300 Jahre Raubbau

Aus hartem Holz von Annie Proulx

Aus hartem Holz

Annie Proulx

Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz und Andrea Stumpf

als TB erschienen am 10.Dezember 2018 im btb Verlag

ISBN 978-3-442-71751-4

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„Schiffsmeldungen“ von Annie Proulx zählt zu meinen liebsten Büchern, daher habe ich diesen Roman mit gemischten Gefühlen begonnen. Einerseits habe ich mich natürlich sehr auf die Lektüre gefreut, andererseits bin ich immer etwas ängstlich bei den Nachfolgern eines Lieblingsbuches. Wird es den hochgesteckten Erwartungen entsprechen? In diesem Falle kann ich das frohen Herzens bejahen. Ein paar Längen gibt es, aber die sind bei einer Zeitspanne von dreihundert Jahren und knapp 900 Seiten Buchumfang kaum zu vermeiden.
Worum geht es? Grob umrissen, geht es um den Werdegang zweier Familien und parallel dazu um die Entwicklung der Holzindustrie. René Sel und Charles Duquet kommen um 1693 nach Neufrankreich, das heutige Kanada. Sie verdingen sich als Holzfäller in den schier endlosen Wäldern dort. Während Sel sesshaft wird, eine Ureinwohnerin heiratet und eine Familie gründet, zieht es Duquet in die Welt hinaus, um Geld zu machen. Sels Nachkommen werden überwiegend Holzarbeiter. Sie ziehen von Lager zu Lager in einem lebensgefährlichen Beruf. Mit den Sels beschreibt Annie Proulx aber auch den Kampf der Ureinwohner um Land, Kultur und Selbstachtung.
Charles Duquet wird tatsächlich ein reicher Holzhändler, Begründer einer Dynastie, der Familie Duke. Auch sie ziehen quasi durch das Land, aber nur um Baum für Baum zu fällen, ohne Rücksicht auf Boden und Natur, ausschließlich auf Profit ausgerichtet. Der Gedanke der Wiederaufforstung entsteht in Amerika erst sehr spät, zu spät, und wird auch lange Zeit belächelt als verträumte Spinnerei.
Während der Lektüre beginnt man die Denkweise eines Donald Trump zu verstehen. Der Gedanke, Natur im „Rohzustand“ wäre unnütz und nicht gottesgefällig, scheint sich über Generationen und Jahrhunderte in vielen amerikanischen Köpfen fest verankert zu haben. Trump ist ein Duke in Reinform.
Und genau das macht diesen Roman so packend. Man liest vom Verschwinden der großen Wälder, von Profitgier und Raubbau und stellt fest, dass zwar mit der Zeit die Methoden moderner geworden, die Argumente dafür aber immer noch dieselben sind.
Die Ureinwohner z.B. galten u.a. deshalb Wilde, weil sie das Land auf dem sie gelebt haben, nicht genutzt haben, sich nicht untertan gemacht haben durch Ackerbau und Viehzucht. Sie haben dort „nur“ gelebt, für damaliges Denken eine geradezu unfassbare Geisteshaltung. Auch heute wäre es für viele Mebschen undenkbar, eine Ölquelle nur deshalb nicht anzuzapfen, weil das Land darüber erhaltenswert ist.
Es ist die Kunst Annie Proulxs alle diese Mißstände quasi nebenbei anzuprangern, sie in den Text einzuflechten. Sie erzählt die Geschichte zweier Familien über Generationen, mit den Problemen, denen jede Generation gegenüber steht, gibt Einblick in typische Denkweisen der jeweiligen Zeit und behält trotz aller Blicke nach rechts und links den roten Faden fest im Auge. Man kann den Roman also auch nur als spannende Familienchronik lesen. Aber wenn man das Gelesene auf sich wirken lässt, sich der Tragweite des Raubbaus an der Natur bewußt wird, dann bekommt man das irre Bedürfnis, Bäume zu pflanzen, so viele wie nur eben möglich, um sich gegen das Rad der Zeit zu stemmen und die Dukes dieser Welt zu stoppen.

