Die wilden jungen Leute

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Lust und Laster

Evelyn Waugh

Aus dem Englischen übersetzt von pociao

als tb erschienen 2018 im Diogenes Verlag

ISBN 978-3-257-24383-3

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Evelyn Waugh, 1903 – 1966, gilt als einer der besten Schriftsteller Großbritanniens. Viele seiner Bücher sind Klassiker, weltweit bekannt. Der Verlegersohn veröffentlichte 1928 seinen ersten Roman „Decline and Fall“, der gleich ein Erfolg wurde. 1930 folgte dann „Vile Bodies“, das uns hier in der Übersetzung von der wunderbaren Sylvia de Hollanda, genannt Pociao, vorliegt.

Der junge gutaussehende, aber bedauerlicherweise arme Adam wünscht die gutbetuchte und adelige Nina zu heiraten. Seine Versuche zu Geld und Ansehen zu kommen, um diesen Wunsch in die Tat umzusetzen, nutzt Waugh, um ein Portrait der jungen britischen Upper Class der Zwanziger Jahre zu zeichnen, die den Sinn ihres Lebens darin sieht von Party zu Party und von Skandal zu Skandal zu wandern.

Es gibt eine Tradition englischer Gesellschaftsromane, die mit Humor und Augenzwinkern die Eskapaden der oberen Zehntausend beschreiben. Am bekanntesten ist da sicherlich die Jeeves-Reihe von P.G. Wodehouse. Anders als Wodehouse schreibt Waugh allerdings mit deutlich spitzerer Feder und viel dunklerem Humor. Da bleibt einem bisweilen das Lächeln glatt im Halse stecken, wenn z.B. der abgehalfterte Society-Reporter einen letzten Skandal forciert, um dann den Kopf in den Gasherd zu stecken oder die junge Party-Queen ihre letzte große Party im Irrenhaus feiert.

Was diesen Roman trotzdem so amüsant und auch charmant macht, sind erstens die einfach brillante Schreibweise, die geschliffenen Pointen und hintersinnigen Formulierungen und zweitens die Art, wie Waugh den Lebenshunger einer Generation zeigt, die einen Krieg überlebt hat und den nächsten schon vor den Toren stehen sieht, einer Generation, die alles mitnimmt, was sich an Erlebnissen bietet, atemlos, masslos, sinnenfreudig. Und drittens ist es Waughs Lust an der Überzeichnung seiner Charaktere, die den wunderbar schrulligen Colonel Blount zum Leben erweckt oder die auf dem Vulkan tanzende Miss Runcible, die unbedacht und liebreizend einen Skandal nach dem nächsten auslöst.

Waugh zeigt meisterhaft, was Gesellschaft und Konventionen oder auch das Verleugnen derselben aus eigentlich liebenswürdigen und bisweilen schlicht unbedarften Menschen machen kann, zeigt, wie Societygrößen entstehen und vergehen, zeigt, was Klatsch anrichten kann, aber auch wie man ihn steuern und nutzen kann und hat mit „Lust und Laster“ den „Roaring Twenties“ ein unvergängliches Denkmal geschaffen, einen Roman, der auch nach fast einhundert Jahren nichts an Frische und Spritzigkeit verloren hat.

Ich danke dem Diogenes Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit

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Montauk

Max Frisch

erschienen im Suhrkamp Verlag

ISBN 978-3-518-46811-1

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Montauk. Ein kleiner Ort an der Spitze von Long Island, Bundesstaat New York. Benannt nach dem Ureinwohnerstamm der Montaukett, bekannt durch seinen Leuchtturm – und Max Frisch. Der verbrachte 1974 nämlich ein Wochenende dort in weiblicher Begleitung und schrieb darüber.

Und während der alternde Frisch seine Zeit mit der jugendlichen Lynn teilt, sinniert er über vergangene Lieben und Wunden. Er versucht sein Erleben und seine Gedanken möglichst getreu wiederzugeben, ohne Streichungen und Hinzufügungen. Dabei nimmt er keine Rücksichten, nicht auf sich, aber auch wenig auf andere, schreibt über Schwangerschaftsabbrüche, Verletzungen, den Tod naher Personen, über Freunde, seine Frauen und seine Kinder, über seine Impotenz und das Altern.

