Familienbande

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Die Altruisten
Andrew Ridker
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
erschienen am 23. September 2019 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-60024-4

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Vor einigen Wochen bekam ich überraschend Buchpost aus dem Penguin Verlag. Ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut, daher auf diesem Wege herzlichen Dank dafür!
Leider konnte ich trotz meiner Freude wenig mit dem Roman anfangen. Dabei ist er „das Sensationsdebüt aus den USA“, ist „kühn, klug, komisch“ und Gary Shteyngart findet ihn brillant.
Ich nicht. Bedauerlicherweise.
Es geht um die Familie, die man sich ja bekanntermaßen nicht aussuchen kann. In diesem Falle um Francine und Arthur und ihre erwachsenen Kinder Ethan und Maggie. Francine ist der Mittelpunkt, die, die alles zusammenhält. Nach ihrem Krebstod bricht der Kontakt zwischen Arthur und seinen Kindern mehr oder weniger ab. Arthur beschäftigt sich mit seiner nicht vorhandenen Professorenkarriere und seiner Geliebten, Maggie will die Welt retten und Ethan hat sich in seiner Designerwohnung eingeigelt.
Bis Arthur seine Kinder einlädt, um sie zu bitten, auf ihr Erbe zu verzichten, um sein Haus zu retten.
Soweit, so gut. Es hätte mir ungemein geholfen, wenn es eine, nur eine einzige nicht nervige oder unsympathische Person gegeben hätte. Arthur ist eine Vollkatastrophe, Maggie unerträglich und Ethan, naja, Ethan spielt auch mit. Das Lesen hat mich zunehmend angestrengt, zumal mir der Sinn hinter der Geschichte verborgen blieb. Arthur ist ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, kreiselt nur um sein Wohl oder Wehe, Maggie leidet am Elend der Welt und Ethan kämpft mit seiner Homosexualität.
Ich fand den Roman nicht kühn, warum auch? Klug ist der Autor sicherlich, keine Frage, der Roman vielleicht auch, aber komisch ganz sicher nicht. Und die feine Ironie ist mir auch entgangen.
Kurz, die Altruisten und ich waren überhaupt nicht auf einer Wellenlänge. Ich finde das schade, freue mich aber für diejenigen, die Humor und Inhalt mehr zu würdigen wußten.

Ich danke dem Penguin Verlag für das Leseexemplar.

 

 

Unveröffentlichte Erzählungen

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Für dich würde ich sterben
F. Scott Fitzgerald
Aus dem Amerikanischen von Gregor Runge, Andrea Stumpf und Melanie Walz
erschienen am 24. Juli 2019 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-24488-5

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Hier haben wir einen der seltenen Fälle, wo das Nachwort spannender ist als die Erzählungen selbst.
F. Scott Fitzgerald, der gestern 123 Jahre alt geworden wäre, hat seine Kerze immer an beiden Enden brennen lassen. Neben den Romanen arbeitete er auch an Drehbüchern und Erzählungen. Sein exzessiver Lebensstil mit Alkohol, Partys und Reisen verschlang viel Geld. Nachschub konnte schnell organisiert werden mit dem Verkauf von Short Stories an Magazine. Eine Sammlung solcher Erzählungen findet sich in diesem Buch, allerdings sind es unveröffentlichte, von den Zeitschriften aus diversen Gründen abgelehnte Arbeiten.
Herausgeberin Anne Margaret Daniel erzählt die Entstehungsgeschichte der einzelnen Texte, führt ein in den Fitzgerald-Kosmos, erläutert und kommentiert einzelne Textstellen. Mit diesem Teil der Ausgabe habe ich mich überaus gern beschäftigt. Man merkt der Autorin an, dass sie Lesungen zum Thema Fitzgerald an Universitäten hält.
In den Erzählungen selbst spürt man Fitzgeralds überbordendes Talent und sein großes Können. Man erkennt aber auch schnell, warum die Texte wohl abgelehnt wurden. Das mag teilweise daran liegen, dass ihre Themen für den damaligen Zeitungsgeschmack zu abgründig waren. Unter den abgelehnten Texten sind aber durchaus auch die erwünschten Liebesgeschichten, u.a. eine Slapstick-Version von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“. Allen gemeinsam ist jedoch eine fehlende Ausarbeitung. Das Ganze wirkt wie mit der heißen Nadel gestrickt, schablonenhaft.
Da Fitzgerald eine Überarbeitung seiner Stories verweigerte, kam es immer häufiger zu Absagen.
Zusätzlich begann 1927 eine eher unglückliche Zusammenarbeit mit Hollywood, der die drehbuchartigen Texte zu verdanken sind.
Die Herausgabe von nicht veröffentlichten, teils verschollenen Erzählungen und Fragmenten ist sicherlich sehr verdienstvoll und dient der Vervollständigung des Gesamtwerks. Und einen Einblick in die Welt und den Stil Fitzgeralds liefert die Ausgabe natürlich auch. Aber schlussendlich ist diese Sammlung doch eher etwas für Liebhaber.