Ich danke dem btb Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Rezensionen:

gelesen https://gelesenblog.wordpress.com/2018/07/27/aus-hartem-holz-annie-proulx/
lettergirl https://lettergirl.blog/2017/11/01/eine-harte-nuss/

Chandler auf jiddisch

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Die Vereinigung jiddischer Polizisten

Michael Chabon

Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer

erschienen am 16.04.2008 als HC und am 16.08.2018 als TB bei Kiepenheuer & Witsch

ISBN des TB 978-3-462-05238-1

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Sitka, Alaska. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Atombombe auf Berlin, durften sich geflüchtete Juden dort mit Erlaubnis der Amerikaner einen eigenen kleinen Staat errichten. Nun soll die Enklave zurück an die USA fallen und die dort wohnenden Juden wären wieder heimat- und staatenlos. In dem Chaos der Abwicklung und inmitten sich auflösender Behörden und Zuständigkeiten geschieht in einem kleinen, schmierigen Hotel ein Mord. Ein junger Schachspieler wird mit einer Kugel im Kopf auf seinem Zimmer aufgefunden. Der zufällig im selben Hotel wohnende Polizist Meyer Landsman beginnt zu ermitteln und sticht dabei in ein Wespennest.
Was für ein grandioser Roman! Einerseits ein Krimi im Stile Chandlers, mit einem Protagonisten, der ähnlich zerbeult agiert wie Philip Marlowe, andererseits aber auch ein Blick auf die unterschiedlichen Strömungen jüdischen Lebens. Die Chassidim und Zionisten kommen dabei eher schlecht weg, verhalten die „Schwarzhüte“ sich doch ähnlich wie die Mafia und haben ihr Netzwerk über ganz Sitka gespannt.
Mit ungeheurer Fabulierlust, viel Wortwitz und genauso viel Einfühlungsvermögen führt uns Chabon durch seine Welt bzw durch Meyer Landsmans Welt. Glaube, Politik, Schach, die große Liebe, Identitätsfragen, Chabon verbindet und mischt diese Themen hemmungslos. Sein Blick ist zugleich zynisch, schwarzhumorig und liebevoll. Das muss einem erst einmal gelingen! Und wenn dann noch Ureinwohnerrecht auf jüdische Befindlichkeiten trifft, wird die Mischung explosiv…
Es ist beeindruckend, wie mühelos Chabon ein Meer durchquert, das klippenreicher nicht sein könnte. Er überschreitet Grenzen und verteilt seine Spitzen hemmungslos in jede Richtung: seien es geldgierige Stammesregierungen, tiefgläubige Mafiosi, gewinnorientierte Amerikaner oder attentatsbereite Zionisten. Und so ganz nebenbei zeigt dieser Roman auch, dass Menschlichkeit und Fanatismus sich ausschließen. Immer.
Wer also Krimis mag, wer… ach, Unfug! Lest dieses Buch, es ist einfach rundherum großartig!