Naturgemäss reisst er viele Themen nur kurz an, es ist ja eine Erzählung, keine umfassende Autobiographie. Der Veröffentlichung folgte ein Sturm der Entrüstung. Vor allem seine ehemaligen Partnerinnen waren verletzt und empört über die Art seines Schreibens. Als Autor des Textes war es eben Frisch, der entschied, über was er schrieb, wo in einer Erinnerung er den Punkt setzte und was er damit offenlegte und was er verschwieg. Das ihm das bewusst war, zeigt folgender Ausschnitt:

Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser
und was verschweigt es und warum?

Damit ist „Montauk“ eigentlich nicht sinnvoll lesbar ohne eine genauere Kenntnis von Frischs Lebenslauf. Erst, wenn man die Erinnerungen mit konkreten Daten, den Lebensläufen der erwähnten Personen und den weiteren Verläufen der angerissenen Geschehnisse füllen kann, ergibt sich ein Gesamtbild. Für mich zumindest. Was man aber auch ohne dieses ganze Wissen spüren kann, ist die Einsamkeit, die Frisch scheinbar sein ganzes Leben lang umgeben hat und die aus jeder Seite des Buches dringt. Gescheiterte Beziehungen, wenig Bezug zu den eigenen Kindern, eine Geliebte, die zwar Gesellschaft, aber nicht zwingend Nähe bedeutet, dazu der menschenleere Strand und die Abgeschiedenheit des kleinen Küstenortes…

Und so möchte ich mit einer Strophe aus Erich Kästners Gedicht „Kleines Solo“ enden:

Einsam bist du sehr alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Träumst von Liebe. Glaubst an keine.
Kennst das Leben. Weißt Bescheid.
Einsam bist du sehr alleine-
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Ich danke dem Suhrkamp Verlag sehr herzlich für das Leseexemplar.

 

 

 

Amüsant, aber…

Tagebuch einer Lady auf dem Lande von E M Delafield

Tagebuch einer Lady auf dem Lande

E.M. Delafield

erschienen 2012 im Manhattan Verlag

ISBN 978-3-442-54691-6

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Ich gestehe, ich habe eine relativ ungefilterte Vorliebe für alles Britische und tappe dabei auch gern in jede Klischeefalle, die meinen Weg kreuzt. Tee, Scones, Kamin, Jagdhunde, geblümte Tassen, Gartenbau – herrlich!

Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass das „Tagebuch einer Lady auf dem Lande“ bei erster Sichtung sofort und augenblicklich erworben werden musste. Dieses Cover! Eine überaus elegante und erkennbar britische Lady betrachtet liebevollen Blickes eine Hyazinthe – mehr braucht es nicht, um mich zu überzeugen. Klappentexte, Buchvorstellungen, alles überbewertet. Mehr Ladies mit Hyazinthen oder Schneeglöckchen, meinetwegen auch Möhren, auf den Umschlägen und ich würde im Büchermeer versinken…

Nun gehöre ich aber zu den seltsamen Menschen, die die erworbenen Bücher auch lesen. Müsste man ja gar nicht. Man könnte ja auch Cover sammeln, so wie andere Briefmarken. Das wäre in diesem Falle allerdings doch schade, denn lesenswert ist das Tagebuch allemal.

Das 1930 erstmals veröffentlichte Buch enthält die gesammelten Texte einer wöchentlichen Zeitungskolumne und ist daher aufgeteilt in mehr oder weniger zusammenhängende Abschnitte. Das ist gut zu wissen, denn das Wort „Roman“ ist in diesem Falle tatsächlich eher irreführend. Die Tagebuchform macht aber alle eventuellen Zeitsprünge plausibel, die ursprüngliche Verwendung erklärt, warum vieles nur kurz angerissen und nicht weiter verfolgt wird. Berichtet wird über die Erlebnisse einer verheirateten Frau mit zwei Kindern, die mit Mann, Köchin und Kindermädchen in einem kleinen Dorf in Devon wohnt. Es geht um Geldprobleme, ungebetene Gäste, Dorffeste und dergleichen mehr. Das Ganze ist vergnüglich und frisch formuliert, besonders die kleinen Spitzen der französischen Gouvernante haben mir Freude bereitet.

