Großartiges Debut

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Liebwies
Irene Diwiak
als Taschenbuch erschienen am 23.Januar 2019 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-24441-0

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Es beginnt alles mit dem Musiklehrer Walther Köck, dessen Lebensweg in Liebwies strandet, einem einsam gelegenen Dörfchen mit Brigadoon-Charakter. Denn an Liebwies ist die Zeit vorbei gegangen, der Krieg, die technischen Neuerungen. Aber genau dort entdeckt Köck eine junge Sängerin mit unfassbarem Talent.
Das Buch wäre ein nettes Romänchen geworden, wäre es so märchenhaft weiter gegangen. Nichts jedoch liegt Irene Diwiak ferner in ihrem Debutroman, der durchzogen ist von tiefschwarzem Humor. Sie nimmt die Mechanismen des Kulturbetriebs auseinander, und daher zieht nicht die hochtalentierte Karoline in die Welt hinaus, sondern ihre unbegabte, aber hübsche Schwester. Denn merke, Schönheit geht vor Talent.
Das bekommt auch Ida Gussendorf zu spüren, die so unscheinbar ist, dass es schon wieder auffällig ist. Niemand nimmt Ida wirklich wahr, nicht ihre Mutter, nicht ihre Brüder und schon gar nicht ihr Gatte, der eitle Möchtegerndichter und -komponist August Gussendorf. Der gibt ungehemmt ihre Kompositionen als seine eigenen aus und sonnt sich in gestohlenem Ruhm.
Wie nun die Erzählstränge von Ida und der schönen Gisela zusammentreffen und was daraus entsteht, das möchte ich hier nicht weiter ausbreiten. Denn der Roman mit seinen teilweise skurrilen Charakteren, den unerwarteten Wendungen und dem sehr pointierten Erzählstil verdient es wirklich, viele Leser zu finden. Selten sieht man einen Debutroman, der schon so ausgewogen und treffsicher formuliert ist und einen so ausgeprägten eigenen Stil erkennen läßt. Ich hatte meine helle Freude an der Idee von einer Oper, bei der die Hauptdarstellerin möglichst nicht singen und schauspielen darf. Und auch, wenn der aufkeimende Nationalsozialismus scheinbar nur am Rande eine Rolle spielt, wird er immer wieder in den Text geflochten, sieht man früh, welche Charaktere sich wie positionieren werden. Ein spannender Blick auf die Zwanziger Jahre und ihre Freiheiten, aber auch auf die Fremdbestimmung, die für Frauen damals als selbstverständlich galt. Vergessen wir nie, welchen Preis andere zahlen mussten dafür, dass wir nun eigene Entscheidungen treffen dürfen und über unseren Körper weitgehend selbst bestimmen können.

Ich danke dem Diogenes Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Einsame Seelen

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Abendrot
Kent Haruf
Aus dem Amerikanischen von pociao
erschienen am 23.01.2019 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-07045-3

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Holt, Colorado. Dies ist nun das dritte Buch des amerikanischen Autors Kent Haruf, das in dieser fiktiven Kleinstadt spielt und inzwischen fühle ich mich dort ganz heimisch. Das Leben ist nicht einfach in Holt, ganz gewiss nicht. Die Farmer ringsum führen ein hartes Leben, geprägt von Trockenheit und Winden, sind Tag und Nacht im Einsatz. Und auch die Stadtbewohner tragen ihre Päckchen.
Haruf erzählt von gescheiterten Ehen, von Alkohol und Mißbrauch, von Armut und Gewalt. Er erzählt von Betty und Luther, die versuchen, am Rande des Existenzminimums ihre Familie zusammenzuhalten, von DJ, der nach dem Tod seiner Eltern bei seinem Großvater wohnt, von Rose, die als Sozialarbeiterin arbeitet. Auch bekannte Gesichter tauchen wieder auf, die man aus „Lied der Weite“ kennt: die McPheron-Brüder und Victoria, Tom Guthrie und seine Partnerin Maggie.
Lakonisch, realistisch, aber liebevoll, so ist der Blick des Autors auf seine Charaktere. Sie wirken echt, aus dem Leben gegriffen, solchen Menschen begegnet man sicher in zig Kleinstädten der USA. Sie kämpfen um ein menschenwürdiges Leben. Manchmal glückt es, manchmal leider auch nicht. Immer aber lässt Haruf ihnen ihre Würde, urteilt nicht vorschnell, zeigt unterschiedliche Blickwinkel.
Nachdem „Lied der Weite“ mir zu blass erschien, zu wortkarg, bin ich diesmal angekommen in Holt. Und das, obwohl dieser Roman düsterer ist und wirklich schmerzhafte Themen berührt. Andererseits lässt Haruf seinen Charakteren immer einen Hoffnungsschimmer, und sei er noch so klein. Außerdem gibt es die McPherons, die ich wirklich nicht mehr missen möchte. Ganz wunderbare Menschen, die der Autor da zum Leben erweckt hat.
Sechs Romane über Holt hat Kent Haruf geschrieben. Inzwischen bin ich wirklich gespannt auf die noch kommenden drei. Ich hoffe auf ein Wiedersehen mit ein paar Bekannten und auf neue Gesichter, hoffe, ich erfahre, was aus DJ wird und ob Roses Liebesgeschichte anhält. Mir sind Holts Bewohner ans Herz gewachsen, zumindest einige und damit hätte ich nach dem ersten Buch so gar nicht gerechnet. Vielleicht lese ich es in einer ruhigen Minute einfach nochmal. Vielleicht war ich damals einfach noch nicht bereit für Holt, Colorado.

