Kurzgeschichten

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Alle wollen was erleben
Fabian Hischmann
erschienen am 05.08.2019 im Berlin Verlag
ISBN 978-3-8270-1357-6

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Alle wollen was erleben, nur ich leider nicht. Zumindest nicht in dieser Form. Fabian Hischmann hat einen Kurzgeschichten-Band vorgelegt, der seine wirklich schönen sprachlichen Seiten hat, mir aber insgesamt etwas zu beliebig war. Für jeden ist etwas dabei: Ella verliert ihren Bruder während einer Ablenkung; Sophie, die früher Benedykt hieß, wünscht sich Anerkennung; Lukas und Roman ziehen gemeinsam ein Kind groß… Eine Geschichte reiht sich an die nächste, keine hat mich großartig berührt, etwas anklingen lassen. Alle Stories sind sicherlich nah am Zeitgeist, behandeln aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen, aber mir fehlt Substanz. Alles schwebt, ist aus der Zeit gegriffen, beginnt und endet irgendwo, wird nur angerissen. Das ist ein Konzept, das durchaus Leser ansprechen mag, ein Konzept bei dem man vieles selbst überdenken kann, das zum Nachdenken anregen soll, leider haben mich die Charaktere zu wenig interessiert, um das zu tun. Das Buch ist an mir vorbeigerauscht, wie Grasland im Zug. Bisweilen merkt man auf, aber nie genug, um anzuhalten und genauer hinzusehen.
Vielleicht hätte ich bekennende Schnelleserin die Geschichten häppchenweise lesen sollen, nur eine am Tag, als Denkanregung. Oder so. Vielleicht bin ich auch schlicht der falsche Lesetyp, eine, die dicke Wälzer Kurzgeschichten meistens vorzieht.
Mich erinnert der ganze Band an dieses derzeit so beliebte Entrümpelungskonzept, bei dem nur das allernötigste zum Leben erhalten bleibt, der Rest weiß gestrichen wird und irgendwo eine einzelne dekorative Teeschale herumsteht. Ich sammele Porzellan, bin notorisch unordentlich und fühle mich erst wohl, wenn es aussieht wie in einer Hobbithöhle. Was ich damit sagen möchte? Das Buch und ich passen nicht zueinander. Aber es wird bestimmt seine Liebhaber finden.

Ich danke dem Berlin Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

 

Hund und Mensch

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Darwins Hund
Bryan Sykes
Aus dem Englischen von Anne Emmert
erschienen am 21.09.2019 im Klett-Cotta Verlag
ISBN 978-3-608-96448-6

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„Die Geschichte des Menschen und seines besten Freundes“ ist dieses Buch untertitelt. Und „Bryan Sykes beleuchtet die innige Beziehung zu unserem treusten Gefährten“… heißt es auf der Buchrückseite. Das ist schon richtig, aber trotzdem irreführend.
Bryan Sykes ist Humangenetiker. Ihm gelang es als erstem, DNS aus antiken Knochen zu gewinnen. In seinen bisherigen Büchern und Veröffentlichungen beschäftigt er sich hauptsächlich mit der Genetik und Abstammung des Menschen. Kurz, Sykes ist Wissenschaftler. Wenn man sich mit der Herkunft des Menschen befasst, stößt man unweigerlich irgendwann auf den Hund. Weil er quasi immer dabei war, zumindest seit rund 40 000 Jahren.
Nun ist Sykes kein wirklicher Hundefreund und eigentlich ist das sogar förderlich. Er hat nie selbst Hunde gehalten, trifft daher seine Schlüsse anhand vorliegender wissenschaftlicher Daten und ohne viel Gefühlsduselei. „Darwins Hund“ ist eine Zusammenfassung des jetzigen Standes der Caniden-Forschung in der Interpretation des Autors. Nicht mehr und nicht weniger.
Bryan Sykes bemüht sich sehr, logisch und allgemein verständlich zu erklären. Trotzdem sollte der Leser den Willen und das Interesse haben, sich fachlich mit der Herkunft des Hundes auseinanderzusetzen. Es geht um den schlüssigen Nachweis der Abstammung vom Wolf über mitochondriale DNA, es geht um Knochenfunde und ihre Datierung und letztendlich auch um Zucht und Rassestandards.
Das Ganze ist anschaulich aufbereitet, in lockerem Ton geschrieben und daher gut les- und nachvollziehbar. Einzig die Interviews seiner Frau mit Hundehaltern fand ich persönlich unpassend. Sie sollten die Beziehung des Menschen zum Hund verdeutlichen, vielleicht auch den wissenschaftlichen Ton abmildern. Es geht dabei um die Frage „Lieben Sie Ihren Hund und wenn ja, warum?“ und eine bunte Menschenmischung im Park und anderswo aufgegabelter Menschen darf antworten. Das ist vielleicht zum Teil ganz rührend zu lesen, gibt aber keine Antwort auf die Frage nach der Beziehung des Menschen zum Hund. Ja, ich liebe meine Hunde, und nun?
Fazit: Eine eigentlich gute Zusammenfassung zu Herkunft und Verhalten des Hundes, die aber daran kränkelt, aufgrund besserer Lesbarkeit o.ä. den Pfad der Wissenschaft zu verlassen.

