikki-tavi unvergessen bleiben.

Die wahre Geschichte des Weihnachtsmannes

Matt Haig

Ein Junge namens Weihnacht

ISBN 978-3-423-28088-4

Das Mädchen, das Weihnachten rettete

ISBN 978-3-423-28128-7

erschienen 2016 und 2017 bei dtv

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Mit diesen beiden Weihnachtsbüchern legt der dtv-Verlag zwei herrlich phantasievolle, aber gänzlich unreligiöse Geschichten rund um den Weihnachtsmann vor.

Der erste Band erzählt, wie aus dem armen Jungen Nikolas schlußendlich der Weihnachtsmann wird, warum Rentiere fliegen können, wo die Wichtel wohnen und noch vieles mehr. Vorallem aber erfahren wir etwas über die magische Wirkung von Herzensgüte und ganz wichtig, wie und warum der Weihnachtsmann das erste Mal auszog, die Kinder zu beschenken.

Im zweiten Band ist genau diese Idee, alle Kinder zu Weihnachten zu beschenken, in Gefahr. Intrigen im Wichteldorf und der mangelnde Glaube der Menschen an Wunder stellen den Weihnachtsmann vor schier unlösbare Probleme. Warum ein kleines Mädchen namens Amelia ihm helfen kann und wie es doch noch gelingt, alle Geschenke zu verteilen, das sollte man selbst lesen.

Und es macht auch als Erwachsener Spass Haigs Bücher zu lesen. Angesiedelt in einem düsteren viktorianischen Setting, wie man es von Charles Dickens kennt, sind Nikolas und Amelia ganz sicher keine glücklichen und geborgenen Kinder. Matt Haig schreibt über große Armut, über Armenhäuser, hartherzige Menschen, über Hunger und Kälte. Und darüber, wie man in einer solchen Umgebung nicht die Hoffnung verliert, wie man trotzdem an Wunder glaubt und sich Humor bewahrt. Und humorvoll sind die Bücher denn auch geschrieben, voll hintergründigem Witz und liebevoller Ironie (doch, das geht!), voller Magie und natürlich auch voller Wunder – schließlich geht es um Weihnachten.

Eine zusätzliche Freude und äußerst gelungene Untermalung des Textes sind die Illustrationen von Chris Mould. Besser konnte man die Stimmung der Bücher nicht einfangen.

Alles in allem also zwei wunderschön gestaltete Weihnachtsbücher mit anrührenden, herzerwärmenden Geschichten, die auch hervorragend zum Vorlesen geeignet sind. Das Beste, was mir in letzter Zeit an neuen Werihnachtsbüchern begegnet ist, mit dem Zeug dazu, uns über Jahre zu begleiten.