Ich danke dem Diogenes Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar-

Hinter Gittern

Mann im Zoo von David Garnett

Mann im Zoo
David Garnett
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch
erschienen am 14.01.2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-71718-7

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Ich lese britische Literatur aus der Zeit von 1850-1950 ja sehr gern. Und daher habe ich letztes Jahr sehr erfreut David Garnett entdeckt, den ich seltsamerweise bis dahin gar nicht kannte. Sein Roman „Dame zu Fuchs“ hat mich fasziniert. Eine britische Landlady verwandelt sich auf einem Spaziergang plötzlich in eine Füchsin, was ihre Ehe durchaus vor Schwierigkeiten stellt. Das völlig absurde Szenario wird ganz ruhig und in seinen Abläufen selbstverständlich dargestellt. Genau so muss/wird es ablaufen, wenn jemand zum Tier wird, besonders, wenn dieser Jemand sehr britisch ist.
Nun veröffentlicht btb eine weitere Novelle Garnetts, „Mann im Zoo“. Ein junges Paar gerät sich bei einem Zoobesuch in die Haare. Im Eifer des Gefechts erklärt sie, er gehöre mit seinen veralteten Ansichten durchaus auch in den Zoo. Woraufhin der junge Mann Nägel mit Köpfen macht und in ein Gehege dort einzieht.
Klug beschreibt Garnett die darauf folgenden Ereignisse: große Besuchermengen, Käfigkoller, eifersüchtige Tiere in den Nebengehegen. Insgesamt zeigen die Tiere aber durchaus bessere Manieren als die Menschen. Besonders ein Karakal, ein Wüstenluchs, freundet sich mit dem jungen Mann an und hilft ihm, das Käfigleben zu bewältigen.
Auch hier beeindruckt die Selbstverständlichkeit, mit der Garnett den Verlauf erzählt.
Eine kleine feine, wieder sehr britische Erzählung, die den Aberwitz zur Normalität macht. Man kann nur hoffen, dass die vereinten Bemühungen von Dörlemann und btb David Garnett zu einem höheren Bekanntheitsgrad verhelfen. Verdient wäre es definitiv.

Ich danke dem btb Verlag für daszur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

We read Indie https://readindie.wordpress.com/2017/10/29/david-garnett-mann-im-zoo/

Isländer-Saga

Die Sturlungen von Einar Karason

Die Sturlungen
Einar Karason
Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson
als Taschenbuch erschienen am 14.Januar 2019 im btb Verlag
ISBN 978-3-442-71753-8