Ich danke dem Klett-Cotta Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Joseph von Hammer-Purgstall

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Der Hammer
Dirk Stermann
erschienen am 17.09.2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-04701-6

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Was für ein Roman! Ich mag die Formulierung „prall gefühlt mit…“ ja nicht so sehr, aber selten passte sie so gut wie hier: prall gefüllt nun also mit Farben, Gerüchen, Träumen und Illusionen, mit Politik, Sprache, Geschichte, mit Joseph Hammer, mit Bildern aus dem Orient und aus den schmutzigsten Gossen Wiens.
1787. Der dreizehnjährige Joseph wird von seinem Vater aus der österreichischen Provinz nach Wien gebracht, um Zögling an der Orientalischen Akademie zu werden. Dort soll er Sprachen lernen. Höchstes Ziel ist es, nach Abschluß der Ausbildung nach Konstantinopel beordert zu werden. Joseph ist genauso talentiert wie ehrgeizig und so sollte seinen Träumen wenig im Weg stehen…
Dirk Stermann ist mit „Der Hammer“ eine großartige Romanbiographie gelungen, an der der echte Joseph von Hammer-Purgstall wohl seine Freude gehabt hätte. Komplett aus der Sicht seines Protagonisten geschrieben, sehen wir von Hammer ein ums andere Mal an der Natur der Menschen scheitern und dabei quasi im Vorbeigehen Großes vollbringen. Der Hammer ist brilliant, aber eben auch unbequem, wenig diplomatisch und von niederer Herkunft, Adelstitel und -sitz kommen erst spät im Leben. Und so ziehen die guten Posten an ihm vorbei, leidet er lautstark unter der Unfähigkeit seiner Vorgesetzten, verkriecht sich zunehmend hinter seinen Büchern und Übersetzungen.
Stermann erweckt die Wiener Gesellschaft zu neuem Leben, lässt die Puppen tanzen, sogar Napoleon höchstselbst hat einen Auftritt, von Metternich darf Gift verspritzen und der König Bälle suchen wie ein gut abgerichteter Apportierhund.
Romane mit geschichtlichem Hintergrund sind kein einfaches Feld. Viel zu häufig werden dabei Menschen mit heutigem Benehmen und Denken in ein historisches Setting gepresst. Heraus kommen austauschbare und blutleere Erzählungen mit ein bisschen aufgemalter Kulisse. Ganz anders ist da dieser Roman: Sprache, Verhalten, Umgebung, alles passt zusammen. Der Erzähler sieht, was Hammer sieht, riecht, was Hammer riecht, wittert mit ihm Ämtermissbrauch und Vetternwirtschaft und läßt den Leser am egozentrischen Weltbild seines Protagonisten teilhaben. Und trotzdem verschmilzt er nicht kritiklos, man spürt schon recht schnell, wo der Hammer schief hängt. Ein wirklich lesenswerter Roman über ein großes Talent und einen Grantler erster Güte, bei dem man sich die Zeit nehmen sollte, ihn Seite für Seite zu genießen.

