Heute gibt es wieder einen „Buchtipp zum Wochenende“, diesmal von http://dieartderida gratias.wordpress.com . Mehr zu diesem spannenden Blog erfahrt ihr weiter unten. Jetzt geht es erstmal zur Rezension von Patricia Hempels „Metrofolklore“:
Jung, ledig, lesbisch sucht… je nach Tagesform Sex, Drugs & überhaupt den Rock’n & Roll des Lebens, oder aber die Poesie der Hohen Minne. Denn…
„Der einzige Weg der Mühsal des Lebens zu begegnen, ist Hedonismus, der von Herzen kommt. Nur echte Sinnlichkeit schafft Freude und diejenigen, die wissen, wo sie zu finden ist haben eine Chance auf Glück, auch wenn es so flüchtig ist wie die Zeilen eines Gebets.“
Kluges Mädechen, die fast 28-Jährige Protagonistin. Berlinerin natürlich, und damit mit „Hip-ismus qua Geburt“ ausgestattet, am Busen, ausgesprochen gut gemachte Toyboy-Bojen, einer auch monetär erfolgreichen „in irgendwas mit Immobilien“-Karrierefrau, von Mikrowellenkost genährt. Sozialisiert in einem Kinderzimmer mit Blick auf die ewige Schlafstatt Dahingeschiedener, was dann in ein Studium, natürlich an einer dieser Konform-Ästheten ansprechenden Unis, der Vor- und Frühgeschichte mündet, in dem nan die Knochen längst Verstorbener aus der Erde puhlt, um sie dann in Plastik eingehüllt und in Kisten verstaut ins Kellerregal zu stellen.
Wenn die namenlose Ich-Erählerin mit einer „sensitive“ Zahnbürste hingebungsvoll Kloakenreste schrubbt, sinniert sie, intellektuell stimuliert durch Orvid’sche Flirtratgebung oder Senecas Anmach-Alphabet, über die geeignete Taktik zur Verführung der Anbetungswürdigsten unter den anbetungswürdigen Frauen seit Helena von Troja, über ihre Kommilitonin, die schöne Helene nach, die nicht nur so verflucht hetero ist, sondern auch noch alle Vorabendserien Studentinnenklischee erfüllend ein Verhältnis mit dem verheirateten Uni-Dekan hat.
„Sollte ich jemals die Archäologin in mir überwinden und einen Roman schreiben, wird mein Debüt eine feurige Minne für Helene.“
Und so ist es. Alles in allem erzählt der Roman von ein paar Tagen im Leben der Minnesängerin. Ein bisschen Klatsch und Tratsch über das WG-Leben mit ihren zwei Mitbewohnern, ein schwuler Modedesign-Student und ihre beste Freundin, die zweite Klischee-Hete. Diese ganz spießig gesegnet mit einem Freund mit „shades of grey“-Ambitionen. Dazu kommen regelmäßige Beziehungsgespräche auch über potentielle Samenspender mit Anika, der durch Langzeitbeziehung nunmehr Unbegehrten mit tickender Gebärmutter. Zum Vergessen dieses heimischen Ungemachs ein bisschen Baggern, Graben und mehr in „lonely planet“-würdigen Berliner Szenebars und ihren Unisex-Toiletten. Dazwischen der Campus, mit seinen Sehnsuchtsorten für potentielle Begegnung mit „der Einen“ oder wenigstens ein paar ablenkende Schmachtblicke für sexy Erasmusstudentinnen in der Mensa, der Besuch peinlicher Motto-Geburtstagsparties und Stories über verlorene Berliner Hunde, denn der Bär war gestern…
Also Dies und Das, Irrungen und Wirrungen, natürlich eher handlungsarm, die Apotheose des Augenblicks…das Leben halt.
Netterweise liefert der Debut-Roman „Metrofolklore“ der Berliner Autorin Patricia Hempel, Jahrgang 1983, die nach einem Ur- und Frühgeschichtsstudiumam „place to be“, der europäischen Metropole schlechthin, zur Poesie, genauer zum Schreiben Lernen in die Provinz, nach Hildesheim, findet,Inhalts- und Figurenanalyse dem Leser gleich mit.
„Sie erzählt von einem belanglosenRoman, den sie gerade schreibt, in dem es viel um Sex und Drogen geht. Die Hauptfigur ist ein Versager, der von einer Krise in die nächste rennt.Klingt nach einer dieser Trash-Pop-Stories, von denen es genug gibt, aber ich bekunde: Toll, würde ich kaufen!“
Popliteratur wie aus dem Lehrbuch. Das gekonnte Archivieren von Belanglosigkeiten (M. Baßler), die unser Leben nun mal ausmachen. Die Wiederholung bekannter Begrifflichkeiten, Konsumgüter Name-dropping, Floskeln und Gedankenschnipsel aus dem Pool gemneinsamer Erinnerung. Ein Hoch auf uns.
