Inside John Lennon

Lennon von David Foenkinos

Lennon

David Foenkinos

Aus dem Französischen von Christian Kolb

erschienen 2018 im DVA Verlag

ISBN 978-3-421-04799-1

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Obwohl 1974 geboren, bin ich mit den Beatles groß geworden. Meine Mutter war Fan, die Platten liefen bei uns rauf und runter. Um es zu präzisieren, sie war McCartney-Fan und ließ kein gutes Haar an John Lennon, noch weniger an Yoko Ono. Und damit wären wir auch schon beim Thema.

Der Bestseller-Autor David Foenkinos, bekannt u.a. durch „Nathalie küsst“, hat sich an die Mammutaufgabe gemacht, John Lennons Leben zu erzählen. Aber nicht nur das, er lässt Lennon selbst sprechen, und zwar bei nicht näher definierten Sitzungen, vermutlich bei einem Psychiater, über Jahre hinweg.
Beginnend mit seiner Kindheit und Jugend, berichtet Lennon vom schwierigen Verhältnis zu seinen Eltern, von der in ihm heranwachsenden Wut, der Einsamkeit, der Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Weiter geht es mit der Bandgründung, den ersten Alkohol- und Drogenerfahrungen, den ersten Gewaltausbrüchen, Erfolgen und Niederlagen. Was dann kommt, weiß eigentlich jeder: Beatlemania, der Aufstieg zur bekanntesten Popband aller Zeiten, ein nicht fassbarer Irrsinn mit Millionen von Fans weltweit. Danach kann es nur noch bergab gehen, bis zur Auflösung der Truppe, Lennons Beziehung zu der japanischen Künstlerin Yoko Ono und seinem Tod durch einen Attentäter 1980.

Das ist viel Stoff für ein eigentlich gar nicht so dickes Büchlein. Und so fliegt man durch Lennons Leben, reißt hier etwas an, schaut da ein bißchen hin, es fühlt sich an wie eine Fahrt auf der Wasserrutsche. Man erfährt, dass er gar nicht der nette Nachbarsjunge ist, als den ihn die Medien eine Zeit lang darstellen, dass er die meiste Zeit seines Lebens betrunken oder stoned oder beides war, dass er wohl durchs Leben ging ohne Rücksichtnahme oder Mitgefühl, insgesamt also ein riesengroßer … war.

Foenkinos gelingt es sehr gut, einen Ton zu finden zwischen Selbstverherrlichung und Minderwertigkeitskomplexen, der wohl tatsächlich Lennons Wesen ausmacht. Er hat sicherlich gut recherchiert, Interviews ausgewertet, Artikel gelesen und sich auch sonst alle Mühe gegeben. Und trotzdem bleibt John Lennon blass. Es ist eben nicht Lennon, der da spricht, sondern Foenkinos, der versucht, sich in Lennon hineinzudenken. So könnte es aber die Stimme jedes beliebigen Popstars sein. Die Eckdaten stimmen, lebendig gerät der Text dadurch noch lange nicht. Wahrscheinlich ist es schlichtweg nicht möglich, sich in den sprunghaften, teilweise wirren Geist Lennons einzudenken, so wie es ja auch nicht möglich ist, das Phänomen „Beatles“ wirklich zu erklären.

Ein unterhaltsamer Roman, der für manchen eventuell ein paar Überraschungen bereit hält. Man muss die Beatles nicht kennen, um das Buch zu lesen, es könnte aber beim Verständnis der Abläufe helfen.