Ich danke dem Diogenes Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

Die Bibliothekarin https://diebibliothekarin1.wordpress.com/2019/08/19/f-scott-fitzgerald-fuer-dich-wuerde-ich-sterben/

Dame Edith Sitwell

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Die Dame hinter dem Vorhang
Veronika Peters
erschienen am 23. September 2019 im Wunderraum Verlag
ISBN 978-3-336-54808-8

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Die Bücher des Wunderraum Verlags sind eigentlich alle hübsch. Es sind sozusagen Wohlfühlbücher für Leseratten. Fest gebunden mit Lesebändchen, einem zum Thema passenden Cover und Vorsatzband, das lässt Augen leuchten.
Noch mehr Glanz bekamen meine Augen allerdings bei diesem Roman beim Lesen des Klappentextes. Es geht um Dame Edith Sitwell, eine der größten britischen Schriftstellerinnen ihrer Zeit, exzentrisch, spitzzüngig, eine Ikone.
Geboren 1887 auf Renishaw, einem Herrenhaus in Yorkshire, als Tochter eines Baronet, wächst sie in gesicherten, aber lieblosen Verhältnissen auf. Von der Mutter ob mangelnder Schönheit verachtet, vom Vater wegen ihres freien Geistes kritisiert, blüht sie erst mit 25 Jahren nach einem Umzug nach London auf, wo sie sich mit ihrer Gouvernante eine Wohnung teilt. Sie bekommt Kontakt zu anderen Künstlern, veröffentlicht erste Arbeiten. Es folgen Ruhm und Anfeindungen, ein wechselvolles Leben, das 1964 endet.
Diesem Weg folgt auch der Roman, aber aus Sicht einer fiktiven Bediensteten, einer Art Kammerzofe. Eigentlich keine schlechte Wahl, denn näher hätte kaum eine Person der privaten Edith Sitwell kommen können. Eigentlich deshalb, weil das Buch selbst leider einer Edith Sitwell wenig gerecht wird. Das hat sie wahrlich nicht verdient, Bestandteil eines seichten Downton Abbey-Abklatsches zu werden. Und eine derart naive, aber von sich eingenommene Person wie diese Jane Bannister hätte sie wohl auch kaum zu ihrer Vertrauten gemacht.
Warum ist das eigentlich so, dass „Literatur für Frauen“ so häufig hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt und sich lieber mit der xten Beschreibung einer Perlenkette abgibt? Es ist ja logisch, dass ein Dienstmädchen damaliger Zeit keine hohe Literatur schreibt, aber muss das Ganze denn so platt klingen, so vorhersehbar, so austauschbar? Der Roman hangelt sich am Leben der Protagonistin entlang, kein Charakter ist ausgearbeitet, vielmehr besteht er aus name dropping und dazu passenden Anekdötchen. Tiefgang? Fehlanzeige.
Dabei wäre das Potential ja da gewesen. Wie geht es einer Bediensteten mit einer so ungewöhnlichen Herrin? Wie geht sie damit um, einerseits berühmte Künstler kennenzulernen und andererseits jederzeit Tee servieren zu müssen? Wie ist es, ein Leben lang nur am Rand zu stehen und dem Getümmel zuzusehen?
Schlußendlich ist Jane nur das Vehikel, um über Dame Edith Sitwells Leben zu plaudern. Das ist mir persönlich einfach zu wenig. Zumal da jede Biographie aufschlußreicher ist.

Ich danke dem Wunderraum Verlag für das zur Verfügung gestellte Lesexemplar.