Doch so ganz allmählich verging meine Freude. Man merkt nämlich auch deutlich, wie eingesperrt diese Lady ist durch die Konventionen ihrer Zeit. Die Kinder lieben und gerne um sich haben – das zeigt man besser nicht öffentlich, denn Disziplin und Benehmen sind es , was man von Kindern und Eltern erwartet; der Ehemann möchte ein auf seine Bedürfnisse ausgerichtetes Hauswesen, die seiner Frau sind da eher uninteressant – wie unliebsam, wenn eine Erkrankung ihrerseits alles durcheinander bringt; die Dorfgemeinschaft bestimmt über das Leben ihrer Mitglieder, ein Wohltätigkeitsbasar scheint sich an den nächsten zu reihen und immer ist tatkräftige Unterstützung vonnöten, eine Widerrede nutzlos, und der örtliche Adel sorgt mit Sonderwünschen für noch mehr Chaos. Zeitgleich müssen finanzielle Mißstände, aufsässiges Personal und andere Katastrophen bewältigt werden, so dass die Dame eigentlich immer vor der totalen Erschöpfung steht, das aber auf gar keinen Fall und niemals sich anmerken lassen darf, denn neben der ganzen zu bewältigenden Arbeit wird erwartet, dass sie adrett, gepflegt, hilfsbereit und immer liebenswürdig durch den Tag schwebt. Eigentlich unfassbar, aber wahrscheinlich trotz Überspitzung gar nicht so weit entfernt vom Alltag vieler Frauen Anfang des letzten Jahrhunderts.

Und nach der Lektüre habe ich mich gefragt, warum wir Frauen eigentlich auch heute noch viele unserer Rechte nicht wahrnehmen und uns reduzieren lassen auf Aussehen und Figur. Immerhin gibt es nun keine Ehemänner mehr, die uns vorschreiben dürfen, ob wir Freunde besuchen oder nicht, was für Bücher wir lesen und ob es Schinken zum Frühstück gibt oder Porridge. Nutzen wir also die Möglichkeiten, die wir haben und seien wir froh, dass Zeiten wie im Buch beschrieben, hoffentlich nicht wiederkehren!

Wenn das Cover schöner ist, als der Inhalt…

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Tatjana

Curt Goetz

erschienen 1946 im Artemis Verlag, Zürich

Dieses Schätzchen stand schon länger ungelesen in meiner Bibliothek. Es ist ein Flohmarktfund, mitgenommen, weil erstens das Cover wunderschön ist und ich zweitens dachte, es ist von Curt Goetz, also ist es lesenswert.

Es ist ein schlichtes Taschenbüchlein, nicht besonders dick und vom Cover mal abgesehen, gänzlich unauffällig. Die Seiten sind vergilbt, die Ecken abgestossen, kurz: es wurde mehrfach gelesen, aber dabei offensichtlich liebevoll behandelt.

Curt Goetz war zu seiner Zeit, d.h. Mitte der zwanziger bis Ende der fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, einer der begabtesten deutschsprachigen Komödienschreiber. Seine Stücke wurden in fast allen Theatern aufgeführt, zu Hörspielen verarbeitet und unzählige Male verfilmt. Am bekanntesten ist wohl „Das Haus in Montevideo“, u.a. 1963 von Helmut Käutner verfilmt mit damaligen Größen wie Heinz Rühmann, Ruth Leuwerik, Paul Dahlke und Victor de Kowa.

„Tatjana“ nun entstand in der Zeit, in der Goetz in Amerika lebte und schrieb. Er war dort vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht worden und blieb. Der Inhalt ist kurz zusammengefasst: Ein gestandener Mann, verheiratet, Kinder, Arzt, verliebt sich unsterblich in eine minderjährige Cellospielerin. Er wirft sein ganzes vorheriges Leben über den Haufen, um mit Tatjana und ihrer Mutter um die Welt zu reisen. Als sie eine Lungenentzündung bekommt, heiratet er sie noch kurz vor ihrem Tode und vegetiert fürderhin als gebrochener Mann dahin.

Was klingt wie ein melodramatischer Abklatsch von Nabokovs „Lolita“, ist tatsächlich schon vorher, nämlich 1944 entstanden. Das Thema scheint also in der Luft gelegen zu haben. So wunderbar Goetz seine Komödien konstruiert hat, pointiert und wohlformuliert, so sehr ist ihm diese Novelle mißlungen. Allzu dramatisch sind manche Ereignisse, zu gefühlsduselig ist die Umsetzung. Wobei andere Leser das durchaus anders empfinden mögen.