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Ein Leben

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Krieg und Terpentin

Stefan Hertmans

Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm

erschienen 2018 im Diogenes Verlag

ISBN 978-3-257-24431-1

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Es gibt sie, diese Bücher, die einen von der ersten Zeile an in Bann schlagen, die einen vergessen lassen, dass man Pläne hatte, womöglich sogar Termine, die einen mitreißen, durchrütteln, nicht los lassen, bis man die letzte Zeile gelesen hat und noch lange danach. „Krieg und Terpentin“ ist so ein Buch. Allerdings ist es nicht thrillerartige Spannung, die einen festhält, sondern die Geschichte eines Lebens, des Lebens von Stefan Hertmans‘ Großvater.
Zwei Hefte hinterlässt er seinem Enkel, eines über seine Kinder- und Jugendjahre in Gent und eines über seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg. Hertmans beginnt zu recherchieren, zu rekonstruieren, verbindet Erinnerungen mit neu gefundenen Erkenntnissen und schreibt schlußendlich dieses Buch.
Geboren 1891, gestorben 1981. „Doch zwischen diese beiden Daten drängen sich zwei Kriege, unvorstellbare Massaker, das rücksichtsloseste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte, Aufstieg und Verfall der modernen Kunst, die weltweite Expansion der Motorindustrie, der Kalte Krieg, Bildung und Zerfall großer Ideologien(…)“
Schon die Beschreibung der Jugendjahre ist fesselnd. Der Vater ist Kirchenmaler und gesundheitlich sehr angeschlagen, die Mutter hält die Familie zusammen, näht neben der täglichen Arbeit, um Geld dazu zu verdienen für die fünf Kinder. Schon früh muss jeder seinen Teil beitragen, um die Familie über Wasser zu halten. Mit dreizehn Jahren beginnt Urbain Martien, so der Name des Großvaters, eine Lehre in einem Eisenhüttenwerk. Narben auf seinem Rücken zeugen von Härte und Gefahren dieses Handwerks. Später wechselt er zum Militär. Und damit beginnt die prägende Zeit in seinem Leben. Er erlebt den Ersten Weltkrieg in all seinem Grauen, wird dreimal schwer verwundet und dreimal nach der Genesung zurückgeschickt in diese Hölle. Er zeichnet sich durch besondere Tapferkeit aus, erhält Medaillen ohne Zahl, aber keine Beförderung, da er als Flame in einem wallonisch geführten Heer einen schlechten Stand hat.
Diese Kriegsbeschreibungen, teilweise fast unerträglich zu lesen, sind es, die den Kern des Buches ausmachen. Die das Leben des Großvaters ausmachen. Der Versuch, das Erlebte zu verarbeiten, allein, denn Kriegstraumata-Behandlung gab es zu dem Zeitpunkt nicht, führt zu Verfolgungswahn und zeitweiliger Einweisung. Das „danach“ wird still ertragen, mit erhobenem Haupt, aber zerbrochenem Rücken. Die Welt, in der er aufgewachsen ist, gibt es nicht mehr.

Stefan Hertmans ist es gelungen, einen autobiographischen Roman zu schreiben, der ein anonymes Grauen mit Gesichtern und Namen versieht und es damit einerseits erfassbar macht und andererseits die Unfassbarkeit des Geschehens verdeutlicht, und der ein Schlaglicht wirft auf einen Krieg, der immer im Schatten des nachfolgenden Krieges steht, aber doch den apokalyptischen Reitern Tür und Tor geöffnet und damit eine neue Zeit der Kriegsführung eingeläutet hat.

Ein berührendes Buch, großartig geschrieben, eine Liebeserklärung an den Großvater, dessen Eigenarten und Verhalten dem Autor erst lange nach seinem Tod erklärbar werden.

Ich danke dem Diogenes Verlag sehr herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Dunkles Geraune