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Die Wikingerzeit interessiert mich schon länger und ich habe daher natürlich auch bereits einige Bücher zu dem Thema gelesen. Dieses aber ist besonders. Es handelt vom Aufstieg und Fall eines isländischen Clans, den Sturlungen. Die Isländer haben im Gegensatz zum Rest von Europa schon im Mittelalter einen sehr eigenen Kopf gehabt. Sie haben nämlich Bücher geschrieben und zwar in ihrer Landessprache. In einer Zeit, wo im Rest der Welt kaum jemand lesen und schreiben konnte, wo allenfalls in den Klöstern aufwendig religiöse Texte hergestellt und wenn überhaupt, dann auf Latein geschrieben wurde, wurden auf einer kleinen rauhen Insel ganze Sagas auf Isländisch bzw Altnordisch niedergeschrieben, wurde aus der mündlichen Überlieferung tatsächlich auch eine schriftliche. Und diesem Umstand verdanken wir auch die Texte über die Sturlungen, mehr noch, einer ihrer Anführer, genannt Skalden-Sturla, hat eine Chronik hinterlassen, die genauestens den Werdegang seiner Familie beschreibt.
Über zehn Jahre hat sich Einar Karason der Übertragung und Bearbeitung der Saga in eine modernisierte Form gewidmet. Und ich kann sagen, es war die Zeit wert! Mit Karasons Hilfe wird die Sturlungen-Zeit wieder lebendig, erlebt man Schlachten, Intrigen und Kämpfe hautnah. Man liest fassungslos vom Untergang Sturla Sighvatssons und fast seiner ganzen Sippschaft, hofft mit seinem Bruder Kakali auf einen Neuanfang, leidet mit Gissur nach dem grausamen Mord an seiner Familie.
Ständig wechselnde Perspektiven geben dem Leser eine Rundumsicht. Man muss sich allerdings auch an viele unterschiedliche Erzählstimmen gewöhnen. Die Vorteile überwiegen jedoch. Jede Stimme bringt eine eigene Sichtweise und Meinung mit, so dass man bei Kämpfen quasi in den Kopf beider Parteien schauen kann. Man erkennt schnell, wie Zwiste entstehen, wie Blutrache funktioniert, wenn man sie als gegebenes Muss akzeptiert hat, und dass Kämpfende auch damals schon unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Allzu zimperlich darf man bei der Lektüre übrigens nicht sein: es rollen Köpfe und diverse andere Gliedmassen und auch in den wenigen Friedenszeiten war das Leben hart und opferreich.
Kristof Magnusson ist eine großartige Übersetzung ins Deutsche gelungen. Die einfache und doch melodische Sprache passt zu den beschriebenen Menschen, passt zu der Zeit und ist doch durchgängig flüssig lesbar. Dadurch habe ich die 827 Seiten schneller bewältigt als erwartet und mochte mich eigentlich noch gar nicht von dem Text lösen.
Insgesamt eine wirklich gelungene Neubearbeitung eines mittelalterlichen Stoffes, ein tiefer Einblick in isländisches Leben und Wirken zur Zeit der Wikinger und dabei unerwarteterweise spannend wie ein Abenteuerroman. Ganz fabelhaft!

Ich danke dem btb Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

letusreadsomebooks https://letusreadsomebooks.com/2018/02/20/einar-karason-die-sturlungen-die-grosse-islaender-saga/

Sommer in Oxgodby

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Ein Monat auf dem Land
J. L. Carr
Aus dem Englischen von Monika Köpfer
Als Taschenbuch am 19.09.2017 erschienen im Dumont Verlag
ISBN 978-3-8321-6431-7

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1920. Der Kriegsveteran Tom Birkin hat eine Anstellung als Restaurator in dem kleinen Örtchen Oxgodby angetreten. Der traumatisierte, unter Gesichtszuckungen und Stottern leidende Mann, der zudem erst vor kurzem von seiner Frau verlassen wurde, soll dort in der Kirche ein Wandgemälde freilegen.
Tag für Tag steht er nun auf seinem Gerüst und befreit Zentimeter für Zentimeter das Fresko von Schmutz, Staub und Mörtel. Er wohnt unter einfachsten Umständen im Glockenturm, lernt ein paar Menschen kennen, mit denen er sich gut unterhalten kann, wird ein wenig ins Dorfleben eingebunden, aber findet vor allem Ruhe. Ruhe und Sommer und Natur.
Es passiert nicht viel in dieser so leichtfüssig geschriebenen Novelle. Und trotzdem steckt so viel Wissen darin. Das Wissen um die Heilkraft von Frieden, guter Gesellschaft, einer ausfüllenden Beschäftigung, frischer Landluft und ein bisschen Hoffnung auf Liebe. Das mag platt klingen, ist aber so feinfühlig und elegant formuliert, dass man geradezu spüren kann, wie die besondere Stimmung dieses Buches sich überträgt und man die nächsten Tage ein wenig hoffnungsfroher und entspannter in die Zukunft schaut.
Schon Carrs Roman über die Steeple Sinderby Wanderers, einen Dorfverein, der unerwartet einen Fußballpokal erringt, hat mich begeistert. Dieser Roman jedoch hat mich ein wenig verzaubert und ich bin sehr dankbar dafür. Ein ganz, ganz wunderbares Buch!