Charmanter Roadtrip

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Anatol studiert das Leben

Susanne Falk

2018 erschienen im Picus Verlag

ISBN 978-3-7117-2065-8

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Pünktlich vor Toreschluß, d.h. Weihnachten, möchte ich noch den charmantesten und verrücktesten Roman des Jahres vorstellen. Wer also noch nach Geschenken sucht oder sich selbst eine Freude machen möchte, dem sei dieser wunderbare Roman ans Herz gelegt.
Anatol ist anders. Er hat Anschlußschwierigkeiten, einen Zähltick und weiß trotz intensiver Beobachtung nicht so richtig, wie Menschen eigentlich funktionieren. In seiner großen, lauten, warmherzigen Familie ist das kein Problem, aber im Umgang mit Fremden kommt es doch regelmäßig zu Unstimmigkeiten. Damit er menschliches Verhalten noch besser studieren kann, ist Anatol Museumswärter geworden: die Besucher betrachten die Bilder, Anatol betrachtet die Besucher. Bis sie eines Tages vor einem Chagall steht: Marcelline, Kunststudentin aus Nantes. Und Anatol entdeckt die Liebe. Kurzentschlossen packt er sich bei nächster sich bietender Gelegenheit den Chagall unter den Arm und macht sich auf den Weg nach Nantes. Zu Fuß. Ohne Geld. Ohne Jacke. Mit der Polizei auf den Fersen.
Der Roman ist vollgepackt mit Leben und unzähligen skurrilen Charakteren, allen voran Anatols Großmutter, einer gefeierten Burgschauspielerin mit Josef-Meinrad-Spleen. Eine völlig verrückte, komplett unglaubwürdige Geschichte, die aber so liebenswürdig ist, dass man sich wünscht, sie könne wahr sein. Anatol berührt die Menschen auf seinem Weg und er berührt dabei auch die Leser. Was mich allerdings am meisten beeindruckt hat, ist, wie geschickt Susanne Falk die Waage hält zwischen Skurrilität, Rührseligkeit, Romantik, Spannung, Drama und Abenteuer. Die Mischung ist nämlich genau richtig, kippt nie in ein Extrem und ist auch niemals zu abgedreht. Und sie ist ein Plädoyer für Menschlichkeit und Liebe, für Akzeptanz und gelebtes Anderssein. Weil „anders“ eben meist nicht schlechter ist, sondern nur ein anderer Blickwinkel. Und andere Blickwinkel erweitern den Horizont. Ein wirklich ganz entzückender, vergnüglicher Roman mit einer riesigen Portion Warmherzigkeit. Ein Vorrat für kalte Zeiten.

Shakespeare in Tasmanien

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In Tasmanien

Nicholas Shakespeare

Aus dem Englischen von Hans M. Herzog

erschienen am 01.02.2005 im Mare Verlag

ISBN 978-3-936384-40-6

 

Nicholas nicht William. Man möge mir den Titelscherz verzeihen, es war einfach zu verlockend. Wenn auch nicht ganz so berühmt wie sein Namensvetter, so ist Nicholas Shakespeare dennoch ein Garant für gehobene britische Literatur. Ich habe einige seiner Romane mit großem Vergnügen gelesen und mich ehrlich gefreut, als ich dieses Buch in einem meiner Stapel mit ungelesenen Büchern entdeckt habe. (Eine Zeit lang habe ich mit System gelesen, immer ein altes und ein neues Buch im Wechsel. Neue Bücher wurden strikt hinten unten einsortiert und waren bis sie vorne oben angekommen waren meist vergessen. Daher habe ich tatsächlich Fundstücke im Bestand. Erstaunlicherweise erwerbe ich trotzdem Bücher nie doppelt, bisher jedenfalls nicht.)
„In Tasmanien“ nun ist kein Roman, sondern eine Art Spurensuche. Die Geschichte Tasmaniens ist nämlich eng verknüpft mit einem Teil der Familie des Schriftstellers. Anthony Fenn Kemp, einer der selbsternannten Gründerväter des Landes war der Schwager des Vaters seiner Großmutter, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Indem er das abenteuerliche Leben dieses Verwandten rekonstruiert, erkundet Shakespeare auch die Geschichte des Eilands Tasmanien, einer ehemaligen Sträflingskolonie Großbritanniens, die 1901 ihre Unabhängigkeit erlangt. Weil es ihm aber nicht genügt, nur über den britischen Part zu berichten, folgen auch Ausführungen über Leben, Elend und Sterben der Aborigines und die vermutliche Ausrottung des tasmanischen Tigers.
Ich denke, man muss sich schon ein wenig für Land und Leute interessieren, um an dieser literarischen Rundreise Gefallen zu finden. Ich fand es streckenweise wirklich hochspannend, wie es Shakespeare gelingt Vergangenes wieder zum Leben zu erwecken. Und die Familienüberlieferung kennt eben so manche Anekdote zu den Hauptpersonen, die kein Geschichtsbuch liefern würde. Andererseits führt Shakespeares akribische Detailliebe bisweilen auch zu einem dezenten Gähnen. Allerdings wirklich nicht oft, und wer daher die Möglichkeit hat, dieses inzwischen vergriffene Buch zu lesen, der sollte nicht zögern, geht aber das Risiko ein, danach kurzerhand in den nächsten Flieger steigen zu wollen, um die Schauplätze mit eigenen Augen zu erkunden.