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Lichter im Berg

Barbara Aschenwald

erschienen 2018 im Hoffmann und Campe Verlag

ISBN 978-3-455-00298-0

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Wenn man viel liest, und das kann ich von mir durchaus behaupten, bekommt man ein ganz gutes Gespür dafür, welche Bücher interessant sein könnten und welche eher unpassend sind. Man kennt die Verlage, man kann Klappentexte einschätzen, man kennt die eigenen Vorlieben und weiß, welche Grenzen man zu überschreiten bereit ist und welche nicht. Ich zum Beispiel würde unter keinen Umständen blutige Thriller lesen oder allzu genau beschriebene Gemetzelszenen aller Art. Damit mag mir manch gut geschriebenes Buch entgehen, aber das ist dann eben so.
Bei „Lichter im Berg“ hat dieses Gespür komplett versagt. Ich habe das Buch in der Verlagsvorschau entdeckt, mir notiert und war hocherfreut, als ich über die Buchplattform Litnity die Möglichkeit bekam, es zu lesen und zu rezensieren. Es ginge in der Hauptsache um Galtür und seine Bewohner, dachte ich:„Ein Dorf hoch oben in den Bergen. Wenn die Dämmerung kommt, beginnen seine Lichter zu brennen, und ob sie offen leuchten oder verborgen schimmern, Barbara Aschenwald folgt ihnen und findet in ihrem Lichterkreis allerhand Geschichtenstoff“ so heißt es im Klappentext. Damit ist geklärt, was die Autorin inspiriert hat, aber nicht, wohin die Inspiration sie führt – und das genau ist der Punkt, den ich übersehen habe. Und auch der Grund, warum dieses Buch und ich nicht zueinander gefunden haben, denn auf ihren Wegen mochte ich Barbara Aschenwald immer weniger folgen.
Es beginnt schon im ersten Absatz der ersten Erzählung. Sie schreibt vom „letzten, feigen Licht des Tages“ und in mir regt sich Unwillen. Feiges Licht, ernsthaft? Sonnenuntergänge können ja eine Menge Gefühle hervorrufen, aber sie als feige zu bezeichnen, ist mir zu gewollt poetisch. Was genau macht denn feiges Licht aus?
Weiter geht es mit der Tür, die schon im Ortsnamen anklingt, durch die jemand vermeinte zu gehen. Falltür nach Galtür? Ah geh, wie eine Wiener Bekannte nun sagen würde…
Ich habe sie gelesen, Geschichte für Geschichte, und dagegen angekämpft, das Buch zuzuklappen. Es erschien mir nicht richtig, das zu tun, denn jede Geschichte hätte meine Sicht ja drehen können. Dem war leider nicht so.
Schlußendlich finde ich Frau Aschenwalds Stil immer da gelungen, wo sie anscheinend nah an bekannten Menschen und Orten geblieben ist, wo sie Galtürs Lebensarten und Besonderheiten beschrieben hat: nur drei warme Monate, kein Obst gedeiht so hoch oben, es gibt kaum Vögel, und im Winter ist Galtür teilweise ganz abgeschnitten von der Außenwelt. Das ruft einen besonderen Menschenschlag hervor, einen anderen Zusammenhalt. In diesen Geschichten findet sie einen echteren Ton.
In den anderen freilich ist sie mir abwechselnd zu naiv , etwa wenn sie den glücklichen Bergbauern gegen den vom Leben ermüdeten Logistiker stellt; zurück zu Natur und Genügsamkeit, und alles wird gut? – wohl kaum. Manch ein einsamer Bergbauer wird von der weiten Welt geträumt haben, auch Enge kann ersticken. Oder zu oberlehrerhaft, wenn sie da von Irrenanstalten schreibt, die ihre Kranken erst irre machen oder ihren Lebenswillen brechen, von einer Stadt, wo alte und kranke Menschen entsorgt werden. Gesellschaftskritik in dieser Form ist mir zu simpel. Das Leben und die Gesellschaft sind nie „schwarz kontra weiß“, die Guten gegen die Bösen.
Ich glaube, da wollte jemand ganz viel Bedeutung in seinen Texten unterbringen, ganz viel poetische Sprache. Mir wäre durchdachter Inhalt lieber gewesen.So ist es bisweilen unfreiwillig komisch: „Und nun, da er direkt neben der Zypresse stand, hatten die beiden tatsächlich gewisse Ähnlichkeit. Der dunkle Mantel, die schlanke Gestalt, hoch und dünn, nur, dass er nach oben hin an den Schultern erheblich breiter wurde und die Zypresse schmaler.“ Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

 

Ich danke dem Verlag und litnity.com herzlich für das Rezensionsexemplar.

Serge Diaghilev

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Diaghilev and the Golden Age of the Ballets Russes 1909-1929

herausgegeben von Jane Pritchard

erschienen 2010 bei V&A Publishing

ISBN 978-1-851-77613-9

 

Jeder Mensch, der sich nur halbwegs mit Ballettgeschichte beschäftigt, dürfte bei diesem Buch Schnappatmung bekommen. Zum einen, weil es ein echter Backstein von einem Bildband ist und wunderbar geeignet, Armmuskeln in Form zu bringen, zum anderen aber, weil es wirklich fast jeden Schnipsel enthält, der von der Hoch-Zeit der Ballets Russes noch zu finden ist. Gestaltet als Begleitband zu einer Ausstellung im Victoria & Albert Museum in London, findet man Bilder von Originalkostümen, Theaterplakaten, Bühnenbildern und dergleichen mehr.

In den ausführlichen Essays geht es dann, wie der Titel schon impliziert, hauptsächlich um Serge Diaghilev und seine Rolle als Impresario und Kunstförderer. Man findet neben den selbstverständlichen Texten zu seiner Herkunft und seinem Lebenslauf auch Analysen seines Verhältnisses zur Kunst, besonders im Bezug auf die Bühnenbilder und Kostüme der Truppe, die u.a. von Leon Bakst, Natalia Goncharova oder Pablo Picasso geschaffen wurden, oder zur Musik: Komponisten wie Strawinsky, Debussy oder Prokofiev schufen Stücke für die Ballets Russes und verdanken Diaghilev große Teile ihres Ruhms. Dieses Gespür für Strömungen, für vielversprechende Talente in allen Formen von Kunst, ist es, was ihn so besonders gemacht hat, ihn abgehoben hat von den anderen Kunstkennern und -förderern seiner Zeit.