Nichtsdestotrotz werde ich mein Büchlein natürlich weiterhin behütet im Regal stehen lassen. Aufgrund der Menge meiner gelesenen Bücher muss ich immer genau überlegen, was bleibt und was geht. Dieses bleibt. In Erinnerung an einen eigentlich hervorragenden Schriftsteller und weil jemand es trotz aller weiteren Schlichtheit sehr liebevoll mit diesem Cover ausgestattet hat.

 

Betörend

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Das Parfum

Patrick Süskind

erschienen 1985 im Diogenes Verlag

ISBN 3-257-22800-7

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Immer wieder wird die Frage gestellt, ob ich eigentlich ein Lieblingsbuch hätte. Und immer wieder muss ich sagen, dass es eine Reihe von Lieblingsbüchern gibt, aber nicht das Eine und Einzige. Süskinds „Das Parfum“ kommt dem jedoch recht nahe. Es muss etwa 1994 gewesen sein, als ich es zum ersten Male las. Ich war zwanzig und gerade in die Welt hinaus gezogen, vorher hatte ich jedoch am heimischen Theater eine Aufführung von „Der Kontrabass“ gesehen, ebenfalls von Süskind, und war mehr als begeistert. Damals hatte ich einen recht knappen finanziellen Rahmen, aber als ich „Das Parfum“ in der Auslage einer Buchhandlung sah, musste es mit. Und ich eine Woche hungern. aber das war es definitiv wert…

Seitdem habe ich den Roman bestimmt fünfzehn Mal oder mehr gelesen und kann mich immer noch begeistern am Sprachfluss und der Handlungsführung. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass alle wirklich großen Romane zeitlos sind? Dass wir in ihnen versinken unabhängig von Entstehungszeit und Moden? Dass ihr Inhalt funktioniert und ihre Charaktere lebendig bleiben auch nach Jahrzehnten?

Und ich bin ja nicht die Einzige, die den Roman liebt: neun (!) Jahre lang stand er auf der Spiegelbestsellerliste, wurde in über fünfzig Sprachen übersetzt und schlußendlich auch verfilmt. Und das trotz des öffentlichkeitsscheuen Autors, der genau ein Interview gab – und dann keines mehr.

Zum Inhalt möchte ich gar nichts sagen. Ich weiß, das gehört sich nicht bei einer Besprechung, aber trotzdem. Die, die es gelesen haben, kennen den Inhalt und die, die es noch nicht gelesen haben, diese Glücklichen, denen das erste Mal noch bevorsteht, die sollten das Buch einfach aufschlagen und beginnen zu lesen:

Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte.“ (…)

Wie gut, dass es nicht bei der eigentlich geplanten Kurzgeschichte geblieben ist…

 

Ein dramatisches Märchen

978-3-15-004385-1

Der Traum ein Leben

Franz Grillparzer

erschienen in der Universal-Bibliothek vom Reclam-Verlag

ISBN 978-3-15-004385-1

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Franz Grillparzer, österreichischer Dramatiker und hier in Deutschland zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten. „Der Traum ein Leben“ ist eines seiner bekannteren Werke. Grillparzer war Verehrer der spanischen Dramatiker, Pedro Calderon de la Barcas Werk „Das Leben ein Traum“ ist der Titel nachempfunden. Dort wird ein Thronfolger vom König unter Drogen gesetzt und darf probeherrschen. Als es misslingt, teilt man ihm mit, er hätte nur geträumt.

Hier nun möchte der junge Jäger Rustan, verführt durch die schmeichelnden Worte seines Sklaven Zanga, aus der dörflichen Enge ausbrechen und in die weite Welt hinausziehen, um Ruhm und Ehre zu suchen. Als es weder seiner Verlobten Mirza noch seinem Onkel Massud gelingt, ihn umzustimmen, bitten sie um eine weitere Nacht in ihrem Hause. Und diese Nacht hat es in sich: Rustan träumt sehr intensiv von der Zukunft, die schlußendlich so ruhm- und ehrvoll gar nicht ist. Am nächsten Morgen ist er heilfroh nur geträumt zu haben, lässt Zanga allein ziehen und bleibt glücklich im vertrauten Umfeld.