Ulenspiegel

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Tyll
Daniel Kehlmann
erschienen am 09.10.2017 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-03567-9

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Wenn ich an den Dreißigjährigen Krieg denke, fällt mir als Erstes immer der „Wallenstein“ von Gero Mann ein, ein wahres Mammutwerk, das das Leben des Feldherrn geradezu minutiös nachverfolgt. Besonders die seitenlangen Beschreibungen dessen, was ein Tross alles so mitführt, stehen mir da in bleibender Erinnerung vor Augen. Aber gerade diese übergenauen Schilderungen der Abläufe machen auch das Grauen so nachvollziehbar und die Dauer begreifbar.
Zeitgleich denke ich sofort an Grimmelshausens „Die Abenteuer des Simplicius Simplicissimus“ , einen Roman über einen jungen Adligen, der vom Krieg gewaltig gebeutelt wird, aber trotzdem irgendwie versucht zu überleben. Dabei muss der Held mehrfach die Seiten wechseln und findet keinen ruhigen Flecken in einem Land, indem ständig ganze Heere unterwegs sind, die wie die Heuschrecken alles kahlfressen und zum Dank Tod, Pest und Elend hinterlassen.
Kehlmanns „Tyll“ kommt etwas leichtfüssiger daher, aber nicht minder anschaulich. Der Autor verlegt das Leben des berühmten Schelmen Till Eulenspiegel vom 14. in das 17. Jahrhundert und mit diesem Tyll Ulenspiegel, wie Kehlmann ihn zeitgetreu nennt, erlebt der Leser alle Facetten dieses Krieges.
Tyll wächst als Müllersohn auf. Sein Vater ist aber eher an der Erklärung des Wesens der Welt interessiert, an Heilkunde und Magie, als an Mehl. Er gerät in Konflikt mit der Inquisition und wird zum Tode verurteilt. Tyll muss fliehen. Unterwegs schließt er sich einem Schausteller an und zieht alsbald mit Balladen, Seiltanz und Akrobatik durch die Lande. Nach und nach entwickelt er sich zu einer Legende, einem der wenigen Menschen, dem alle Stände in irgendeiner Form Achtung entgegenbringen. Und so ist er das Verbindungsglied in einer Geschichte, die aus vielen einzelnen Mosaikteilchen besteht. Wir erfahren von den Beweggründen und Nöten des Winterkönigs und seiner Frau (so genannt, weil seine Herrschaft nur einen Winter hielt), reiten mit Martin von Wolkenstein in Kriegsgebiet, versuchen mit Athanasius Kircher einen Drachen zu finden oder lesen vom harten Leben der Schausteller, die ja noch weit unter den Bauern stehen und irgendwo bei den Bettlern anzusiedeln sind.
Diese Perspektivwechsel geben dem Buch Tiefe, besonders, weil Kehlmann nie den roten Faden verliert, die Geschichte nie ausfasert oder sich in irgendwelchen Weiten verliert. Kehlmann nähert sich seinem Thema von allen Seiten an und bleibt dabei dem Kern nahe. Der Krieg ist dieses Thema, ob er nun aus religiösen oder machthungrigen Gründen geführt wird, der Krieg und die sich auflösende altbekannte Welt.
Ein großartiges Buch, das ein sehr komplexes Thema in einen wunderbar lesbaren Roman verwandelt. Und Tyll, der passt in diese Zeit deutlich besser als in seine angestammte, sein manchmal fast ans Bösartige grenzender Witz entspricht perfekt dem Lebensgefühl einer haltlosen Zeit.

