Der heutige Buchtipp zum Wochenende kommt von der lieben Niamh. Sie führt den überaus interessanten Blog www.britlitscout.com , in dem ich unglaublich gerne stöbere. Dementsprechend freue ich mich sehr, sie hier zu Gast haben zu dürfen. Sie stellt uns „Die Königin schweigt“ von Laura Freudenthaler vor:
Fanny ist eine Bauerntochter. Ihr Vater brachte ihr bei, dass man schweigt, wenn es nichts Wichtiges zu sagen gibt, von ihrer Mutter erlernte sie alle für eine Bäuerin wichtigen Arbeiten. Trotzdem war Fanny anders als die anderen Mädchen im Dorf. Sie war auffallend hübsch, und sie besuchte als einzige eine höhere Schule. Daher überraschte es auch niemanden, dass der Lehrer sie zur Frau nahm. Er brachte ihr das Tanzen bei und machte sie zur Schulmeisterin. Sie organisierte eine Schulausspeisung und lernte, schulterfreie Kleider aus feinen Stoffen zu nähen. Gleichzeitig half sie weiterhin jeden Tag ihren Eltern auf dem kleinen Bauernhof.
Jetzt ist Fanny 80 Jahre alt und lebt alleine. Ihre Enkelin möchte, dass sie ihre Erinnerungen aufschreibt, nicht die Märchen aus dem Dorf, sondern was wirklich war, aber das Notizbuch, das sie ihrer Großmutter zu diesem Zweck geschenkt hat, bleibt leer. Fanny erinnert sich dennoch. In kurzen Kapiteln erfahren wir, wie sie mit den Schicksalsschlägen umgeht, die das Leben für sie bereithält: Wie eine Königin, Haltung bewahrend und schweigend.
Laura Freudenthaler hat ihren Roman Die Königin schweigt vergangenen Herbst auf der BuchWien 2017 vorgestellt und mich dabei sofort beeindruckt. Die 1984 geborene Autorin betonte im Interview, dass sie selbst nicht vom Land kommt, aber die Widmung Meinen Vorfahrinnen lässt erraten, woher sie Einblick in das Leben in einer bäuerlichen Gemeinschaft hat. Ihr Ziel sei es, gegen das Schweigen anzukämpfen und den Frauen eine Stimme zu geben. Das ist ihr zweifellos gelungen.
Es ist eine nur auf den ersten Blick einfache Geschichte über das Leben einer Frau vom Dorf, die aufgrund der Umstände ein selbstständiges, modernes Leben führt, aber von den Wertvorstellungen bestimmt bleibt, die ihr zuhause mitgegeben wurden. Laura Freudenthaler gelingt es, die Stimmung einer Zeit einzufangen, die weit vor ihrer eigenen liegt. Besonders beeindruckt hat mich, dass ihr die Charakterisierung der Personen weitgehend durch die Beschreibung ihrer Entscheidungen und Handlungen gelingt, in einer ruhigen Sprache, die ohne Extreme auskommt.
Als ich die Einladung bekam, einen Buchtipp zum Wochenende zu gestalten, habe ich sofort an diesen Roman gedacht. Eine leise Geschichte in schlichten Worten, ein wunderbarer Begleiter für ein Wochenende, der aber ganz bestimmt noch lange nachklingt.
Die Königin schweigt
Laura Freudenthaler
erschienen 2017 im Droschl Verlag
ISBN 9783990590010
Über mich:
Immer schon habe ich gerne gelesen, mal mehr, mal weniger, abhängig von den aktuellen Lebensumständen. Und immer schon wollte ich auch schreiben, irgendwann. Fürs Erste studierte ich Übersetzungswissenschaften und Publizistik und lebte meine Freude an sprachlicher Gestaltung dann als Übersetzerin von Gebrauchstexten aus.
Heute unterrichte ich an einer Fachhochschule in Wien und mache nur mehr selten Übersetzungen. Die Idee, über Bücher zu schreiben, hatte ich, als mir eine meiner Studentinnen von ihrem Fashionblog erzählte. Von dieser ersten Idee bis zur Umsetzung waren es dann nur noch wenige Wochen, und seither verbinde ich auf meinen Blogs www.britlitscout.com und www.chicklitscout.com meinen Spaß am Lesen mit dem Spaß am Schreiben. Dort erzähle ich das eine oder andere rund um Literatur und stelle Bücher vor, die für mich ein Lesevergnügen oder zumindest eine interessante Herausforderung waren.
Vielen Dank für die Gelegenheit, mich auf Deinem Blog vorstellen zu dürfen! Frau Lehmann liest gehört zu meinen Fixpunkten auf der Suche nach interessantem Lesestoff.
Herzliche Grüße
Niamh
LikeGefällt 1 Person
Gerne! Jederzeit wieder – ich würde mich sehr freuen!
LikeGefällt 1 Person
Ich bin auch gelernte Übersetzerin (habe dem Beruf aber inzwischen den Rücken gekehrt) 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Ich mach, wie erwähnt, auch nur mehr sehr selten Übersetzungen, aber irgendwie gilt für mich „einmal Übersetzerin, immer Übersetzerin.“ Wo immer ich bin, überall fallen mir falsche Freunde und Stilblüten auf – und natürlich auch immer wieder besonders gute Übersetzung, z.B. die auf meinem Blog besprochene Übersetzung von Steinbecks Canary Row ins Deutsche. Was waren/sind Deine Sprachkombinationen?
LikeLike