 

 

21. Juli 1969

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Wo wir waren
Norbert Zähringer
erschienen am 12. März 2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-07669-6

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Am 21. Juli 1969 betritt der erste Mensch den Mond. Und von dieser Nacht ausgehend, erzählt Zähringer die Geschichte seiner Protagonisten. Er springt dabei in den Zeitebenen, verschränkt die Leben seiner Charaktere miteinander und schafft so ganz unaufgeregt das Panorama eines ganzen Jahrhunderts.
Man muss aufmerksam lesen, denn nebenbei Erwähntes wird wieder aufgegriffen, Personen oder Ereignisse tauchen in anderen Zusammenhängen auf, müssen neu bewertet werden. Das geschieht ohne überzogene Dramatik, die Erzählweise ist ruhig. Das hilft dem Leser den Überblick zu behalten zum einen, zum anderen aber auch das zu ertragen, was da erzählt wird. In einem Jahrhundert mit gleich zwei Kriegen gibt es eben nicht nur schöne Momente. Von Bombennächten ist die Rede, aber auch von Kindesmissbrauch in Waisenheimen, von Selbstmordversuchen. Der Bogen reicht von den Gräben des Ersten Weltkrieges bis zum IT-Boom der Achtziger.
Beeindruckend ist dieser Roman, sprachlich und inhaltlich. Vor allem kommt er ohne die derzeit so beliebten fiktiven Welten, ohne plakativen Fingerzeig auf Mißstände aus. Den Finger auf die Wunde legt Zähringer trotzdem. Er läßt dem Leser allerdings den Spielraum selbst zu denken. Das ist eine selten gewordene Kunst und daher ist es umso erfreulicher, wenn sie so souverän beherrscht wird.
„Wo wir waren“ steht zwar auf der Longlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis, ist aber das Buch, von dem man, zumindest war das mein Eindruck, am wenigsten gehört hat. Das empfinde ich als überaus bedauerlich, wäre es doch in meinen Augen ein verdienter Shortlist-Kandidat gewesen. Denn wo findet man noch Autoren, die lange Bögen schlagen können ohne den Erzählfaden zu verlieren, die Weitwinkel statt Makroaufnahme wählen, große Bühne statt Kammerspiel?
2001 erschien Norbert Zähringers Debüt. Seitdem hat er nur vier weitere Romane herausgebracht. Auch das ist selten geworden: ein Autor, der seinen Texten Zeit gibt. Einen Eindruck davon gibt die Rechercheliste am Ende des Romans.
Wer also wirklich großartige Literatur lesen möchte, der sollte „Wo wir waren“ eine Chance geben…

Ich danke dem Rowohlt Verlag sehr herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

Lesen macht glücklich https://lesenmachtgluecklich.wordpress.com/2019/09/14/rezension-buchpreisbloggen-norbert-zaehringer-wo-wir-waren/

Heimaten

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Herkunft
Sasa Stanisic
erschienen am 18. März 2019 im Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87473-9

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Deutschland ist im Aufbruch, so mein Eindruck. Wohin die Reise geht ist ungewiss. Auf der einen Seite demonstrieren unzählige Menschen für eine Wandlung im Umgang mit unserer Heimat Erde, auf der anderen Seite erhalten Parteien Zuwachs, die den Begriff „Heimat“ sehr eng fassen. „Deutschland den Deutschen“ ist wieder salonfähig.
Sasa Stanisics Buch trifft somit den Zeitgeist. Herkunft und Zukunft, das sind Themen, die derzeit viele beschäftigen.
Herkunft ist Zufall, der erste von vielen im Leben. Wo wir geboren werden, die Entscheidung liegt nicht bei uns. Stanisic ist in Jugoslawien geboren, einem Staat, den es so nicht mehr gibt. Als Kind hat er in Visegrad gelebt, seine Familie kommt aber ursprünglich väterlicherseits aus einem kleinen Bergdorf mit nur noch wenigen Einwohnern. Wie soll er nun also seine Herkunft benennen: Jugoslawien, Visegrad oder doch Oskorusa? Und was ist Heimat? Der Ort seiner Kindheit, der Herkunftsort seiner Familie, ein Land, das nicht mehr existiert oder Deutschland, wo er den Großteil seines Lebens verbracht hat?
Stanisic läßt den Leser an seinen Überlegungen teilhaben, schreibt sehr eindrücklich über ein Leben als Flüchtling in Deutschland, schreibt über sein Leben vor der Flucht und zeigt dabei, dass Begriffe wie „Heimat“ und „Herkunft“ der eigenen Interpretation überlassen und vor allem wandelbar sind. Heimat kann ein Stück Land sein, eine Person oder auch eine Erinnerung, ist mehr ein Gefühl, als ein konkreter Punkt auf der Landkarte.
Mit „Herkunft“ legt Stanisic sein persönlichstes Buch vor, ein Buch, das zu Recht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2019 steht. Nicht umsonst zählt Stanisic zu Deutschlands derzeit besten Autoren. Sein Umgang mit Sprache, ebenso spielerisch wie präzise, seine ungewöhnliche Herangehensweise, seine Einfühlsamkeit in der Beschreibung seiner Umgebung, das alles macht „Herkunft“ zu einem besonders lesenswerten Buch. Intelligenz und Empathie gegen Stammtischparolen, Weltoffenheit gegen Abschottung und Experimentierfreude in Literatur und Alltag, das wäre ein guter Weg in die Zukunft…