Was sich so simpel zusammenfassen lässt, ist eigentlich ein sehr farbenprächtiges Schauspiel mit Schlangen, Prinzessinnen, Kämpfen und viel orientalischem Klimbim, ein rechtes Märchen eben. Jedoch geschrieben in der Zeit des Biedermeier, daher endend mit der Besinnung auf Bescheidenheit und häusliches Glück. Die ganze pralle, lebensvolle Welt ist gefährlich, so scheint es. Sicherheit gewährt nur der heimische Herd.

Bis zu dieser Erkenntnis allerdings schwelgt Grillparzer in Abenteuern, in bunten Kostümen und Settings, in märchenhafter Pracht. Verführerisch ist seine „große, weite Welt“ allemal, der Fall ist umso tiefer, als Rustan erkennt, dass auch diese Pracht ihre Tücken hat.

„Der Traum ein Leben“ würde ich zu gern auf einer Bühne erleben. Und zwar in einer angemessen opulenten Inszenierung.  Angestaubt ist dieses Märchen noch lange nicht, auch wenn die Uraufführung schon 1834 stattfand. Und den biedermeierlichen Hintersinn kann man getrost auf die heutige Medienwelt übertragen. Da ist auch nicht alles Gold, was glänzt und die Qualität findet sich häufig in der Nische und nicht auf freiem Feld.

Glück und Glas…

Kaesebier erobert den Kurfuerstendamm von Gabriele Tergit

Käsebier erobert den Kurfürstendamm

Gabriele Tergit

erschienen 2017 bei btb

ISBN 978-3-442-71556-5

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Gabriele Tergits Buch mit dem etwas sperrigen Titel „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ erschien ursprünglich 1931 im Ernst Rowohlt Verlag. 1933 emigrierte die jüdische Journalistin mit ihrer Familie nach Palästina, nachdem sie nur knapp einem Überfallkommando der SA entgangen war. Als ehrliche und pointierte  Prozessberichterstatterin war sie auf sehr dünnes Eis geraten.

Ihr Roman spielt 1929/30, eine unterschwellige Bedrohung liegt zwar in der Luft, aber noch suchen die Zeitungen verzweifelt nach Schlagzeilen. Die Berliner Rundschau veröffentlicht einen Artikel über den mittelmäßigen Varietesänger Käsebier, die anderen Berliner Zeitungen ziehen nach. Aus dem unbekannten Schlagerträllerer wird ein Medienstar, die Ufa dreht einen Film, es wird eigens ein Theater gebaut, es gibt Bücher, Staubtücher, Zigaretten, Gummipuppen mit dem Konterfei Käsebiers, die Massen pilgern zu seinen Auftritten. Bis, ja, bis die Saison zuende ist, der Ufa-Film floppt und die Massen weiterziehen zum nächsten vermeintlichen Superstar. Was zurück bleibt, ist verbrannte Erde. Der Pleitegeier schwebt über allen, die zuviel investiert haben in die angeblich sichere Sache und nur die, die nach oben katzbuckeln und nach unten kräftig treten entkommen dem Ganzen wohlbehalten und womöglich sogar reicher als zuvor.

Das ist heute noch genauso aktuell wie damals. In Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ macht man sich genau diese Abläufe zu Nutzen. Filtert aus den Unerfolgreichen, den Möchtegerns den mit der breitesten Publikumszustimmung, hypt ihn für eine Saison und lässt ihn fallen für den nächsten Kandidaten. Eine Verbrennungsmaschinerie ohne Herz und Verstand.

Gabriele Tergit versteht es sehr gut das Atemlose, Schnelle der Zeitungswelt zu vermitteln. Kein Wunder, waren ihr die Abläufe, die Themen in den Redaktionen ja zutiefst vertraut, hatte sie ja Vorbilder, auf die sie bei der Gestaltung ihrer Charaktere zurückgreifen konnte. Aber gleichzeitig portraitiert sie auch vortrefflich die Naivität der Menschen, den Wunsch, den Schein zu wahren in einer untergehenden Welt, was dazu führt, dass man beispielsweise trotz drohender Insolvenz den Frankreichurlaub nicht absagt- denn, was würden die Leute nur denken?

