Amüsantes Kammerspiel

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Der Pfau

Isabel Bogdan

erschienen 2016 bei Kiepenheuer und Witsch

ISBN: 978-3-462-04800-1

 

„Einer der Pfauen war verrückt geworden. Vielleicht sah er auch nur schlecht, jedenfalls hielt er mit einem Mal alles, was blau war und glänzte, für Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt.“

So beginnt Isabel Bogdans Roman, in dem nachfolgend beschrieben wird, was nämlicher Pfau nun auf dem Anwesen von Lord und Lady McIntosh nahe der schottischen Highlands an Ereignissen in Gang setzt. Mitspieler in diesem Kammerspiel feinster britischer Art sind die bereits oben erwähnten McIntoshs, Ryszard, der „Mann für alles“, die Hausverwalterin Aileen und eine Gästegruppe, bestehend aus Londoner Investmentbankern, die eine Köchin und eine Psychologin im Schlepptau, angereist sind für eine Teambuilding – Maßnahme.

Pointiert und unaufgeregt entwickelt Isabel Bogdan ihre Geschichte, logisch folgt ein Schritt dem nächsten. Von anfänglich leisem Schmunzeln, über verhaltenes Gekicher bis zu schallendem Gelächter führt die Autorin den Leser durch alle Irrungen und Wirrungen, spielt, ohne dabei jemals wirklich bösartig zu werden oder ihre Charaktere bloßzustellen, mit der Schadenfreude des Lesenden. Die Komik entsteht aus der Diskrepanz zwischen dem Wissen des Lesers und dem unterschiedlich gestalteten Teilwissen der einzelnen Personen und ihren, auf eben diesem Scheinwissen beruhenden Taten und Reaktionen.

Ebendiese Personen sind fein gezeichnet, haben eine Vorgeschichte, ein Leben und daraus resultierende Charaktereigenschaften. Sie sind alle liebenswert, diese Charaktere, so unterschiedlich sie auch sein mögen: die pragmatische Lady, die tierliebende Aileen, die resolute Köchin. Sie sind nicht eindimensional nur für ihren Zweck geschaffen worden, sind keine Karikaturen, nur für humoristische Gründe erfunden. Und auch das macht den Charme dieses Buches aus: Personen, in die man sich hineinfühlen kann, deren Entwicklung man verfolgen kann.

Alles in allem ist dieses Buch ein echter Glücksgriff. Eine Autorin, die das Schreiben einer Komödie ernsthaft angegangen ist, die dabei ihren eigenen Stil herausgearbeitet hat, die auf reißerische Aktionen und unglaubliche Wendungen komplett verzichtet hat, die stattdessen auf leisen Humor und präzise Pointen setzt, auf einprägende Charaktere und logische Abläufe und so ein ebenso komisches, wie charmantes Buch geschrieben hat; eine Buchgestaltung, die mit schlicht weißem Cover und leuchtend blauem Pfau wunderbar zur Geschichte passt und sogar bei genauerer Betrachtung englische Gepflogenheiten verrät – was kann man sich mehr wünschen?

Eine Einführung in den schwarzen, britischen Humor, wie man sie besser nicht hätte gestalten können! Kein Wunder, dass allein schon das erste Kapitel den Hamburger Förderpreis für Literatur erhielt. Ich persönlich würde mich freuen, von Isabel Bogdan in den nächsten Jahren noch mehr zu lesen und hoffe sehr, dass sie sich ihren wunderbaren Stil und die Präzision ihres Schreibens für weitere Bücher erhalten kann.

Spurensuche in Mexiko

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Wer ist B. Traven?

Torsten Seifert

erschienen 2017 im Tropen Verlag

ISBN 978-3-608-50347-0

Zu bestellen hier

Mexiko 1947. Der junge Journalist Leon Borenstein begibt sich auf die Spur eines Phantoms. Ein Phantom, das immer mal wieder die Schlagzeilen beherrscht, schon allein deshalb, weil die Suche danach scheinbar mit einem Fluch belegt ist. Kaum ein Suchender überlebt das Unterfangen. Die Rede ist von dem Schriftsteller B. Traven, bekannt durch Bücher wie „Das Totenschiff“ oder „Der Schatz der Sierra Madre“. Wenig weiß man wirklich über ihn, aber unzählige Vermutungen ranken um sein Leben und seine Herkunft. Nun soll „Der Schatz der Sierra Madre“ mit großem Staraufgebot verfilmt werden. Walter Huston und Humphrey Bogart sind mit von der Partie, John Huston führt Regie. Gedreht wird irgendwo in Mexiko, in einem staubigen Wüstenstädtchen…

Torsten Seifert vermischt gekonnt Wirklichkeit und Fiktion. Der PR-Journalist mit Wohnort Babelsberg scheint dort viel Filmluft geatmet zu haben, jedenfalls gelingt es ihm mühelos, die Welt des Schwarzweißfilms wieder aufleben zu lassen, die alten Hollywoodgrößen zu neuem Leben zu erwecken. Das Buch wirkt in Teilen wie eine Hommage an die großen Detektivfilme á la Philipp Marlowe oder „Der Malteserfalke“. Es fliesst reichlich Alkohol, die Damen sind schön und gefährlich und natürlich gibt es auch ausreichend lebensgefährliche Situationen. Das Ganze geschrieben in einem männlich-flapsigen Ton, der auch die größten Unannehmlichkeiten mit einem Schulterzucken übergeht. So ist es nicht wirklich ein Wunder und absolut verdient, dass Seifert mit diesem Buch den Blogbuster-Preis der Literaturblogger gewann.

