Brecht
Heinrich Breloer
erschienen am 14.02.2019 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05198-8
Brecht. Roman seines Lebens. So lautet der knappe Titel dieses 527-Seiten-Wälzers. 527 Seiten, das ist doch nicht viel, wird so mancher denken. Und dann noch unzählige Photos, das liest sich doch recht schnell. Irrtum. Das zieht sich wie die B4. Rechts ein Dorf und links ein Baum und immer geradeaus.
Zunächst muss man wissen, dass das Ganze ein Buch zum Film ist. Es gibt einen Film? Es gibt einen Film. Mit Burghart Klaußner als Brecht und Adele Neuhauser als Helene Weigel. Die beigefügten Bilder sind daher meist aus diesem Film, Originalphotos sind so gut wie nicht vorhanden. Die etwas unbeholfen eingefügten Erklärungen zu Drehbelangen hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, aber vielleicht gehören die zu einem solchen Buch-Film-Konzept zwingend dazu, wer weiß?
Dann „Roman seines Lebens“, nicht Biographie. Breloer füllt seine Recherchelücken mit hättekönntewürde, geschrieben wie eine penible Inhaltsangabe des Films: „Augsburg, eine Gasse in der Nacht. Wir blicken auf eine hohe Mauer. Ein Lampion erscheint, wie ein Ton auf einer Notenlinie…“ (S.42)
Es geht um den „privaten“ Brecht, um den Menschen hinter der Fassade des Genies, weniger um seine Werke. Die werden natürlich genannt, größere Erfolge oder Niederlagen am Theater auch beschrieben, an der Recherche ist nichts auszusetzen, aber in erster Linie sind es die Beziehungen und Liebschaften, die rechts und links unserer Landstraße liegen, die den Autor angezogen haben müssen wie die Motte das Licht.
Und, was soll ich sagen? In der nächsten Zeit wird niemand den Namen Brecht nennen können, ohne dass es mich gewaltig schüttelt. Ein zudringlicher Widerling, egoistisch, narzistisch und gefühlskalt, dabei zum Ausgleich rücksichtslos, Herr der Besetzungscouch und lüstern über jede Jungschauspielerin herfallend. Aber nur so konnte er selbstverständlich das Beste aus den Damen herausholen. Aha.
Brechts Genie waren alle untertan, der hatte immer das hellste und größte Zimmer und ausreichend Platz für seinen Harem. Und so geben sich 527 Seiten lang die Bewunderinnen die Türklinke in die Hand. Dazwischen schreibt der Meister Stücke und huldigt dem Kommunismus. Lebt in seiner Theater- und Schlafzimmerblase und verpasst die tatsächlichen Ereignisse in der DDR. Waren nun aber auch nicht seine Probleme, der Brecht konnte ja ein- und ausreisen und seine Meinung ungestraft kundtun. Puh.
Ich bin mit Brechts Texten groß geworden. Vor allem mit der Dreigroschenoper und Mahagonny, aber natürlich auch mit der Courage oder der Heiligen Johanna. Sein episches Theater, sein Umgang mit der Sprache, seine Forderung, das Publikum selbst denken zu lassen, haben Großes und Großartiges auf den Theaterbühnen entstehen lassen.
Dem Menschen Brecht, wenn er denn Breloers Beschreibungen entsprochen hat und davon gehe ich doch weitestgehend aus, dem Menschen hätte ich nicht begegnen mögen. Der Autor Brecht hat die Theater gefüllt, der Mensch Brecht hat mich in seiner Vorhersehbarkeit geärgert und gelangweilt. Eine Liebelei und noch eine Liebelei, und das in Endlosschleife.
Oder wie er es selbst formuliert hat in der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“:
Da steht nun einer fast schon unterm Galgen
Der Kalk ist schon gekauft, ihn einzukalken.
Sein Leben hängt an einem brüch’gen Fädchen.
Und was hat er im Kopf, der Bursche? Mädchen!