Für den heutigen Leser interessant und bisweilen auch witzig zu lesen ist der Berliner Slang der 30iger Jahre. An diesen umgangssprachlichen Sätzen erkennt man,wie sehr sich Sprache und Haltung seitdem verändert haben. Nicht jedoch die Machtmechanismen in Geschäftswelt und Politik, das Bestreben erst die eigenen Pfründe zu retten. Und das macht dieses Buch definitiv lesenswert, auch aus heutiger Sicht.

Das Nachwort von Nicole Henneberg erhellt ein wenig die Hintergründe des Romans. Sie erzählt vom Leben der Tergit, erzählt von den Umständen der Zeit und darüber, welche Menschen Pate gestanden haben könnten für einige der Charaktere im Buch. Vielleicht hätte man aus dem Nachwort ein Vorwort machen sollen, aber grundsätzlich steht der Roman auch für sich allein.

Ein Fenster in eine vergangene Zeit und Welt, das uns aus heutiger Zeit aber zeigt, wie wenig sich manches ändert und das unsere Zeit so modern eigentlich gar nicht ist.

 

Ich danke dem btb-Verlag herzlich für das Leseexemplar.

Prosperos Rache

Hexensaat von Margaret Atwood

Hexensaat

Margaret Atwood

erschienen 2017 im Knaus Verlag innerhalb der Hogarth Shakespeare-Reihe

ISBN 978-3-8135-0675-4

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Innerhalb der Hogarth Shakespeare-Reihe erscheinen Neubearbeitungen von Shakespeares Werken und zwar von international bekannten Autoren. So hat z.B. Anne Tyler „Der Widerspenstigen Zähmung“ ein neues Kleid verpasst oder Edward St Aubyn sich mit „König Lear“ auseinandergesetzt. Margaret Atwood, die Grande Dame der kanadischen Literatur, hat „Der Sturm“ gewählt.

„Der Sturm“ gilt als Shakespeares letztes Werk, von dem die Sage geht, der Zauberer Prospero sei er selbst, der am Ende seines Lebens den Zauberstab zerbricht und die Bücher vernichtet. Das ist begrenzt glaubwürdig, wenn man die vielen noch offenen Fragen in der Shakespeare-Forschung bedenkt, zu denen unter anderem die Frage zählt, wer eigentlich der Autor war, den wir Shakespeare nennen… Margaret Atwood hat es sich also definitiv nicht leicht gemacht mit der Wahl dieses Stückes. Für eine Komödie ist es zu tragisch, für eine Tragödie gibt es zu wenig Tote und das Ende ist zu freundlich, was ist es also?

Prospero, ehemals Herzog von Mailand, wird von seinem eigenen Bruder gestürzt und in einem lecken Boot im Meer ausgesetzt. Er erreicht in letzter Not eine Insel, auf der er zusammen mit seiner Tochter Miranda die kommenden Jahre verbringen wird. Und nun wird es kompliziert: es gibt dort Luftgeister, Göttinnen, Hexen, Trolle und den im Umgang etwas schwierigen Caliban. Der Zauberer Prospero schwingt sich zum Herrscher der Insel auf und schlußendlich gelingt es ihm sogar, Rache zu nehmen und seine Tochter geschickt zu verheiraten. Dafür braucht es viele Worte und Verwicklungen und so einiges an Personal.

Mrs Atwood verlegt die Geschichte auf eine moderne Insel, einen Ort, der mehr oder weniger abgeschlossen ist von der Aussenwelt, ein Männergefängnis. Dort probt der gealterte, ehemals berühmte Regisseur und Schauspieler Felix Phillips mit den Insassen für eine Aufführung von „Der Sturm“. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Leiter eines Theaterfestivals wurde er von seinem Freund und Mitarbeiter Tony betrogen und aus dem Amt entfernt. Er hat Rache geschworen und jetzt endlich scheint die Gelegenheit da zu sein…

Was für ein Kunstgriff! Die ursprüngliche Geschichte wird also quasi umrahmt von der Neubearbeitung. Und der Leser darf rätseln, wer nun in der Jetztzeit welchen Charakter des Stückes darstellt. Zeitgleich bekommen wir aber auch noch eine Stückanalyse frei Haus, da Felix mit den Strafgefangenen, und somit ja auch mit dem Leser, das Drama in seine Bestandteile zerlegt, um es für den ungebildeten Laien verständlich zu machen. Denn in einem Gefängnis sitzen ja nun meistens alles andere als gebildete Theaterkenner.