 

Weitere Besprechungen:

arcimboldisworld https://arcimboldisworld.com/2018/08/25/daniel-kehlmann-tyll/
Zwischen Buchdeckeln https://zwischen-buchdeckeln.blog/2018/08/05/buchgedanken-daniel-kehlmann-tyll/
Culturama https://kulturaspekte.wordpress.com/2017/12/28/der-gestank-des-todes-tyll-von-daniel-kehlmann/
LiteraturReich https://literaturreich.wordpress.com/2017/11/23/daniel-kehlmann-tyll/

Richter Di

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Der Wandschirm aus rotem Lack
Robert van Gulik
Deutsch von Gretel und Kurt Kuhn
erschienen 1990 im Diogenes Verlag

Vor ein paar Tagen habe ich ja schon die historische Krimireihe um den mittelalterlichen Mönch Cadfael vorgestellt. Jetzt möchte ich noch weiter in der Zeit zurückgehen und zwar in das China der Tang-Dynastie. Dort läßt der niederländische Schriftsteller und Sinologe van Gulik nämlich seinen Richter Di ermitteln, d.h. zwischen 650 und 700. Jeder der 14 Bände enthält drei miteinander verschränkte Fälle, die Di durch Besonnenheit, Klugheit und Kombinationsgabe löst. In dem oben abgebildeten Roman z.B. geht es um den Tod einer Kanzlersgattin, den vermeintlichen Selbstmord eines Seidenhändlers und veruntreute Rechnungen.
Spannend sind nicht nur die Fälle selbst, sondern natürlich auch das Umfeld. Da Di in allen Gesellschaftsschichten recherchiert, erhält man fast nebenbei einen Einblick in das Leben zu der Zeit, von angesehenen Oberhäuptern bis hin zu Dieben und Prostituierten. Außerdem durchläuft Di in den Bänden die Stationen der damaligen Beamtenlaufbahn. Er startet als Bezirksbeamter und endet als Präsident des obersten Gerichtshofes. Van Gulik beschreibt sehr lebendig auch die jeweiligen mit den Ämtern verbundenen Aufgaben.
Begleitet wird Di von vier Helfern, einem Diener, den er von seinem Vater übernommen hat, einem früheren Betrüger und Falschspieler und zwei Brüdern, die ehemals die ehrenvolle Tätigkeit des Straßenräubers innehatten. Sie kennen sich in ihrem jeweiligen Gebiet gut aus, haben Kontakte oder dienen, im Falle der Brüder, bisweilen auch als Leibwache.
Leider ist diese ungewöhnliche Krimireihe nur noch antiquarisch erhältlich. Es lohnt aber trotzdem nach den Bänden Ausschau zu halten und mit ihnen eine Reise ins Alte China zu unternehmen.

Berlin, 1942

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Stella
Takis Würger
erschienen am 11.01.2019 im Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-25993-5