Schon unterm Galgen, ist er noch bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Das habe ich auch erst so richtig nachgelesen, nachdem ich vor kurzem die Dreigroschenoper sah…
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https://litteraedd.wordpress.com/2019/02/10/ein-operettenbesuch/
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Ich habe mich bisher nicht großartig mit Brechts Privatleben befasst, muss ich gestehen, scheine da aber auch nichts verpasst zu haben…
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Das ist wohl leider so mit dem Privatleben. Aber jetzt mal langsam und nicht zum Mißverstehen: auch er war ein Kind seiner Zeit, nicht aber von Traurigkeit (in dieser Hinsicht). Was machten denn die Anderen? Wir müssen nicht gleich bei Arthur Miller anfangen, wir könnten Picasso nehmen oder Einstein, nicht nur die Künstler, nein. WIr könnten zurückgehen zu Goethe und Heine und fänden genug Beispiele. Es gibt Gegenbeispiele, ja, Thomas Mann vielleicht, aber da steht ja wieder Anderes im Raum, und wir wissen, wie das damals gesehen bzw. gestraft wurde. Andere Gegenbeispiele? Zuhauf, gewiß. Viele aber, sehr viele, ob Meister ihres Fachs, große Künstler oder sonstwie große Männer waren nach heutigen Maßstäben einfach Ferkel. Heute käme ja so jemand nicht mehr zu Ehren, nicht wahr, die Macht der emanzipatorischen Bewegung hat uns alle verändert, hat dies umöglich gemacht, da können wir sicher sein. Niemand sagt mehr öffentlich, man könne, genug Moneten vorausgesetzt, eine Frau einfach an die… Doch? Wer hat da eben doch gesagt?
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Natürlich war er ein Kind seiner Zeit. Und viele großen Künstler waren so. Ja, doch. Aber nicht alle hatten die Moral so für sich gepachtet zum einen und zum anderen kann man und darf man den Künstler vom Mann trennen. Ich bin sicher, er hätte auch Großes leisten können und seine Mitmenschen netter behandeln. Das geht. Bestimmt.
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Ja, das geht. Und es geht nicht um nachträgliche Entschuldigung oder so, denn es gab ja auch noch ein paar andere, die ein wenig anständiger handelten. Aber ich sehe die große, große Gefahr, dass wir nicht nur im Bundeskanzleramt Bilder abhängen. Nur weil uns der Künstler als Mensch oder auch der Künstler als politischer Mensch nicht gefällt. Wir müssen uns auch den anschauen, wenn wir den ganzen Menschen sehen wollen und etwa ihn biografisch begreifen wollen. Aber wir brauchen keine Biografie, um uns die Dreigroschenoper anzuschauen. Ich halte es auch für nicht richtig, etwa alte Bücher umzuschreiben oder Menschen aus Filmen herauszuschneiden, nur weil sie sich als Person nicht gut benommen haben. Wen könnten wir denn am Ende noch stehen lassen? Wollen wir einen Brecht verurteilen, um dann nur z.B. fröhlich Quax der Bruchpilot mit Heinz Rühmann anzuschauen, reine, muntere Nazipropaganda? Wollen wir wirklich der fröhlich anarchischen Emanze Pipilotta eine moderne Sprache beibringen? Das geht schief, am Ende sind die Museen und Bibliotheken leer. Was richtig ist, wenn ich mich mit dem ganzen Künstler und seinem Werk beschäftige muß ich hinschauen, muß ich sehen, wie der sich seinen Zeitgenossen, seinen Bettgenossen, überhaupt anderen gegenüber verhalten hat. Rosseau war wichtig, aber er hat seine Kinder weggegeben, Hemmingway ein großer Autor, jedoch neben anderen Eigenheiten durchaus unkritisch gegen Justizmorde. Wen nehmen wir noch? Es wäre falsch, Brecht als netten oder gar perfekten Menschen zu sehen. Es ist nach wie vor richtig, ihn als großen Theatermann und Dichter zu sehen.
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Hm, wo genau schreibe ich, dass man Brecht vom Spielplan absetzen sollte? Und in meinem obigen Kommentar empfehle ich, den Künstler vom Menschen zu trennen. Auch Gerhart Hauptmann hat Grosses geleistet, obwohl er sich privat jedem Régime angedreht hat. Brecht war privat wohl ein Ekel. Aber deshalb die Courage nicht mehr aufführen? Lächerlich. Nur wenn das Werk selbst Fragwürdiges transportiert, muss man zumindest hinterfragen, finde ich. Umschreiben ist allerdings für mich eine unsägliche Lösung. Einen Picasso würde man ja auch nicht übermalen.