Einzig im ersten Teil des letzten Drittels entgleitet ihm meines Erachtens der Stoff ein wenig und die Erzählung gerät zu einer Aneinanderreihung von „Männersachen“: Stierkampf, Bordell, Auftragsmörder, alles wird im Schnelldurchlauf abgehakt. Das Ende dagegen ist wieder sehr gelungen und macht den kleinen Ausrutscher definitiv mehr als wett.

Und wer ist nun B. Traven? Das sollte der interessierte Leser selbst herausfinden, vorzugsweise mit Hilfe dieses amüsanten, spannenden, gut recherchierten und daher absolut zu empfehlenden Buches.

Wurzelwerk

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Die Königschroniken Band 1

Ein Reif von Eisen

Stephan M. Rother

erschienen 2017 bei Rowohlt Polaris

ISBN 978-3-499-27356-8

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Ein neues Fantasy-Epos also. „Die Königschroniken“, immerhin ein schöner Titel. Untertitel des ersten Bandes: „Ein Reif von Eisen“, der schon angekündigte zweite Band heißt „Ein Reif von Bronze“. Das läßt mich vermuten, das Werk sei auf vier Bände angelegt. Im Grunde macht das ja auch Sinn, will man eine ganze Welt neu erschaffen und dabei Details herausarbeiten. Außerdem sind vier Bände klassisch, zumindest gefühlt.

Dieser erste Band nun ist recht hübsch ausgestattet. Der Titel ist geprägt, ein Eschenmedaillon/-siegel ebenso. Das fühlt sich gut an und sieht auch gut aus. Beim Aufschlagen des Buches finden wir als erstes eine Karte des neu erschaffenen Reiches, sehr schön und praktisch, will man etwaige Reisen oder Grenzverläufe nachverfolgen. Namen wie Westerschild, Ödmark kommen einem bekannt vor, aber man muss ja auch nicht immer das Rad neu erfinden. Der Leuchtturm namens Phoras ließ mich tatsächlich ein wenig schmunzeln.

Der Autor, Stephan M. Rother, ist studierter Historiker und durchaus erfahrener Schriftsteller. Er schreibt hauptsächlich Thriller, da sollte ihm der Umgang mit Spannungsbögen ein leichtes sein. Denkt man.

Und damit sind wir beim eigentlichen Thema, dem Inhalt des Buches. Ich bin was das anbelangt ja eine Freundin der Kurzbeschreibung. Sehr kurz wäre „Die Esche welkt, das Reich wankt“, was ja aber im Grunde für fast jeden Fantasy-Roman so zutrifft. Daher also ein wenig ausführlicher: Im Reich der Esche ( ein Schelm, wem da Yggdrasil, der Weltenbaum der nordischen Sagenwelt in den Sinn käme) kriselt es. Die Blätter beginnen zu welken, ein Machtwechsel steht an. Im Norden, in den Ländern des alten Königreiches Ord sieht es ähnlich aus. Aus wechselnden Perspektiven erhalten wir nun Einblick in die politischen Verhältnisse, Machtströmungen und gesellschaftlichen Gegebenheiten. Das ist mal mehr, mal weniger spannend. Grundsätzlich festzustellen ist, dass Rother seine Welt sehr an unser Mittelalter angelehnt hat. Frauen haben scheinbar, unabhängig davon wie charakterstark sie sind, wenig zu sagen, treten als jungfräuliche Töchter, Prostituierte oder Sklavinnen auf. Fanatische Gläubige, schilderrasselnde Krieger und intrigante Höflinge prägen das Bild. Auch das wiederum ist nicht neu, aber kann ja, wenn man die Versatzstücke entsprechend zusammenbaut durchaus spannend sein. Ist es in Ansätzen auch. Aber eben nur in Ansätzen. Im Grunde haben wir einen reinen Einführungsband vor uns, die Vorgeschichte zur eigentlichen Handlung. Würde ich der Handlung zumindest so wünschen. Mein Eindruck jedenfalls ist, daß das Buch in dem Moment aufhört, wo die Handlung anfängt und zwar mit einem geradezu fiesen Cliffhanger. Als wäre dem Autor bewußt gewesen, dass er schon einen hohen Anreiz bieten muss, damit man auch den nächsten Band erwirbt. Werde ich aber trotzdem nicht. Denn allzu bekannt und beliebig ist mir die Geschichte bis hierhin, wenn auch professionell umgesetzt. Seine Hausaufgaben hat der Schriftsteller und Historiker Rother definitiv gemacht, seine Welt ist stimmig aufgebaut, die Charaktere entsprechen ihrem Umfeld. Allein mir fehlt die Phantasie und der Willen Neues zu erschaffen, statt Altbekanntes zu variieren. Schade.