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Kein Buch bewirbt der Hanser Verlag in diesem Frühjahr so sehr wie dieses: „Stella“. Geschrieben von Takis Würger, einem Journalisten, der 2017 mit seinem Debütroman „Der Club“ große Erfolge feierte. Sein nächster Roman ist bei vielen Lesern heiß ersehnt, doch trotzdem oder auch deshalb ist es sicherlich nicht einfach, einem Überraschungerfolg dieser Größenordnung einen weiteren Roman folgen zu lassen und dann gleich bei einem renommierten Literaturverlag wie Hanser.
Von außen betrachtet ist das Buch sehr gelungen. Der in schwarzgold gehaltene Einband ist auffällig, die darauf abgebildete Stella Goldschlag zieht Blicke auf sich – ganz sicher ein Eyecatcher in den Buchhandlungsauslagen.
Der Roman hangelt sich an einer wahren Geschichte entlang. Anders kann ich es nicht formulieren und anders mag ich es auch nicht nennen. Es geht um Stella Goldschlag, eine Jüdin, die als „Greiferin“ für die Gestapo arbeitete, d.h. versteckte Juden aufspürte und verhaften ließ. Zunächst wohl, um ihre Eltern zu retten, ihre Motive nach dem Tod der Eltern in Auschwitz sind unklar.
Wichtig ist es zu wissen, dass Würgers Roman Fiktion ist, dass er zwar Namen und ein paar äußere Umstände übernommen hat, aber diese Bausteine recht beliebig über den Text verteilt. So beginnt die Geschichte mit dem jungen Schweizer Friedrich, über dessen Herkunft wir tatsächlich mehr erfahren als über Stellas Lebensumstände. Er wächst bei reichen, aber reichlich seltsamen Eltern auf. Seine alkoholkranke Mutter möchte aus dem Jungen unbedingt einen Künstler machen, der Vater schaut mehr oder weniger hilflos zu. Diesen Teil des Textes fand ich übrigens hervorragend geschrieben. Er hilft die spätere grenzenlose Liebesbedürftigkeit Friedrichs zu verstehen, gibt dem ansonsten eher blassen Charakter Struktur.
Friedrich geht als Kriegstourist nach Berlin. Dem reichen Schweizer stehen alle Türen offen, sein Geld sorgt für Annehmlichkeiten, die normale Bürger längst nicht mehr haben. In einer Kunstschule lernt er die junge Kristin kennen, Aktmodell und eher erfolglose Nachtclubsängerin, und verliebt sich in sie. Kristins Gefühle bleiben im Dunkeln. Mag sie Friedrich wirklich oder ist es eher sein Geld und der Luxus, der ihn umgibt, die sie anziehen? Die Beiden werden eine Art Paar, auch als sich herausstellt, dass Kristin eigentlich Stella heißt und einen eher dubiosen Hintergrund hat. Überhaupt scheint nichts so zu sein, wie es scheint. Was machen in einem solchen Chaos also Freundschaft und Liebe aus? Und wie lange kann man zu Menschen stehen, die die eigenen Überzeugungen nicht teilen?
Eigentlich spannende Fragen. Leider bleibt es bei einer eher seichten Liebesgeschichte, einer Mischung aus „Cabaret“ und „Der blaue Engel“. Der naive Friedrich tappt durch das nationalsozialistische Berlin, als wäre er nicht nur farben- sondern auch gesinnungsblind. Kristinchen versucht sich ein wenig als verruchtes Dietrich-Double, wirkt dabei aber eher nervig als interessant.
Insgesamt wäre es wahrscheinlich schlauer gewesen, Friedrich eine weitere erfundene Person zur Seite zu stellen, eine ohne realen Hintergrund. Es reicht nicht, Prozessakten zu zitieren, um der Geschichte einen ernsthafteren Touch zu geben, wenn man dann nicht weiter in die Tiefe geht. Was hat diese Frau getrieben, sich als Menschenjägerin zu betätigen, selbst als der Ursprungsgrund hinfällig war? Was hat sie zu einer lebenslangen Judenhasserin gemacht, sie, die Jüdin?
Es geht in diesem Roman eigentlich um Friedrich, um seine Sicht der Dinge, um sein Zeiterleben. Wozu also einen realen Lebenslauf verbiegen? Weil Literatur das darf? Natürlich darf sie, aber muss sie auch?
Würger kann schreiben, ohne Frage, aber für mich hat er sich an diesem Thema überhoben. Allzu beliebig wurde, was emotionale Wucht hätte haben können. Schade.

Ich danke dem Hanser Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

Weitere Besprechungen dieses Buches:

AstroLibrium https://astrolibrium.wordpress.com/2019/01/11/stella-von-takis-wuerger/
Frau Hemingway https://frau-hemingway.de/stella-von-takis-wuerger-oder-wie-weit-wuerdest-du-gehen/
Wortgelüste http://wortgelueste.de/wuerger-stella/

 