Natürlich kann man kein Buch über die Ballets Russes herausbringen, ohne die Tänzer zu benennen, die maßgeblichen Anteil am triumphalen Aufstieg der Truppe hatten. Aber der Tanz selber ist tatsächlich kaum Thema, es geht mehr um die Choreographen und ihren Mut, althergebrachte Regeln zu brechen und Neues zu schaffen, darum, dass den männlichen Tänzern eine andere Rolle zugeteilt wurde, als Ballerinen von rechts nach links zu reichen, dass sogar der männliche Tänzer eher im Mittelpunkt stand als die Damen.

Trotz der vielen Daten und Namen ist das Alles keineswegs trocken geraten, die Essays sind sicherlich auch für jene lesbar, deren Englisch Lücken aufweist, und die Bilder geben einen tiefen Einblick in Diaghilevs Welt. Ich konnte Stunden damit verbringen, mir Details einzelner Kostüme anzusehen und mir ihre Wirkung in Bewegung vorzustellen. Leider gibt von dieser so lebendigen und noch heute das Ballett beeinflussenden Truppe keine Filmaufnahmen. Einzelne Tänzer sind später gefilmt worden oder haben sogar Tanzfilme gedreht, aber für Aufführungen der Ballets Russes unter Diaghilev gilt das nicht. Und so bleiben eben nur Bilder, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was diese Gruppe von Künstlern ausgemacht hat, die die Ballettwelt so revolutioniert hat.

Ein traumhafter Bildband für Ballettliebhaber und ein schickes Coffeetablebook für die, die es noch werden wollen…

A dance to the music of time

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Eine Frage der Erziehung

Anthony Powell

Aus dem Englischen von Heinz Feldmann

erschienen 2017 im dtv Verlag

ISBN 978-3-423-14594-7

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„Eine Frage der Erziehung“ ist der erste Band der zwölfbändigen Reihe „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ des englischen Schriftstellers Anthony Hopkins. Darin wird die englische Gesellschaft und ihr Wandel vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Sechziger Jahre sehr detailgetreu und umfassend beschrieben.
Der erste Band nun beginnt 1921 in einem britischen Internat. Wir beobachten Nick Jenkins, dessen Leben in dem Zyklus erzählt wird, und seine Freunde Charles Stringham und Peter Templer beim traditionellen Tee, bei Verwandtenbesuchen, im Umgang mit dem Lehrpersonal. Sofort stolpert man über offensichtliche Eigentümlichkeiten britischen Internatswesens, darüber, dass es akzeptierte Arten des Benehmens und selbst des „Über die Stränge Schlagens“ gibt und unakzeptable. Den Unterschied kennt man – oder verrät sogleich die Nichtzugehörigkeit zu entsprechenden Gesellschaftsschichten.
Im weiteren Verlauf begleiten wir Jenkins zu einem Sprachaufenthalt nach Frankreich, bei den ersten Schritten auf der Universität und erleben seine ersten Verliebtheiten. Im Grunde passiert nicht viel. Jenkins berichtet über seine Erlebnisse, teilt seine Gedanken dazu und öffnet dabei ganz nebenbei und im Plaudertone die Tore zu einer verlorenen Welt.
Ich glaube, man muss diese Art des Schreibens mögen. Es ist wie mit Koriander, entweder man liebt ihn oder man findet ihn seifenartig im Geschmack, dazwischen gibt es nichts. Hier ist es wohl ebenso. Ich kenne diverse Stimmen, die dem Buch gepflegte Langeweile vorwerfen, denen Handlung fehlt, Spannung, Ereignisse. Ich habe diesen ersten Band geliebt und fast ohne Unterbrechung gelesen, wollte und konnte mich nicht trennen von diesem anderen Leben, diesem durchaus auch ereignislosen Alltag in einer mir eher fremden Gesellschaft, diesem Blick auf Personen und die Gründe ihres Verhaltens. Und ich freue mich darüber, dass ja nun noch elf weitere Bände auf mich warten, sofern dem Verlag nicht zwischendrin die Puste ausgeht, was ich mir gar nicht ausdenken mag. Zwei weitere Bände sind schon erschienen, zwei werden demnächst erscheinen. Sollte also in nächster Zeit hier Stille herrschen, dann tanze ich zur Musik der Zeit.

 

Weitere Rezensionen zu diesem Buch:

Blog des Bücherladens Appenzell https://buecherladenappenzell.wordpress.com/2018/01/05/eine-frage-der-erziehung/

Lektorenleid

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Die Morde von Pye Hall

Anthony Horowitz

Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff

erschienen 2018 im Insel Verlag

ISBN 978-3-458-17738-8

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„Die Morde von Pye Hall“ ist der neue Roman des Erfolgsautors Anthony Horowitz, eine Hommage an den klassischen britischen Krimi á la Agatha Christie und zugleich eine spielerische Weiterführung des Themas, ein Roman im Roman.