Natürlich muss man das Buch als das lesen, was es ist: eine Bearbeitung mit einem in groben Zügen vorgegebenen Inhalt. Es ist nicht zu vergleichen mit anderen Werken der Autorin, die besser durchkomponiert sind und prägnanter formuliert. Man sollte es als das sehen, was auch Margaret Atwood offensichtlich darin gesehen hat: einen riesengroßen Spass und eine Spielwiese für kreative Ideen. Sie hatte sicherlich nicht die Absicht, mit diesem Buch nobelpreiswürdige Lektüre abzuliefern. Sie hat sich ausprobiert, hat Raps im Shakespeare-Stil geschrieben, hat an den passenden Stellen Glitzerkonfetti verstreut und nicht jede Handlung auf ihre Wahrscheinlichkeit überprüft. Mir hat sie mit der Idee, dass während der Proben nur Schimpfwörter aus dem shakespeare’schen Original benutzt werden dürfen, viel Freude gemacht. Ich war im Übrigen überrascht, wie viele das Stück hergibt, aber das nur am Rande.

Ich finde, Margaret Atwood hat ihre Aufgabe sehr selbstbewusst erledigt, aber auch sehr achtungsvoll vor dem Werk des Mannes, den man Shakespeare nennt. Für einen Schriftsteller, egal wie berühmt, ist es nicht leicht, sich mit dieser Ikone zu messen. Eine Neubearbeitung muss, verglichen mit dem Original, mit großer Sicherheit abfallen. Sie hat sich also gar nicht erst auf einen Vergleich eingelassen, sondern eher eine Hommage geschrieben oder auch eine kleine Werkanalyse verpackt in einen Roman. Wer das vor Augen hat, kann mit diesem Buch zum einen viel Spass haben und zum anderen auch einiges über den Sturm lernen. Und ganz unabhängig davon, ob man diesen Roman nun als großen Wurf betrachtet oder nicht, kann Margaret Atwood hervorragend schreiben. Ubd damit, ich sage es ganz unverblümt, wird die Kritik, das Werk wäre zu oberflächlich und nicht aussagekräftig genug, zu Jammern auf hohem Niveau.

Daher meine Empfehlung: lesen, lernen, Spass haben.

 

Ich danke dem Knaus Verlag sehr herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

 

Ländliches Amerika

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Lied der Weite

Kent Haruf

erschienen am 12.01.2018 im Diogenes Verlag

ISBN 978-3-257-07017-0

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„Lied der Weite“ ist eines von sechs Büchern, die der Autor Kent Haruf in Holt/Colorado spielen lässt. Holt ist eine fiktive Kleinstadt, steht aber Pate für alle kleinen Städtchen im ländlichen Amerika. Man kennt sich, mehr oder weniger, schätzt sich, mehr oder weniger, und kümmert sich ansonsten hauptsächlich um den eigenen Kram. Die Menschen sind nicht sonderlich mitteilsam, leben nebeneinander her und besprechen nur das Nötigste. Ein sehr amerikanisches Buch mit versteckter Trapper-Mentalität.
Personal haben wir gar nicht mal so wenig: da wäre Guthrie, Lehrer an der örtlichen Schule, mit zwei Söhnen und gescheiterter Ehe. Maggie, seine Kollegin, die mit ihrem etwas wirren Vater zusammenlebt. Victoria, siebzehn und schwanger. Die Brüder McPheron, Viehzüchter und knorrige Eichen. Diverse unliebsame Personen und Raufbolde, weitere Lehrer, Bewohner des Städchens natürlich und die wunderbare Iva Stearns. Ihre Lebenswege kreuzen sich dank Haruf, verknüpfen sich und rufen damit manchmal ungewöhnliche Veränderungen hervor, zwingen Menschen, alte Pfade zu verlassen und sich für Neues zu öffnen. Das scheint das Hauptthema des Romans zu sein: alte Pfade zu verlassen, andere Wege zuzulassen.
In der Grundidee sicherlich sehr spannend, fehlt mir trotzdem der Zugang zu den Charakteren. Ich lese die Ereignisse seltsam unberührt. Es sind alltägliche Ereignisse, schon in unzähligen Büchern behandelt. Nun muss man das Rad nicht jedes Mal neu erfinden und manchmal ist es gerade der Alltag, der ein Buch berührend macht, hier aber ist der Verlauf meistenteils vorhersehbar und die lakonische Schreibweise schafft Abstand, zuviel Abstand für mich. Einzig die oben erwähnte Mrs Stearns, eine alte Dame, zaubert mir zuverlässig ein Lächeln ins Gesicht.
Vielleicht muss man die Bücher ja insgesamt gelesen haben, muss man vertrauter werden mit dem Menschenschlag, der Holt bewohnt. So ist dieser Band sicherlich eine gelungene Filmvorlage, enthält er doch alles, was man dafür so braucht, Herzschmerz, große Probleme, kranke Mütter, sterbende Pferde, schweigsame Viehzüchter, aber als alleinstehender Roman scheint er mir trotzdem ein wenig leblos. Schade.