Ich danke dem Rowohlt Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Skandinavien trifft Britannien

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Marte kocht
Marte Marie Forsberg
Aus dem Englischen von Annegret Hunke-Wormser und Claudia Theiss-Passaro
erschienen am 25.Juni 2019 im Knesebeck Verlag
ISBN 978-3-95728-192-0

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Nachdem ich nun ja endlich eine funktionsfähige Küche habe, meine letzte war knapp vierzig Jahre alt und definitiv gebrechlich, kann ich mich dort so ausleben, wie ich es mir immer schon gewünscht habe. Mein Mann mag klassische Gerichte, jede Komponente in einem eigenen Schüsselchen, ich mag orientalisch-indisch-asiatische Küche, mein Sohn liebt Nudeln in allen Versionen. Zusätzlich jedoch entwickeln wir gerade eine Freude am Experimentieren, am Ausprobieren neuer Rezepte. Irgendwie bodenständig muss es für meine Männer jedoch schon bleiben und da passt Marte Marie Forsbergs Kochbuch ganz wunderbar.
Nach Jahreszeiten sortiert finden sich dort klassisch englische Gerichte wie Yorkshire Pudding oder Toad-in-the-hole, aber auch skandinavische Erbsensuppe oder traditioneller norwegischer Milchreis, eben den Wurzeln der Autorin entsprechend. Gute, möglichst frische Zutaten regionaler Anbieter und Zeit sind die Hauptkomponenten von Marte Marie Forsbergs Rezepten, Husch-husch-Varianten wird man vergebens suchen. I-Tüpfelchen ist ein zusätzliches Kapitel mit Rezepten für den Afternoon Tea.
Das alles ist sehr liebevoll präsentiert, mit stimmungsvollen Bildern und untermalt von Erzählungen aus Marte Maries Leben: wie es sie in ein englisches Cottage verschlagen hat, wie sie in Norwegen groß geworden ist, was für sie im Leben zählt und natürlich auch, warum sie diese Rezepte ausgewählt hat und was sie ihr bedeuten.
Wer aufregende, neue Ideen sucht, dem dürfte der Aufbau zu klassisch sein, die Gerichte nicht außergewöhnlich genug. Für familiäre Wohlfühlküche ist das Buch allerdings perfekt, gerade richtig, um mit der ganzen Familie eine gemeinsame Mahlzeit herzurichten. Kneten, bruzzeln, abschmecken, lachen, diese Rezepte erfüllen die Küche mit Wärme. Und sind es nicht genau diese Momente, an die man sich gerne erinnert?

Weitere Besprechungen:

Becky’s Diner https://beckysdiner.wordpress.com/2019/08/24/rezension-marte-kocht/
Literaturwerkstatt-kreativ https://literaturwerkstattkreativblog.wordpress.com/2019/09/29/marte-kocht-von-marte-marie-forsberg/

Fanny

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Die Königin schweigt
Laura Freudenthaler
erschienen am 09.September 2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-71705-7

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Fanny und ihr Bruder wachsen in den 30iger Jahren auf dem elterlichen Hof auf. Der Vater ist sehr streng, das Leben hart. Schon früh müssen die Kinder mit anpacken. Trotzdem darf Fanny später sogar eine weiterführende Schule besuchen, die Kinder sollen es einmal besser haben.
Eine kurze Phase des Glücks erlebt Fanny mit dem Schulmeister des Dorfes. Sie verlieben sich, gehen tanzen, heiraten, bekommen einen Sohn. Fanny ist nun die Schulmeisterin, zuständig für die Mittagsspeisung der Schulkinder, geachtet im ganzen Dorf.
Nebenbei hilft sie weiter auf dem Hof aus. Bis der Bruder im Krieg stirbt, die Eltern den Hof verkaufen.
Ihr Mann stirbt bei einem Autounfall, Fanny ist nun alleinerziehend. Sie verläßt das Dorf, sucht ihr Auskommen in der großen Stadt.
Fannys ganzes Leben läßt Laura Freudenthaler an uns vorbei ziehen. Ein Leben geprägt von harter Arbeit, Unglück, Tod und Schweigen. Denn über Gefühle redet man nicht, das hat Fanny von kleinauf so gelernt. Wenn es gar nicht mehr geht, nimmt man den Strick, ansonsten presst man die Lippen aufeinander und macht den Rücken lang.
Alles zieht so an Fanny vorbei, der Schmerz, die Liebe, Einsamkeit, ohne dass sie es wagt, die Gefühle zu teilen. Nur wenn sie allein ist, kann sie der Gedankenflut nicht Einhalt gebieten, rollt alles über sie hinweg.
Ganz allein treffen wir sie im Alter an, nur eine Enkelin hat sie noch, unerreichbar, irgendwo im Ausland. Ein ganzes diszipliniertes, hartes Leben- und am Ende bleibt davon nichts hängen, am Ende sind die Hände leer und die Räume stumm.
Lakonisch schreibt die Autorin über Fanny, so wortkarg wie ihre Protagonistin. Leid durchzieht das Buch, Trauer, nicht endenwollendes Unglück. Aber Fanny hält durch und dafür gebührt ihr Bewunderung, neben dem Mitleid, das sie nicht wollen würde.
Ein stilles, aber dennoch beeindruckendes Buch über ein nicht ungewöhnliches Frauenschicksal, über eine „einfache“ Frau und ihr dennoch erinnerungswürdiges Schicksal.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