Die Lektorin Susan Ryeland arbeitet für Cloverleaf Books, den Verlag, der die berühmte Krimiserie um den Detektiv Atticus Pünd verlegt.  Als sie das Manuskript zum neuesten Buch aus der Serie liest, bemerkt sie, dass das letzte Kapitel fehlt. Gleichzeitig nimmt sich der dazugehörige Starautor Alan Conway das Leben. Bei der Recherche nach den letzten Seiten stößt Susan auf Ungereimtheiten und beginnt zu ermitteln…

Es fällt mir tatsächlich ein wenig schwer, über diesen Roman zu schreiben ohne zu viel zu verraten. Aber so viel sei gesagt: ich hätte liebend gerne die komplette Reihe der Atticus Pünd -Romane auch gelesen, so gelungen finde ich den „letzten“ Band. Falls Horowitz also irgendwann die Themen ausgehen, wäre das ein wunderbares Projekt!
Die Idee, die Rahmenhandlung zu einem zweiten Krimi zu erweitern, ist ein geschickter Kunstgriff, der die Lesefreude definitiv verdoppelt. Was dieses Buch aber schlußendlich so besonders macht, ist die deutliche Freude, mit der der Autor sich in dieses Genre wirft, der spielerische Umgang mit den klassischen Versatzstücken. Man sieht das verschmitzte Grinsen fast vor sich, wenn Horowitz den Leser auf falsche Fährten zu locken versucht. Dabei versteht er eindeutig sein Handwerk, kennt den Tonfall und das Personal britischer Krimis in- und auswendig: vom adeligen Grundbesitzer über den Pfarrer bis zum Gärtner, von der ehemaligen Ehefrau über den verschmähten Liebhaber bis zum geheimnisvollen Fremden. Das liest sich sehr vertraut und hat trotzdem neue Elemente, ein bißchen, als hätte jemand ein geliebtes altes Buch entstaubt und neu einbinden lassen. Eines ist der Roman trotz bekannter Abläufe jedoch auf keinen Fall: langweilig! Wer, wie ich, gerne Kriminalromane liest, aber mit brutalen Gemetzeln wenig anfangen kann, wer gerne rätselt und den Fehler in den geschilderten Abläufen sucht, wer zwar gerne ermittelt, aber dabei auf allzu blutige Details verzichten kann, der wird mit diesem Roman nach klassischer Art seinen Spass haben.

Ich danke dem Insel Verlag herzlich für das zur Verfügung gestelle Leseexemplar.

Weitere Rezensionen zu diesem Buch:

lovely testing https://lovelytesting.wordpress.com/2018/03/19/die-morde-von-pye-hall-von-anthony-horowitz/
Das Blog für Hörbücher https://buecherhoererin.wordpress.com/2018/03/20/anthony-horowitz-die-morde-von-pye-hall/

 

Curt Goetz

Wer kennt ihn noch, Curt Goetz, einst einer der besten deutschen Komödienschreiber? Seine Stücke wurden unzählige Male auf Theaterbühnen gespielt und auch verfilmt, u.a. mit Willy Fritsch, Gustav Gründgens, Laurence Olivier, Cary Grant, Elisabeth Flickenschildt, Walter Giller, Dietmar Schönherr… Die Liste ist lang und hochkarätig.

Goetz wird 1888 als Sohn eines Kaufmanns in Binningen, in der Schweiz geboren, wächst allerdings nach dem frühen Tod des Vaters im Heimatort der Mutter, Halle an der Saale, auf. Seine künstlerische Begabung wird gefördert, 1907 hat er sein Bühnendebüt in Rostock. 1911 geht er nach Berlin und beginnt dort, Boulevardtheaterstücke zu schreiben, wenig später auch Drehbücher für Stummfilme.
1923 heiratet er in zweiter Ehe die Schauspielerin Valerie von Mertens, fortan seine „geliebte Ehefrau“. 1939 geht das Paar nach Hollywood, um mehr über das dortige Filmwesen zu lernen, wird vom Zweiten Weltkrieg überrascht und bleibt. Zunächst bei MGM unter Vertrag, gefällt Goetz die amerikanische Filmindustrie wenig. Stattdessen kauft er sich eine Hühnerfarm und beginnt zu züchten.
Nach dem Krieg zieht das Ehepaar in die Schweiz, wo Goetz 1960 verstirbt.

In dieser ganzen Zeit verfasst Goetz diverse Theaterstücke, die Novelle „Tatjana“, den Roman „Die Tote von Beverly Hills“, Drehbücher und seine Memoiren – ein Vielschreiber auf hohem Niveau. Am Bekanntesten sind sicherlich seine Stücke „Das Haus in Montevideo“ über eine fatale Erbschaft und „Dr. med. Hiob Prätorius“ über einen Arzt, der eigene Wege geht.