 

 

Too much

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Bestseller

Beka Adamaschwili

Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze

2017 erschienen im Verlag Voland & Quist

ISBN 978-3-86391-183-6

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Es gibt in Hamburg einen Buchhändler, dem ich geradezu blind vertraue. Als dieser vor geraumer Zeit von diesem Buch schwärmte, war klar, irgendwann lese ich den Roman auch. Irgendwann war nun also vor ein paar Tagen.
Der erfolglose Schriftsteller Pierre Sonnage springt als Marketingmasche für ewig währenden Ruhm vom Dach des Burj Khalifa in Dubai. Das bekommt ihm nicht ganz so gut und er landet in der sogenannten Literatenhölle. Dort trifft er berühmte Kollegen und muss knifflige Rätsel lösen.
Die erste Hälfte über war ich durchaus angetan. Adamaschwilis Schreibstil ist wirklich böse und witzig zugleich und die vielen Wendungen und Seitenbemerkungen haben ihren eigenen Reiz. Leider hatte ich dann im zweiten Teil zunehmend den Eindruck, dem Autor wäre so nach und nach die Spritzigkeit verloren gegangen. Man rennt von Rätsel zu Rätsel durch die Hölle und der Witz wirkt dabei immer bemühter. Aber wie soll man das Feuerwerk auch durchhalten, wenn man von Anfang an ungehemmt seine Raketen in die Luft jagt? Dann wieder: vielleicht fehlt mir schlicht die literarische Bildung, um alle Seitenhiebe und Anspielungen verstehen zu können? Ich hatte einfach den Eindruck, es ist Adamaschwili im zweiten Teil schwerer gefallen, immer die unwahrscheinlichste Wendung zu wählen.
Grundsätzlich ist „Bestseller“ aber durchaus ein intelligentes, ironisches, stellenweise hochkomisches Buch. Und grundsätzlich würde ich definitiv eine Leseempfehlung geben, vor allem für die, die überbordende Phantasie und permanentes selbstironisches Geplänkel zu schätzen wissen. Oder für die, die literarische Anspielungen lieben und die Literatenhölle für das Paradies halten. Und auch für jene, die gerne über den Tellerrand schauen und so vielleicht einen Einstieg finden in die georgische Literatur. Es gibt also genug Gründe, den Roman zu lesen und den Autor im Auge zu behalten, denn „Bestseller“ ist ein Debütroman und auf die weitere Entwicklung Adamaschwilis bin ich dann doch wirklich gespannt.

Weitere Besprechungen:

Das Debut https://dasdebuet.com/2018/09/25/rezension-beka-adamaschwili-debuetiert-mit-einem-bestseller/
studierenichtdeinleben https://studierenichtdeinleben.wordpress.com/2017/12/07/rezension-bestseller-beka-adamaschwili/

American Dream

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Der Winter unseres Missvergnügens