Eine Schatzkiste voller Abenteuer

Der Medicus von Noah Gordon

Der Medicus

Noah Gordon

als Taschenbuch erschienen 2013 im Heyne Verlag

ISBN 978-3-453-50394-6

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Nach geschätzt zwanzig Jahren habe ich dieses Buch wieder zur Hand genommen und erneut gelesen. Und es hat nichts an Farbe, Spannung und Deftigkeit verloren.

Um 1021 in England. Robert Jeremy Cole, der, in bitterarmen Verhältnissen aufgewachsen, früh seine Eltern verliert, macht eine Lehre bei einem Bader. Zunehmend leidet er unter seinem mangelnden medizinischen Wissen und beschließt, sich in Isfahan unter Avicenna zum Medicus ausbilden zu lassen. Das ist allerdings nicht ganz einfach, denn nicht nur die große Entfernung ist ein Hindernis, sondern auch die Tatsache, dass dort nur Moslems und Juden aufgenommen werden.

Im Grunde ist das ganze Buch eine farbenprächtige Abenteuersage. Es kommt alles darin vor, was man dafür braucht: der arme Junge, der den Gral  sucht (in diesem Falle medizinisches Wissen) und die Prinzessin bekommt (Mary Cullen, rothaarige Tochter eines schottischen Schafzüchters) und dafür allerhand Abenteuer und Prüfungen durchleben muss. Es wird geprügelt, gemordet, gehurt; es gibt blutige Vollstreckungen, den Kampf gegen die Pest und einen Sandsturm; aber auch die für einen Europäer des Mittelalters ungewöhnliche Erkenntnis, dass Juden und Moslems Menschen sind, mit denen man sich problemlos bestens verstehen und sogar anfreunden kann; es gibt Hass, Wut und Ungerechtigkeit neben Liebe, Milde und Hilfsbereitschaft, kurz, wir erleben das ganze pralle Leben Coles, so unwahrscheinlich es auch ist, mit all seinen Gerüchen, Geschmäckern und Geräuschen.

Dabei ist es völlig uninteressant, ob der Autor sich dabei an historische Gegebenheiten gehalten hat, ob Coles Reise so überhaupt jemals möglich gewesen wäre. Es ist ja das Wesen der Sage Unmögliches möglich zu machen, das Alltägliche zu schmücken bis zur Unkenntlichkeit, es größer, schöner und voller zu machen. Und so haben wir hier einen prachtvollen Bilderbogen mit strahlenden Farben und allen möglichen Ausschmückungen, der uns tief hineinführt in eine Phantasiewelt, die grob dem ähnelt, was wir wissen und kennen, und zu einem Helden, der aus jedem Abenteuer gestärkt hervorgeht und unbeirrt an seinem Traum festhält, über alles hinwegschreitend, was man ihm in den Weg wirft.

Und gerade dieses unbekümmert an der Geschichte festhalten, unterscheidet den „Medicus“ von anderen historischen Romanen und ihren Autoren, die zwanghaft versuchen ihre Erzählungen in eine bestimmte Zeit zu zwängen, sich vom Machbaren einschränken lassen und akribisch jeden Löffelstiel beschreiben, um ihr historisches Wissen zu belegen. Dazu hat Noah Gordon keine Zeit. Denn er hat eine Geschichte zu erzählen, die zwar in einer bestimmten Zeit spielt, aber im Grunde zeitlos ist. Die von dem kleinen Jungen, der an seinem Traum festhält, den Drachen besiegt und die Prinzessin gewinnt. Wen kümmern da schon Löffelstiele?