Goetz‘ Humor ist über der Gürtellinie, dabei aber nicht ohne Tiefgang, sein Stil zu vergleichen mit amerikanischen Screwballkomödien. Die Dialoge sind flüssig, schlagfertig und mit einem Augenzwinkern, das ich bei heutigen Stücken oft vermisse. Auch Goetz wirft bisweilen die berühmte Torte, aber eben nicht im Dauerzustand. Plakative Kalauer sind seine Sache nicht, aber für ein Kichern ist er immer gut.
Vielleicht sind seine Stücke inzwischen tatsächlich ein wenig angestaubt, aber mit ein wenig Pusten und Wedeln entdeckt man echte Juwelen deutschen Boulevardtheaters.

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In meinem Bücherschrank findet sich diese Ausgabe seiner Gesammelten Bühnenwerke, erschienen 1952 in der Verlagsbuchhandlung F.A. Herbig. Es fehlen naturgemäß die nach ’52 geschriebenen Stücke.
Wenn man die Bühnenstücke so nacheinander liest, begleitet man den Autor auch ein wenig in seiner Entwicklung, sieht den Weg, den er vom ersten Stück „Der Lampenschirm“ bis zum bereits erwähnten „Prätorius“ zurückgelegt hat – und stellt fest, dass guter Humor in großen Teilen eben doch kein Alter kennt…

Die wundersamen Abenteuer des Mr. Smith

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Neu York

Francis Spufford

Aus dem Englischen von Jan Schönherr

erschienen 2017 im Rowohlt Verlag

ISBN 978-3-498-06447-1

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Neu York, 1746. Zu dieser Zeit ist die spätere Millionenstadt ein kleines englisches Kolonialstädtchen, immer noch geprägt von den holländischen Gründern. Von den beständigen Einwohnern kennt jeder jeden, Neuankömmlinge werden mißtrauisch beäugt. In diese Dorfwelt platzt der Londoner Richard Smith, ausgestattet mit einem Wechsel über tausend Pfund, den einzulösen der zuständige Kontor sich weigert. Eine Anfrage wird zurück nach London geschickt, damals noch per Schiff. Die erhebliche Wartezeit stellt Mr.Smith nicht nur vor finanzielle Probleme, nein, er muss sich auch erwehren gegen Versuche, ihn auszuhorchen oder gar politisch vor einen Karren zu spannen.

Was so zusammengefasst vielleicht ein wenig trocken wirken mag, ist genau das aber keineswegs. Spufford hat einen herrlichen Schelmen- und Abenteuerroman geschrieben um diesen mysteriösen Mr. Smith, der weder die Neu Yorker noch uns Leser hinter die Karten gucken lässt. Was treibt diesen offensichtlichen Großstädter in die Kolonien? Was möchte er mit den tausend Pfund dort erreichen?

Francis Spufford ist eigentlich bekannt als Sachbuchautor. Dies ist sein erster Roman und, das sei gleich dazu gesagt, hoffentlich nicht sein letzter. Denn hier treffen genaue und gekonnte Beschreibungen der damaligen Gegebenheiten auf überbordende Fabulierlust und ein Händchen für geschickte Wendungen. Immer dann, wenn man eine neue Idee entwickelt hat, wohin die Reise gehen könnte, macht Spufford einem charmant lächelnd einen Strich durch die Rechnung. Und so hatte ich hier tatsächlich einen der wenigen Romane vor mir, bei denen ich bis zum Schluss überraschende Entdeckungen machen konnte. Dazu kommen interessant gezeichnete Charaktere, von Mr Smith selbst natürlich, über die ein wenig überspannte Tochter des Kontorbesitzers, bis hin zu den holländischen Platzhirschen vor Ort, einer wirklich freundlichen Familie, mit einer gehörigen Portion Eisen unter dem Zuckerguss.

Um dem Ganzen nun noch die Krone aufzusetzen, hat Rowohlt das Buch auch besonders hübsch gestaltet. Jeder Teil wird mit einer Illustration von Eleanor Crow eingeleitet, die dabei Zeichnungen aus dem 18.Jahrhundert zum Vorbild nahm. Der Schutzumschlag zeigt eine Häuserreihe in holländischem Hansestil mit Goldprägung akzentuiert, und ja, es gibt ein Lesebändchen, für mich immer das seligmachende Tüpfelchen auf dem i.