John Steinbeck

Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Robben

erschienen am 15.10.2018 im Manesse Verlag

ISBN 978-3-7175-2432-8

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Der amerikanische Traum von der Durchlässigkeit der Gesellschaft – vom Tellerwäscher zum Millionär. In diesem Roman zeigt John Steinbeck, welchen Preis man dafür zu zahlen hat und das von Durchlässigkeit kaum die Rede sein kann.
Ethan Allan Hawley, aus sehr gutem Hause stammend, hat sein komplettes Vermögen verloren und arbeitet nun als Angestellter im ursprünglich eigenen Laden. Erstaunlicherweise macht die Tatsache, dass seiner Familie früher ganze Viertel in der Stadt gehört haben, ihm weniger zu schaffen als seinem Umfeld. Durch den Wunsch seiner Frau nach Namen und Geld angetrieben, erwachen bei Hawley kriminelle Energien und Skrupellosigkeit. Von Denunziation über Betrug bis zu einem geplanten Banküberfall rutscht Hawley die moralische Stufenleiter herab, steigt im gesellschaftlichen Ansehen aber gleichzeitig auf. Dabei dürfen wir Leser an seinen Gedanken teilhaben, erkennen die Stolpersteine und die Veränderungen. Mit Hawley hat Steinbeck keinen Unsympathen geschaffen, sondern im Gegenteil einen liebevollen Ehemann und freundlichen Gesellen. Umso erschreckender ist sein Sinneswandel.
Im Nachwort dann stellt Ingo Schulze Vergleiche auf mit Shakespeares Macbeth, der diesen Wandel ja tatsächlich auch macht, aus ähnlichen Beweggründen und mit demselben Motor im Hintergrund. Eine Shakepeare-Adaption also? Ähnlich wie die West Side Story ins moderne Amerika verlegt (also das Steinbecksche moderne Amerika, Ersterscheinungsjahr war 1962, der Roman spielt in den 50igern). Eine geniale Umsetzung wäre Steinbeck da gelungen, denn der Roman zeigt kaum Alterserscheinungen und liest sich trotz aller Gesellschaftskritik wunderbar flüssig. Für mich ist das ja eine Art Markenzeichen Steinbecks, diese bleibende Lesbarkeit, die altersunberührten Themen, der scharfe Blick. Und gerade in Zeiten von „America first“ ist der Roman eigentlich so aktuell wie zu seinen Entstehungszeiten, denn das, was ich als Hawleys moralischen Abstieg bezeichne, ist für Trump-Anhänger wohl nur normales Geschäftsgebaren.
Wieder einmal also ein durch und durch gelungener Band der Manesse Bibliothek.

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Weitere Besprechungen:

Film und Buch https://filmundbuch.wordpress.com/2018/11/03/der-winter-unseres-missvergnuegens-john-steinbecks-letzter-roman/

Oben und unten

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Ich war Diener im Hause Hobbs

Verena Rossbacher

erschienen am 16.08.2018 im Verlag Kiepenheuer & Witsch

ISBN 978-3-462-04826-1

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Ich stelle fest, dass Kiepenheuer & Witsch sich immer mehr zu einem meiner liebsten Verlage entwickelt. Und mit „Ich war Diener im Hause Hobbs“ haben sie meiner Meinung nach einen der besten Romane des Jahres herausgebracht.
Der Diener Christian erinnert sich an seine Zeit bei den Hobbs, einer Zürcher Anwaltsfamilie. Frisch aus der Ausbildung wird er dorthin engagiert und scheint auch zunächst einen Glückstreffer gelandet zu haben. Frau Hobbs ist überaus charmant und nett, ihr Mann meist aushäusig und die Kinder wohlerzogen. Alles läßt sich gut an, bis sich Privates mit Beruflichem mischt und Christians Weltbild langsam ins Rutschen gerät…
Wenn man von einem Diener oder Butler hört, dann hat man automatisch Downton Abbey-ähnliche Bilder vor Augen. Reiche Lords und Ladies, massig Personal und riesige Herrensitze. Vor allem aber denkt man dabei eher an vergangene Zeiten. Dabei gibt es den Beruf des Dieners natürlich auch heute noch, genauso wie es auch heute noch Menschen gibt, die einen Diener engagieren. Obwohl mir das selbstverständlich klar ist, bin ich doch immer wieder über die Stellen gestolpert, die zeigen, dass Christian ein Mensch der heutigen Zeit ist. So sehr ist der Beruf des Dieners ritualisiert, aber so sehr möchte Christian auch den Traditionen entsprechen. Dabei kommt er natürlich nicht aus dem luftleeren Raum: er hat Eltern, Freunde, eine Heimatstadt. Die legt er aber ab, sobald er seine Uniform anlegt. Als Diener ist er nicht privat. Er hört Musik, die seiner Herrschaft gefallen könnte, liest Bücher, über die er befragt werden könnte, scannt seine Umwelt sozusagen mit den Augen der Hobbs. Souverän und Herr der Lage zu sein ist sein größter Wunsch, daher gerät auch seine Welt ins Wanken, als Frau Hobbs per Zufall in sein Privatleben vordringt.
Stück für Stück enthüllt Verena Rossbacher die Tragödie, die sich im Hause Hobbs ereignet hat. Stück für Stück erfahren wir mehr über Christian und dadurch auch mehr über die Hobbs. Denn ein Diener hat tiefen Einblick in die Abläufe in einer Familie, mehr Einblick, als er bisweilen selbst realisiert. Nichts ist an diesem Roman unüberlegt. Jede Handlung, jede Bewegung, jede Person, jedes Wort wirkt genauestens durchdacht, passt perfekt in das große Ganze. Selten habe ich einen so hervorragend durchkomponierten Roman gelesen, der dabei auch noch spannend ist und tagelang im Kopf nachwirkt. Immer wieder habe ich mich dabei ertappt, über das Gelesene nachzudenken, sogar noch mehrere Bücher später. Ein Roman, der eben nicht den Klischees zu Personal in großen Häusern entspricht und sogar gekonnt damit spielt, eine Autorin, die etwas wagt und dem Leser auch schwer Verdauliches zutraut und eine Geschichte, die herausragend zeigt, das nichts wirklich so ist, wie es zu sein scheint.