 

Briefe an den Sohn

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Über die Kunst, ein Gentleman zu sein
Earl of Chesterfield
Aus dem Englischen von Gisbert Haefs
erschienen am 30. September 2019 im Manesse Verlag
ISBN 978-3-7175-2484-7

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Das Besondere am Manesse Verlag ist die Liebe zu den weniger bekannten Klassikern. So erscheint dort eben nicht nur der x-te Jane Austen-Band, sondern zum Beispiel das japanische Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon oder auch ausgewählte Briefe des Earl of Chesterfield an seinen Sohn.
Mit seinen Briefen gedachte der Earl seinen Sohn zu einem Gentleman und Staatsmann nach eigenem Vorbilde zu erziehen. Von 1739 bis 1768 schrieb er fast vierhundert dieser Briefe, an den Fünfjährigen ebenso wie an den über Dreißigjährigen. Es geht um Fragen der Moral, des Benehmens, der Bildung, der Religion, der Politik, schlicht um das gesamte Wissen, das einen Mann von Stand zu dieser Zeit auszeichnete.
Der Earl scheiterte grandios. Der Sohn, auf den er nicht gelinden Druck ausübte, war unehelich, während die offizielle Ehe kinderlos blieb. Alle Mühen der Erziehung, die Hauslehrer, die Reisen, die ausgewählten Kontakte blieben nutzlos, der Sohn wurde weder zum Gentleman, noch entwickelte er nennenswerte Manieren. Zu guter Letzt starb er jung noch vor dem Vater und hinterließ als Überraschung eine Ehefrau und Kinder in Frankreich.

„Mein Ziel ist es, Dich für das Leben tauglich zu sehen; solltest Du dies nicht sein, habe ich nicht den Wunsch, dass Du überhaupt lebst. Meine Zuneigung zu Dir ist – und wird es immer nur sein- proportional zu Deinen Verdiensten; dies ist die einzige Zuneigung, die ein rationales Wesen für ein anderes empfinden sollte.“

Unter diesen Umständen zu einem charmanten Mann von Welt heranzuwachsen, dürfte ein schwieriges Unterfangen sein. Warum sollte man diesem gescheiterten Erziehungsprojekt also weiterhin Aufmerksamkeit schenken?
Weil es darin eben hauptsächlich um die Ausbildung eines angenehmen (gentle) Wesens geht. Und das ist in der heutigen Zeit genauso von Vorteil wie damals. Es geht darum, seine Arbeit konzentriert zu erledigen, darum, in Gesellschaft eher zuzuhören als sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, es geht um Höflichkeit, um Anstand, um Strebsamkeit und Disziplin. Man kann die Briefe nicht eins zu eins auf unsere heutigen Lebensumstände übertragen, man kann aber sehr wohl Anregungen aus ihnen ziehen, sogar im Umgang mit den sozialen Medien:

„Aber dies will ich Dir raten: niemals ganze Gruppen gleich welcher Art anzugreifen, denn abgesehen davon, dass sämtliche allgemeinen Regeln ihre Ausnahmen haben, machst Du Dir ohne Not eine große Menge Feinde, indem Du ein Corps insgesamt attackierst.“

Natürlich sind die Briefe im Geiste ihrer Zeit zu lesen, so macht es z.B. wenig Sinn, dem Earl Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, er spiegelt lediglich die Ansichten seiner Zeit. Aber seine Anregungen kann man geschlechterunspezifisch umsetzen: selbständig denken, nicht ungeprüft andererleuts Meinung übernehmen, Menschen nicht unnötig verbal verletzen und über unbedeutende Eigentümlichkeiten hinwegsehen, aber wenn nötig auch für die eigene Meinung einstehen. Ein solches Benehmen würde auch heutige Konversationen häufig vereinfachen. Und es spricht nun wahrlich nichts dagegen, sich als von angenehmem Wesen zu erweisen, oder?

Ich danke dem Manesse Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

AstroLibrium widmet dem Buch ein ganzes Projekt: https://astrolibrium.wordpress.com/projekte/das-gentleman-projekt/