Scheinbar ist dieser Roman bei den Neuerscheinungen des letzten Jahres unverdient ein wenig untergegangen. Grund genug, jetzt eine definitive Leseempfehlung auszusprechen, denn für mich zählt der Roman zu den besten, die ich dieses Jahr bisher gelesen habe.

 

 

Von der Liebe

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Was man von hier aus sehen kann

Mariana Leky

erschienen 2017 im DuMont Buchverlag

ISBN 978-3-8321-9839-8

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„Was man von hier aus sehen kann“ ist zum Lieblingsbuch der Unabhängigen Buchhandlungen 2017 gewählt worden, ein Preis, der von Buchhändlern in ganz Deutschland vergeben wird. Und damit ist von vornherein klar, dass dieses Buch besonders sein muss. Über den Ladentisch eines Buchhändlers gehen zig Bücher, täglich beraten sie Kunden, geben Empfehlungen zu jedem Geschmack und Genre, kennen den Inhalt unzähliger Bücher, zumindest grob, lesen in ihrer Freizeit Vorabexemplare, halten sich auf dem aktuellen Stand, kurz sind täglich von vielen, vielen Büchern umgeben, darunter viele wirklich gute. Wenn dann eines dieser Bücher aus der Menge so herausragt, dass es preiswürdig erscheint, dann muss es eben genau das sein: besonders, anders als die anderen.

Die ersten Ausschnitte aus diesem Roman habe ich bei einer Lesung von der Autorin Mariana Leky gehört. Und kann das wirklich empfehlen. Das Buch danach mit ihrer unverwechselbaren und charmanten Stimme im Kopf zu lesen, hat das Lesevergnügen definitiv noch erheblich erhöht. Und dazu geführt, dass ich erstens noch weitere ihrer Bücher lesen und zweitens möglichst keine ihrer Lesungen in meinem Umkreis verpassen werde.

Aber für die wenigen, die den Roman tatsächlich noch nicht gelesen haben werden: worum geht es eigentlich?
Es geht um Dorfleben, um Alltag und um die Liebe in ihren unterschiedlichen Facetten. Es geht darum, herauszufinden, wie man leben möchte, um verpasste Momente, um Weggabelungen und darum, die richtige Richtung zu finden und den Mut zu haben, sie dann auch einzuhalten. Es geht um Zusammenhalt und Nähe und darum, sich im rechten Moment zu kümmern. Und es geht um Okapis und was sie unwissentlich anrichten, wenn sie einem im Traum erscheinen.
Mariana Leky gelingt es auf eine sehr warmherzige und humorvolle Art, den Wunsch zu erwecken, doch bitte, bitte in dieser Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, das Große für das Kleine tauschen zu können, zwar nicht behütet, aber doch akzeptiert zu leben, mit den bekannten Marotten, von denen jeder weiß, aber sie nur selten bekrittelt. Es ist die Wärme, das Halt nehmen und geben, was das Buch wie einen roten Faden durchzieht. Die Sorgen und Schmerzen können noch so groß sein, und das sind sie streckenweise eben, weil das im Leben nun mal so ist und sich nicht vermeiden lässt, allein gelassen wird damit niemand. Und das ist das Besondere an diesem Buch: die Helden sind normale Menschen. Selma etwa, die aussieht wie Rudi Carell, oder der Optiker, der ein Gespür dafür hat, immer dann da zu sein, wenn jemand ihn braucht. Sie alle sind nicht einem Hollywoodfilm entstiegen, sind nicht extrem mutig, klug oder schön. Und trotzdem leuchten sie von innen, sind so mutig wie nötig, um das Leben zu bewältigen, so klug wie nötig, um den Alltag zu erhellen und so schön, wie sie in den Augen eines liebenden Gegenübers eben sind.

Und so kann auch ich nur in den Chor der begeisterten Stimmen eintreten und „Was man von hier aus sehen kann“ als unbedingt lesenswert weiter empfehlen. Wenn ein Buch den Alltag für einen Moment erhellen kann, das Leben ein bißchen wärmer macht, dann sollte es doch von möglichst vielen gelesen werden.

 

Weitere Rezensionen zu diesem Buch findet ihr hier:

Buchrevier https://buchrevier.com/2018/02/01/mariana-leky-was-man-von-hier-aus-sehen-kann-hoerbuch/
Literatur leuchtet https://literaturleuchtet.wordpress.com/2017/11/24/mariana-leky-was-man-von-hier-aus-sehen-kann-dumont-verlag/
Lesen in vollen Zügen https://leseninvollenzuegen.wordpress.com/2017/10/10/review-was-man-von-hier-aus-sehen-kann/
Translate or die https://translateordie.wordpress.com/2018/01/04/was-man-von-hier-aus-sehen-kann-von-mariana-leky/

 

 