Addie und Louis

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Unsere Seelen bei Nacht

Kent Haruf

aus dem Amerikanischen von pociao

am 12.Dezember 2018 in der Taschenbuchausgabe erschienen im Diogenes Verlag

ISBN 978-3-257-24465-6

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Addie und Louis sind langjährige Nachbarn. Beide sind über siebzig Jahre alt und kennen sich noch aus der Zeit, als ihre Ehepartner noch lebten. Nun sind sie einsam und so nimmt Addie eines Tages ihren ganzen Mut zusammen und fragt Louis, ob er nicht die Nächte mit ihr zusammen verbringen möchte. Denn die Nächte sind am schlimmsten und vielleicht zu zweit nicht mehr ganz so furchterregend. Louis ist nicht abgeneigt, daher starten sie gleich einen Versuch. Es geht zunächst nicht um Körperliches, es geht um Gespräche, um Nähe, um Zusammenhalt. Doch so nach und nach scheint die Liebe sich einen Weg zu bahnen. Bis Addies Sohn versucht, dem seiner Meinung nach unpassenden Verhalten seiner Mutter ein Ende zu setzen…
Nachdem ein anderer Roman Kent Harufs, „Lied der Weite“, mir zu amerikanisch war, zu lakonisch, bin ich zugegeben diesem Buch gegenüber ein wenig skeptisch gewesen. Andererseits hat mich das Thema interessiert, fand ich diese Idee eines späten Glücks so berührend, dass ich es trotzdem unbedingt lesen wollte. Und „berührend“ ist tatsächlich das richtige Wort für die Geschichte von Addie und Louis. Es ist wunderschön zu lesen, wie sie sich näher kommen, wie zu den Nächten auch Tage kommen, wie sie immer mutiger und glücklicher werden. Ich war bei der Lektüre allerdings auch unendlich wütend. Wütend über den Gegenwind, den sie bekommen, über den Sohn, der seiner Mutter ihr Glück nicht gönnen kann, nur Schlechtes zu sehen vermeint und seine Missgunst zu verbrämen versucht mit der Aussage, er müsse ihren Ruf beschützen. Und so ist dieser Roman leider genauso traurig wie schön.
Denn wie viele ältere Menschen haben mit der Tatsache zu kämpfen, dass späte Liebe gesellschaftlich verpönt ist? Dass sie als ungehörig gilt und man doch lieber brav mit im Schoß zusammengefalteten Händen auf den Tod warten sollte? Dass Kinder und Enkel um ihr Erbe fürchten oder es ihnen schlicht peinlich ist? Aber warum eigentlich? Warum sollten Menschen ab einem gewissen Alter zu Einsamkeit verdammt sein? Warum sollten sie ihr Leben nicht geniessen dürfen und es vor allem leben nach ihren Vorstellungen?
Kent Haruf hat einen nachdenklich stimmenden Roman geschrieben zu einem durchaus aktuellen Thema, aber auch ein anrührendes Gegenstück zu „Romeo und Julia“. Dort ist es die erste Liebe, die gesellschaftlichen Zwängen ausgesetzt ist, hier die letzte Liebe.
Ein feinfühliger Roman über ein ernstes Thema, aber auch in weiten Teilen eine wunderbar warme und zärtliche Liebesgeschichte.

 

Bruder Cadfael

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Das Licht auf der Straße nach Woodstock

Ellis Peters

aus dem Englischen von Jürgen Langowski

erschienen 1996 im Heyne Verlag

 

Es ist mal wieder Zeit für Fundstücke im Bücherregal. Wobei das diesmal kein richtiger Fund war, weil ich ja weiß, dass ich Cadfael-Romane dort habe. Aber sie sind im Buchhandel vergriffen, was ich äußerst schade finde.
Bruder Cadfael ist ein Mönch, der zwischen 1120 und 1145, in der Benediktinerabtei Shrewsbury in England, Kriminalfälle löst. In diesem Band erfahren wir, wie es dazu kommt, dass der Krieger Cadfael das Schwert niederlegt, um die Kutte zu wählen. Dabei löst er natürlich gleich seinen ersten Fall und hat sozusagen seine Berufung gefunden. Es ist eine aufregende Zeit, in der er da lebt. Der Thron ist heiß umkämpft. Hunger, Armut und Seuchen bedrücken die Menschen, von denen viele in Leibeigenschaft leben.
20 Bände hat Ellis Peters von 1977 bis 1994 ihrem kämpferischen Mönch gewidmet, der bei Unrecht nicht ruhen kann, bis er den Schuldigen gefunden hat, unabhängig von dessen Stand und Macht. Gut recherchiert, kommt die Reihe mit wenig Blut aus, vielmehr wird die mittelalterliche Abtei und der dazugehörende Ort Shrewsbury zu neuem Leben erweckt. Dank Cadfaels Heilertätigkeiten erfährt man auch viel über Kräuter und Tinkturen, die zu der Zeit genutzt werden.
In den Neunzigern wurde die Reihe mit Sir Derek Jacobi verfilmt. Ich mag die Serie, auch wenn sie natürlich heutigen Verfilmungsansprüchen nicht mehr gerecht wird.
Im Grunde liegt da ein kleiner, inzwischen nahezu unbekannter Schatz, den man wieder auflegen und ganz sicher auch spannend neu verfilmen könnte.