Ich danke dem Luchterhand Literaturverlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Weitere Besprechungen:

Zeichen & Zeiten https://zeichenundzeiten.com/2019/09/05/sasa-stanisic-herkunft/
literaturleuchtet https://literaturleuchtet.wordpress.com/2019/07/05/sasa-stanisic-herkunft-der-hoerverlag/
Bookster HRO https://booksterhro.wordpress.com/2019/04/02/sasa-stanisic-herkunft/
letteratura https://letteraturablog.wordpress.com/2019/07/08/was-ist-heimat-sasa-stanisic-herkunft/
Buchrevier https://buchrevier.com/2019/04/06/sasa-stanisic-herkunft/
Lesen in vollen Zügen https://leseninvollenzuegen.wordpress.com/2019/07/07/review-herkunft/

 

Sehnsucht

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West
Carys Davies
Deutsch von Eva Bonné
erschienen am 10. Juni 2019 im Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87606-1

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In der heutigen Zeit einen Western zu schreiben, das ist schon eher ungewöhnlich. Diesen dann mit 204 Seiten eher anzulegen wie eine Novelle, das ist gewagt.
Carys Davies gelingt dieses Wagnis. Die Geschichte über Cy Bellman, der 1815 auszieht das Fürchten zu lernen, ist so voller Poesie, Melancholie und Sehnsucht, dass man sie so schnell nicht vergisst.
Besagter Cy Bellman ist Maultierzüchter in Pennsylvania, die Frau ist verstorben, er hat eine 12jährige Tochter Bess und eine Schwester namens Julie. Durch kluge Entscheidungen und harte Arbeit hat er ein gutes Auskommen, Lesen und Schreiben beherrscht er auch leidlich. In der Zeitung liest er vom Knochenfund eines unbekannten Wesens. Die Idee, dieses Wesen aufzuspüren, lässt ihn nicht mehr los. Und so entschließt er sich, gen Westen zu ziehen und danach zu suchen in den unerforschten Teilen des Kontinents. Bess bleibt mit ihrer Tante Julie zurück. Bis auf die Hilfe eines Nachbarn sind sie auf sich allein gestellt.
Von diesem Moment an verläuft die Erzählung zweigleisig. Wir lesen über Bellmans Abenteuer, die Einsamkeit, die Härten der Natur, über seine wenigen Begegnungen mit Menschen. Parallel dazu erfahren wir, wie es Bess geht mit ihrer wenig liebevollen Tante, lesen über ihre zunehmende Einsamkeit und die Gefahren für ein junges, sich entwickelndes Mädchen ohne Vater.
„West“ hat in weiten Teilen eine fast märchenhafte Stimmung, besonders am Ende, wo eine sehr spezielle gute Fee ihren Auftritt hat, und trotzdem geht es hier nicht um Wildwest-Romantik. Bellman folgt zwar seinen Träumen, zahlt aber den Preis dafür in einer realen Welt, während Bess wenig Spielraum für Träume hat. Ihr bleibt nur die Hoffnung, ihr Vater käme irgendwann zurück.
Es ist eine Kunst, so viel Stoff in so kurzer Form zu bearbeiten, ohne dass der Text überladen und gekünstelt wirkt. So sehr man es sich auch wünscht, der Roman dürfte nicht länger sein, er würde seinen Zauber verlieren. Cary Davies gelingt es, alle Elemente des klassischen Westerns einzubauen, den „lonesome rider“, die „weißer Mann trifft roten Mann“-Thematik, die Freiheit in der Natur, ohne Klischees zu übernehmen. Sie schreibt über einen Mythos und entmythisiert ihn gleichzeitig. Eine wirklich großartige Umsetzung und Neuinterpretation eines scheinbar altbekannten Sujets.