Nicht allen gemein,, natürlich, aber der Masse des Populus. Sicher nicht unbedingt im Gedächtnis meiner Großmutter verankert, die würde nicht zwingend wissend nicken, wenn die Heldin sich über modische Hochs und Tiefs von Chucks ausläßt. Ironisches Lob in Form imaginärer Photoübergaben ließen ihr Fragezeichen in ihr altersweises Gesicht geschrieben stehen. Dass es den korrekten Ort und die korrekte Anzahl von Haarnadeln, die doch eigentlich pins heißen, für einen Metropolen-Dutt gibt, wäre jenseits der Vorstellungskraft meiner Nachbarin vis-a-vis, Mutter dreier Kinder mit Vollzeitjob. Von hashtag Listen, porn-tube Titeln und anderen Spielereien im Fließtext mal ganz abgesehen, aber ein Großteil der Leser*innen nickt bestimmt ertappt.
In diesem Roman geht es nicht um eine Befindlichkeitsanalyse. Er ist, was er ist. Keine Jagd nach verborgener Bedeutung ist notwendig, keine Tiefenbohrungen gefragt.Eine Millieustudie, die deshalb so treffend ist, weil die Autorin einfach nur draufhält, keine aufgesetzte Dramaturgie, keinen Spannungsbogen konzipiert. Das alles ist wirklich kein Defizit, sondern der Mehrwert dieses wunderbar ironischen Romans.

Metrofolklore
Patricia Hempel
erschienen 2017 im Tropen Verlag
ISBN 978-3-608-50381-4
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Mein Blog Die Art der Ida Gratias ist ein Hybrid, ein Kulinarik & Literatur Blog, benannt nach meiner Großmutter mütterlicherseits. Das ist die mit den temperamentvollen, italienischen Wurzeln und der lebenslangen Allergie gegen das Schlemmen und den Arbeiten, die dem meist voraus gehen. Diese Aversion scheint vererbbar zu sein, auch meine Mutter machte sich wenig daraus ihre Zeit mit Schälen, Schnippeln und Schaben zu verbringen. Ich hingegen als nächste in der Kette überkompensiere diesen genetischen Defekt. Motiviert durch den „Savoir Vivre“-Einfluss meiner Familie väterlicherseits, bin ich dem Genuss regelrecht verfallen.
Ich liebe es zu kochen, gerne als Wiederbelebung von Reiseerinnerungen, oder um mein Fernweh zu befriedigen. Die passende Musik aufgedreht, dazu ein Glas Wein… Ich gehöre auch zu den merkwürdigen Gestalten, die noch beim Essen schon wieder ans Kochen denken können. Ich genieße es stundenlang Kochbücher zu wälzen, habe ein Faible fürs Bekochtwerden durch professionelle Kochkünstler und nutze jede Gelegenheit auf Reisen Lebensmittelmärkte zu besuchen. Ich bin das, was man neudeutsch Foodie nennt; ich nenne mich Genießer.
Wenn ich nicht koche lese ich, ok, manchmal mache ich sogar beides gleichzeitig. Pastinaken schälen geht auch wunderbar, während man ein E-book liest, Topinambur etwas weniger gut. Und ja, auch ich spießige Papierliebhaberin verwehre mich nicht vollends der technischen Moderne.
Meine Liebe zur Literatur ist übrigens noch älter als die fürs Kochen. Als ich über die üblichen Jugendbücher hinaus war, habe ich erst einmal wie eine verfressene Raupe alles gelesen was mir an Literatur für die Erwachsenen unter die Finger kam. Wirklich alles, kein Buch war vor mir sicher, ob ich es verstanden habe, oder nicht.
Da gab es Puzos „Pate“ und Alcotts „Betty und ihre Schwestern“ mit 9 und Thomas Manns „Zauberberg“ und „Die kalifornische Sinfonie“ mit 10 Jahren. Die Wahllosigkeit hat sich mit den Jahren etwas gebessert.
Dann waren die Klassiker dran. Zuerst die Franzosen. Ich liebe die filmreifen Beschreibungen Zolas und mag die Landschaftsverbundenheit Maupassants. Ich genieße die Schwermut der Russen, vor allem Dostojewski, aber auch Tolstoi. Dann kamen die Briten. Ja, natürlich Jane Austen und die Bronte-Schwestern, und ich liebe E. M. Forster. Die Engländer befriedigen anscheinend die versteckte Romantikerin in mir. Die Deutschen Klassiker kamen erst als Pflichtlektüre in der Schule dazu, aber da gibt es bis heute keinen, an dem mein Leserinnenherz wirklich hängt.
Eingependelt hat sich mein Geschmack dann zwischen dem Beginn des 20.Jahrhunderts und der Gegenwartsliteratur. Genremäßig mag ich Historische Romane, Sachbücher aus dem Bereich Politik, Geschichte & Kultur, Krimis und Thriller lese ich erst seit ich blogge und tue mich immer noch schwer, und vor allem das, was auf den Verlagsseiten einfach unter „Literatur“ zu finden ist. Geographisch bewege ich mich zwischen Europa, Nordamerika, Afrika & dem Arabischen Raum. Nur mit den Südamerikanischen Autoren bin ich nie so richtig warm geworden.
Damit mein Blog das auch stärker wiederspiegelt als bisher, lautet mein Blogger Vorsatz für 2018 nicht mehr bei jedem mir zur Rezension angebotenen Buch „hier“ zu rufen, sondern stärker vorab zu selektieren, bis jetzt klappt das ganz gut. Bei Patricia Hempels Debut hat sich das Rufen auf jeden Fall gelohnt, finde ich.
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