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Keine Sorge, diese Forderung steht nicht im Text. Aber war es nicht erst, dass eine Hauswand übermalt wurde? Weil dort – überflüssig zu diskutieren, ob es dort wirklich hätte stehen müssen, aber irgend jemand schrieb es hin – ein Gedicht stand. Jetzt ist es nicht etwa eine schön reine weiße Hauswand, sondern es steht dort wieder was. Anscheinend braves. Und tatsächlich im Bundeskanzleramt Bilder abgehängt wurden, weil sie jetzt auf einmal (hätte man vorher schon wissen können, hätte man nur gewollt) darauf kamen, daß der Maler ein Nazi war. Oder eben Bücher umgeschrieben werden, u.a. Pippi Langstrumpf. Und Schauspieler, die sich wie Ferkel benommen haben, aus Filmen geschnitten werden. Wer weiß, wann jemand beginnt, Picasso zu übermalen…
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Fazit: ich darf eine Künstlerbiographie zwar lesen, aber meine Meinung dazu möglichst nicht veröffentlichen, wenn sie denn nicht positiv ist?
Wir haben übrigens Jim Knopf ohne Änderungen gelesen und das Wort „Neger“ als Anlass genommen mit unserem Sohn über die Geschichte der Sklaverei zu sprechen.
Und in den Zeiten als ich noch sang, waren es gerne Brecht /Weill-Lieder. Die für mich jetzt auch nicht einen Deut weniger großartig sind.
Wobei ich wirklich einfach nicht verstehen kann, was mein Nichtmögen des Mannes Brecht mit einer geänderten Pippi Langstrumpf oder abgehängten Bildern im Kanzleramt zu tun haben soll.
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Doch. Wir können uns schnell einigen: Brecht war speziell im Umgang mit dem anderen, dem weiblichen Geschlecht ein Ferkel, selbst für seine für Männer großzügige Zeit. Und das darf man kundtun. Wir leben nur in dieser Überschreibe-Zeit des metoo. Was daran schlecht ist? Nichts an metoo, aber an jeder Übertreibung bzw. jedem Ausnützen. Und das findet statt. Wenn kein Kind mehr weiß, wie man dunkelhäutige Menschen einmal nannte, worüber sollen wir mit ihm reden? Wenn kein Kind mehr weiß, dass das ganz häufig, auch so ganz beiläufig, abwertend gemeint war, obwohl Negus doch ein Ehrentitel der äthiopischen herrschenden Klasse ist, wie kann es in diese Widersinnigkeiten eintauchen? Wieso heißt dieser Fluß auf der Landkarte Niger, wieso der Kaffernbüffel wie er nun einmal heißt? Und wieso sprechen weiße Südstaatler dieses N-Wort so aus, wie sie es nun einmal tun? Genau, ich muß das historische auch mit der jüngeren Generation besprechen können.
Ich wollte hier nicht sagen, dass man nicht trefflich über Brecht oder meinetwegen Goethe als Mensch und Mann sprechen und auch herziehen darf, denn sie hatten wie nebenbei alle ihre Macken und haben diese, weil sie es konnten und keine innewohnende moralische Instanz ihnen anderes gebot, ausgelebt. Schlimm, nebenbei vor allem für die davon betroffenen Frauen.
Aber die Gesellschaft der Wohlmeinenden meint leider tatsächlich alles überschreiben zu dürfen und zu müssen, das Kind mit dem Bade und den Künstler mit dem Mann ausschütten, wegkippen, ja, vernichten zu dürfen, deshalb habe ich so reagiert!
Ich werde die alte Pippi und den alten Jim für die nächste Generation aufheben. Und vorlesen. Und drüber reden. Auch natürlich über den Quatsch, dass Pippis Papa in der Südsee Negerhäuptling werden will – als wenn Südseeinsulaner so dunkel wären, dass das jemals gepaßt hätte!
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