Ich danke dem Luchterhand Literaturverlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Weitere Besprechungen:

Buchperlenblog https://buchperlenblog.com/2019/06/20/rezension-carys-davies-west/
letusreadsomebooks https://letusreadsomebooks.com/2019/07/31/carys-davies-west/
Esthers Bücher https://esthersbuecher.com/2019/08/13/carys-davies-west/
Kuhle Bücher https://kuhlebuecher.com/2019/06/22/west-von-carys-davies/

 

 

Danach

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Die Rückkehr
Ernst Lothar
erschienen am 10. Juni 2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-71794-1

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1949 erschien dieser Roman erstmalig. Und thematisierte etwas, das damals niemand hören oder lesen wollte. In heutiger Zeit, mit einer wiedererstarkenden Rechten, ist „Die Rückkehr“ ein wichtiges Zeitdokument, das Einblick gibt in die direkte Nachkriegszeit.
1938 emigriert die österreichische Bankiersfamilie von Geldern in die USA. Nun, 1946, reist der jüngste Spross des Hauses, Felix von Geldern, mit seiner Großmutter Viktoria nach Wien. Vordergründig um finanzielle Angelegenheiten der Familie zu regeln, eigentlich aber, um seine Heimat wiederzusehen und seine Mutter, die die Ausreise damals verweigert hatte. Sie ist liiert mit einem Nazi-Mitläufer und konnte oder wollte sich nicht trennen. Damit geht ein Riss durch die engste Familie. Viktoria lehnt Felix‘ Mutter wegen ihrer Haltung ab, Felix steht zwischen den Stühlen, denn einerseits liebt er seine Mutter, andererseits teilt er Viktorias Einschätzung.
Felix ist in der Zwischenzeit amerikanischer Staatsbürger geworden, verlobt mit einer jungen Amerikanerin. Er trauert jedoch immer noch um seine Jugendliebe, die im Krieg umgekommen sein soll. Als er sie quicklebendig wiedersieht, überrollt ihn die Tiefe seiner noch vorhandenen Gefühle. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Gertrud um des Vorteils willen eine Affäre mit Goebbels eingegangen ist und nun mit einem Amerikaner liiert ist.
Und das ist der Kern des Romans. Es gibt keine einfachen Einteilungen in schwarz oder weiß im Leben. Gertrud ist Felix‘ große Liebe und er muss erkennen, dass seine Gefühle sich wenig darum scheren, was in der Zwischenzeit geschehen ist. Nun ist dies aber keine kitschige Liebesgeschichte mit Happy End, sondern ein realistischer Nachkriegsroman. Und eine Affäre mit Goebbels kann man nicht einfach aus dem Lebenslauf streichen, genausowenig wie man an die Vergangenheit nahtlos anknüpfen kann. Und so muss Felix erleben, dass der Besuch in seiner alten Heimat zunehmend schwieriger wird und er immer zerissener. Bei jeder Begegnung stellt sich als erstes die Frage, was hat der- oder diejenige im Krieg gemacht, auf welcher Seite stehen die einzelnen Personen.
Felix gehört nirgendwo so wirklich hin. Er ist amerikanischer Staatsbürger, aber eben nicht gebürtig. Also betrachten ihn die Amerikaner bisweilen mit Misstrauen. Er ist kein Österreicher mehr, das nehmen ihm die Landsleute übel. Er hat die Emigrationszeit vergleichsweise angenehm verbracht, das trennt ihn von den Menschen, die in den Lagern leiden mussten. Er bzw seine Familie ist wohlhabend, das ruft bei den ausgebombten und hungernden Wienern Missgunst und Neid hervor. Und den immer noch offen auftretenden Nazis ist er eh ein Dorn im Auge.
Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Roman 1949 nicht gerade begrüßt wurde. Niemand wollte damals eine so harte Beschreibung der vorhandenen Situation lesen. Und vor allem wollte sich wohl kaum einer der Schuld-Frage stellen. Der Krieg war vorbei, nun wurde wieder aufgebaut. An Hunger und Not waren die Besetzer schuld, der Grund für den Krieg schnell vergessen. Die Amis waren doch reich, da hätten sie ja wohl mehr abgeben können, sich mehr kümmern können. Schließlich hatte man sich ja nicht selbst ausgebombt…
Ernst Lothar beschrieb wohl mehr oder weniger, was er selbst erlebt hatte. Er war gelernter Jurist wie seine Figur Felix von Geldern, arbeitete aber später als Theaterkritiker und Intendant des Theaters in der Josefstadt. 1938 flüchtete er in die USA, 1946 kehrte er als Theater- und Musikbeauftragter des US Departments of State zurück. Anders als von Geldern war Lothar Jude, seine Flucht daher nicht freiwillig, sondern lebensnotwendig. Sein Bezug zum Theater fließt wohl in die Figur der Gertrud, einer ehrgeizigen jungen Opernsängerin.
Ein Roman, der zu Recht neu aufgelegt wurde und es verdient gelesen zu werden. Fast würde ich sagen, ein Roman, den jeder lesen sollte, um sich ein Bild zu machen von der damaligen Zeit zum einen und zum anderen, um die Parallelen zur heutigen Zeit zu erkennen, die Verhaltensmuster und Methoden der Nazis und ihrer Mitläufer, die sich nicht einen Deut geändert haben und unfassbarerweise wieder funktionieren, als hätte die Vergangenheit nicht stattgefunden.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