El Dorado

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Die goldene Stadt

Sabrina Janesch

erschienen 2017 im Rowohlt Verlag

ISBN 978-3-87134-838-9

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El Dorado, sagenumwobene Stadt der Inkas, strotzend vor Gold und gut versteckt vor Eindringlingen, irgendwo in Peru gelegen, El Dorado, das schon so viele Glückssucher inspirierte, doch nie sein Geheimnis preisgab, dieses El Dorado fasziniert auch den Jungen Rudolph August Berns, der mit seinen Eltern in Uerdingen am Rhein lebt. Ein verträumter Junge, der sich stundenlang damit beschäftigen kann, sich abenteuerliche Geschichten auszudenken, der zusammen mit seinem Vater Gold wäscht im Rhein.
Kinder werden erwachsen und geben meistens ihre Träume und Phantasien irgendwann auf. Nicht so Berns. Sein ganzes Leben richtet er darauf aus, die verschollene Inka-Stadt zu entdecken, scheut weder harte Arbeit, noch die Trennung von seiner Familie – und reist tatsächlich nach Peru.

Sabrina Janesch, die mich zuletzt mit ihrem Roadmovie „Tango für einen Hund“ sehr begeistern konnte, hat sich der Geschichte des fast unbekannten Entdeckers Augusto Berns angenommen. Herausgekommen ist eine literarische Biographie und ein Abenteuerroman im Stile Karl Mays, nur lebensechter. Berns ist eine Art moderner Don Quixote, ein Glaubender, den noch so viele Hindernisse nicht davon abhalten können seinen Traum zu leben und seinen Weg zu gehen.
Er zieht ins Hochland von Peru und findet dort Machu Picchu und zwar 1867, 44 Jahre bevor Hiram Bingham diese Entdeckung für sich reklamiert. Doch damit scheint Berns‘ Glückssträhne erschöpft, eine weitere Ausforschung mißlingt, sein Name gerät in Vergessenheit.

Sabrina Janesch erweckt ihn wieder zum Leben, diesen Ritter von scheinbar gar nicht so trauriger Gestalt und zeigt dabei nicht nur seine träumerische Seite, sondern auch, was eigentlich sein Antrieb ist: Gold. Berns geht es gar nicht wirklich in erster Linie darum, die Überreste einer verlorenen Stadt zu finden, sondern er sucht, was viele vor ihm auch nicht gefunden haben, den verlorenen Schatz der Inkas, El Dorado, die goldene Stadt. Die aber zu seinem Leidwesen kein Gold enthält, zumindest nicht sichtbar. Dass er dem Leser dennoch sympathisch bleibt, dass sein Handeln in weiten Teilen nachvollziehbar ist, verdanken wir, oder vielmehr er, Sabrina Janeschs einfühlsamen Schreiben. Sie behält aber trotzdem dabei auch hier ihren eher lässigen, pathosfreien Stil, der das Lesen so mühelos macht und trotzdem nicht an Tiefe verliert.
Das Buch hat durchaus einige wenige Längen, besonders im hinteren Teil. Das ist dem biographischen Stil des Romans geschuldet; ein Leben ist meistens in den Aufbruchsjahren spannender, weil jugendliche Frische und Lebensmut auch den Leser mitreißen, weil in weniger Zeit mehr passiert. Gleichwohl ist der Roman nie trocken oder gar langweilig. Nein, ich glaube, Augusto Berns wurde hier ein wunderbares Denkmal gesetzt, das seinem Sinn für Abenteuer und gute Romane bestimmt voll entspräche.

Auch die Aufmachung des Romans ist überaus gelungen. Der Schutzumschlag zeigt eine alte Landkarte, der Titel findet sich in einer Art goldenem Medaillon. Die Stimmung des Romans wurde damit schon wunderbar eingefangen. Ein goldenes Lesebändchen setzt den Tüpfel auf das i. Ein Schatz für das Buchregal.

 

Weitere Rezensionen zu diesem Buch findet ihr hier:

Petras Bücher Apotheke https://petrasbuecherapotheke.wordpress.com/2018/02/18/die-goldene-stadt-sabrina-janesch/
Wortgestalten https://wortgestalten.com/2017/11/30/sabrina-janesch-die-goldene-stadt/
Lieblingsleseplatz https://lieblingsleseplatz.wordpress.com/2017/08/19/die-goldene-stadt-von-sabrina-janesch/
Riccis Literaturweltblog https://literaturweltblog.wordpress.com/2017/11/11/die-roman-rezension-die-goldene-stadt-von-sabrina-janesch/
Bücherwurmloch http://www.buecherwurmloch.at/2018/03/14/sabrina-janesch-die-goldene-stadt/