Weitere Rezensionen zu diesem Roman:

LiteraturZeit https://lifeforliterature.wordpress.com/2018/10/28/verena-rossbacher-ich-war-diener-im-hause-hobbs/
Meine Bücherbar https://buecherbar.wordpress.com/2018/10/11/ich-war-diener-im-hause-hobbs/
Literaturgeflüster https://literaturgefluester.wordpress.com/2018/11/08/ich-war-diener-des-hauses-hobbes/
nachtundtag https://nachtundtag.blog/2018/09/08/sex-luegen-und-champagner-agieren-im-menschlichen-chaos/

Der Beweis, dass ein dritter Band nicht immer erstrebenswert ist

9783423289658

Ich und der Weihnachtsmann

Matt Haig

Deutsch von Sophie Zeitz

erschienen am 21.09.2018 im dtv Verlag

ISBN 978-3-423-28965-8

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In die ersten beiden Bände dieser Reihe habe ich mich verliebt. Das viktorianische Setting, der Humor, die Illustrationen, schon der Anblick der Bücher liess sofortige Weihnachtsstimmung aufkommen. Ich habe mich dieses Jahr daher richtig auf den dritten Band gefreut. Nachdem ich ihn nun gelesen habe, kann ich nur hoffen, um beim Buchthema zu bleiben, dass das Hoffnungsbarometer nicht von mir abhängt. Dann ist es nämlich schockgefroren in die Tiefsee geplumpst. Ansonsten treibt mich die Frage um, ob Haig wohl ein wenig zu viel Rum in seinem Weihnachtskakao hatte oder seine Kekse aus Holland kamen.
Da rennen Osterhasen in Uniform durchs Buch, die Gringotts oder das Wichteläquivalent dazu knacken wollen, dem Weihnachtsmann steht bisweilen die Schokolade bis zum Hals und irgendwie wirken die Wichtel insgesamt wie eine Herde aufgeschreckter AFDler. Es geht um Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsklitterung, um Hetze und Beeinflussung durch die Medien. Natürlich kinderfreundlich verpackt mit Glitzer oben drauf. Da hat jemand am Gleis 9 3/4 wohl den falschen Zug erwischt oder wollte auf einen solchen aufspringen.
Nein, mit diesem seltsamen Machwerk lockt man mich nicht hinterm Weihnachtsbaum hervor. Wobei man ja sagen muss, dass den Illustrator Chris Mould daran definitiv keine Schuld trifft. Seine Zeichnungen sind so wunderbar und witzig wie in den Bänden davor.
Ach, es ist ein Jammer, wirklich, aber ich denke, ich verschenke lieber zum zweiten Mal Band Eins, als jemanden mit napoleonischen Osterhasen zu Weihnachten zu belästigen. Mir sind Langohren definitiv lieber, wenn sie in Eile sind und Taschenuhren tragen.