Zeichen & Zeiten https://zeichenundzeiten.com/2018/08/23/fremde-heimat-ernst-lothar-die-rueckkehr/

Das Tagebuch des Egidius Arimond

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Winterbienen
Norbert Scheuer
erschienen am 18. Juli 2019 im Verlag C.H. Beck
ISBN 978-3-406-73963-7

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1944/45. In einem kleinen Eifelstädtchen lebt auf einem abgelegenen Hof Egidius Arimond. Er ist ehemaliger Gymnasiallehrer, im Deutschland Adolf Hitlers wegen seiner Epilepsie freigestellt und mit Mißtrauen betrachtet. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit Bienenzucht, in seiner freien Zeit verhilft er Juden zur Flucht über die Grenze nach Belgien. Gegen Geld, das er für seine Medikamente braucht.
Arimonds Leben dreht sich um die Bienen, sie sind sein Lebenssinn, sein Unterhalt, seine Freude, die er mit dem Leser teilt. Wir erfahren etwas über Zuchtsorten, Lebenszyklen, Ernährungsweise, Brutpflege. Eher nebenbei erzählt er von seinem restlichen Alltag, dem Kampf um die Medikamente, den Liebschaften, seiner Arbeit als Fluchthelfer. Er versteckt die Flüchtlinge in Höhlen in der Nähe seines Hofes und schmuggelt sie in Bienenkörben über die Grenze. Wie groß die Gefahr ist, in die er sich begibt, scheint ihm nicht vollends klar zu sein.
Arimond ist ein stiller Mensch, nicht weltabgekehrt, aber selbstgenügsam. Und so ist auch der Roman, der aus Tagebucheinträgen besteht. Es gibt keine lauten Verzweiflungsausbrüche, keine Wutschreie. Leise, fast eintönig vergehen die Tage. Und doch sind die Zeilen eindringlich. Eindringlich, weil so viel zwischen den Zeilen steht, das stutzen und aufmerken läßt. So ist Arimond durchaus beliebt bei den Frauen. Dem kann er gefahrlos nachgehen, weil er als Mensch mit einer Behinderung sterilisiert wurde.
“ Die Entscheidungen zur Zwangsterilisation und zur Euthanasie liegen beim Amtsgericht. Ich wurde im nahegelegenen Krankenhaus sterilisiert. Dass ich nicht wie andere in eine Anstalt überführt und dort umgebracht wurde, hing wohl mit der Stellung meines Bruders zusammen.“
Ein Leben am seidenen Faden. In einem lebensgefährlichen Kreislauf: mit seiner Erkrankung sollte er unauffällig bleiben. Dafür braucht er Medikamente, die schwer zu bekommen und teuer sind. Genügend Geld kommt nur über Flüchtlingstransporte herein. Und schlußendlich braucht es eine schlüssige Antwort auf die Frage, wo ein Mensch, der von der Herstellung von Bienenprodukten lebt, denn soviel Geld her hat.
Man muss sich einlassen können auf den Stil dieses Romans. Und man braucht Ruhe und Zeit. In einer hektischen Umgebung und halb abgelenkt gelesen, entfaltet sich der Zauber dieses stillen Buches nicht. Dann wirkt der Text dröge und ereignislos. Nimmt man sich jedoch die Zeit und folgt Arimonds mäandernden Gedankengängen, dann liest man einen Text, der in seiner schlichten Schönheit und stillen Eindringlichkeit noch lange nachhallt.

Weitere Besprechungen:

Bookster HRO https://booksterhro.wordpress.com/2019/07/30/norbert-scheuer-winterbienen/
Literatur leuchtet https://literaturleuchtet.wordpress.com/2019/08/08/norbert-scheuer-winterbienen-c-h-beck-verlag/
Zeichen & Zeiten https://zeichenundzeiten.com/2019/08/26/norbert-scheuer-winterbienen/

 

Das wirre Leben der Cheri Matzner

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Das wilde Leben der Cheri Matzner
Tracy Barone
Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer
erschienen am 24.April 2019 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-07055-2

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Dieses Buch hat mich sprachlos gemacht. Innerlich, weil ich ja beim Lesen nicht sabbele. Ich wäre aber auch gar nicht zu Wort gekommen. Der Text schreit förmlich vor Mitteilungsbedürfnis. Und es gibt nichts, was es nicht gibt. Eine ganze Seifenoper in einem Buch von 500 Seiten. Nicht viel, gemessen am Inhalt.
Baby Cheri wird von einer drogensüchtigen Mutter geboren und gleich im Krankenhaus „vergessen“. Baby kommt zu baseballbesessenen Pflegeeltern. Wird dann adoptiert vom jüdischen Arzt Sol und seiner italienischen Frau Cici, in Ermangelung eigener Kinder. Jede Szene wird filmreif und so genau beschrieben, dass man die Folgen der Seifenoper anhand des Buches durchnummerieren könnte, wollte man sie denn drehen. Baby Cheri wird ein schwieriger Teenager und eine noch schwierigere Erwachsene. Sie ist waffenbesessen, macht eine Ausbildung zur Polizistin. Irgendetwas läuft schief und sie studiert Alte Sprachen und wird Professorin. Verheiratet ist sie auch, mit einem unsympathischen Egomanen, der seine künstlerische Ader sucht.
Bis dahin fand ich das Ganze zwar etwas überladen, aber insgesamt ganz witzig. Für mich lief es auf eine weibliche Midlife-Crisis hinaus, einen Selbstfindungsprozess. In Richtung „wer bin ich?“, „wer sind meine richtigen Eltern?“, „wo will ich im Leben hin?“. Leider reichte der bis dahin verarbeitete Stoff der Autorin nicht und tatsächlich, sie konnte die Dramatik steigern. Wir treffen auf einen Dschungelschamanen, der kryptische Voraussagen macht, jede Menge bewußtseinserweiternde Drogen und dann, ganz plötzlich erkrankt der künstlerische Egomanen-Ehemann unheilbar an Krebs.
Nachdem das letzte Jahr auch bei uns dem Kampf gegen Krebs gewidmet war, allerdings bisher, wenn auch sehr knapp, mit positivem Ausgang, traf das einen empfindlichen Punkt. Ich wollte nicht weiterlesen. Weil ich wußte, was kommt. Weil ich mich dem nicht schon wieder aussetzen wollte. Und weil der Text mich geärgert hat und ich zunehmend nach dem Sinn des Buches gesucht habe. Tracy Barone hetzt Cheri durchs Leben, lädt ihr alles auf die Schultern, was nicht bei drei die Flucht ergriffen hat und mit welcher Erkenntnis? Das Leben ist anstrengend? Ich konnte das Gefühl nicht unterdrücken, dass hier jemand zu oft „Desperate Housewives“ geguckt hat. In einem Roman muss nicht an jeder Ecke eine verbuddelte Leiche lauern, damit es spannend bleibt. Feiner dosiert hätte das ein interessantes Buch werden können, denn an Schreibvermögen mangelt es der Autorin wirklich nicht. Es gibt ganz wunderbare Szenen, die aber in der Menge des Belanglosen untergehen. Verfilmt und in Serienhäppchen verpackt, könnte daraus dennoch ein Treffer werden.

Ich danke dem Diogenes Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.