Grillparzer

 

Von Zeit zu Zeit finde ich unter meinen Stapeln von Büchern, die ich im Laufe der Jahre gekauft, geschenkt bekommen oder geerbt habe, kleine Schätze, die ich vorher entweder übersehen oder vergessen habe. Gestern war das wieder einmal der Fall.

Gefunden habe ich zwei Novellen von Grillparzer, gebunden wahrscheinlich irgendwann zwischen 1920 und 1940. Die eine, „Das Kloster bei Sendomir“, ist eine gruselige Geschichte über Verrat und enttäuschte Liebe, die andere, „Der arme Spielmann“, eine traurige Geschichte über Betrug und die Liebe zur Musik.

Beide Novellen waren schnell gelesen, leider, denn ich hätte davon durchaus mehr vertragen können und brachten mich zu der Frage, wer genau war denn nun eigentlich dieser Grillparzer? Den Namen kennt man ja durchaus, den Namen, ja – und dann?

Ich habe ein wenig nachgeforscht, was in diesem Falle nicht wirklich schwer war und darf euch nun also vorstellen:

Franz Seraphicus Grillparzer lebte vom 15.Januar 1791 bis zum 21. Januar 1872 und zwar hauptsächlich in Wien. Er war Sohn eines Rechtsanwalts, studierte selber die Rechte und war dann zeitlebens Beamter.

Den schönen Künsten zugetan, beschäftigte er sich schon früh mit der Schriftstellerei und mit Musik. 1817 wurde seine Tragödie „Die Ahnfrau“ am Theater an der Wien uraufgeführt, 1823 verfasste er für Beethoven ein Opernlibretto. Weitere Bühnenstücke folgten, heute noch bekannt sind u.a. „Das goldene Vlies“, „Der Traum ein Leben“ und „Die Jüdin von Toledo“. Sein Gesamtwerk findet man heute im Suhrkamp Verlag , einzelne Stücke auch bei Reclam . Er gilt als Nationaldichter Österreichs, der, zeitweise in Vergessenheit geraten, heute seinen Platz im Kanon eingenommen hat.

Wer sich eingehender mit Herrn Grillparzer beschäftigen möchte, denn meine Vorstellung ist ja nur ein kleiner Einblick, der muß sich ein wenig bemühen. Als ebook sind diverse Biographien zu finden, gebunden leider nur antiquarisch nach meiner Recherche. Ich lasse mich da aber gerne eines besseren belehren.

Ich bin ja immer glücklich, wenn ich auf solche Entdeckungen stoße, speziell, wenn sie dem Theater so nah sind, daher werde ich in der nächsten Zeit bestimmt noch mehr von Grillparzer lesen. Und das kleine Büchlein oben sicherlich auch nicht wieder verlegen oder vergessen…

 

 

Verstörend

Die Geschichte der Bienen 22766502_1602124199833349_805067364_o

Maja Lunde

erschienen 2017 im btb-Verlag

ISBN 978-3-442-75684-1

Buchhändler meines Vertrauens

Drei Zeitebenen, drei Schicksale, umklammert und verbunden durch die Bienen. Da wäre zum einen in den 1850igern der Samenhändler und Biologe William, der durch die Beschäftigung mit den Bienen seinen Lebenswillen zurückerhält und seine ganze Kraft in die Erfindung des perfekten Bienenkorbes legt. Dann lesen wir über den Imker George, den Beginn des Bienensterbens und wie es diesem Berufszweig abrupt den Boden unter den Füssen wegzieht. Und schlußendlich finden wir uns im Jahre 2098 wieder, wo es längst keine Bienen mehr gibt und alle Berstäubungsarbeit per Hand geschehen muss. Dort folgen wir der Arbeiterin Tao, deren Sohn einen merkwürdigen Unfall erleidet.

Maja Lunde gelingt, was so mancher Biologielehrer sich wünschen würde: sie erweckt ein echtes Interesse an Bienen und ihrer Lebensweise. Und versteckt in ihrem Roman auch einiges an Fachwissen zu diesem Thema, ohne jemals in Vortragston zu verfallen oder langatmig zu werden. Der Roman liest sich flüssig, ist an den richtigen Stellen spannend und erweckt auch die Zukunft in glaubwürdigem Maße. Für mich ungewohnt war, dass auch die Tatsache, dass ich kaum einen Charakter des Buches mochte, die Lesefreude kaum gemindert hat. Ja, ich gestehe, ich fand wirklich fast alle Personen eher unsympathisch und es hat mich nicht gestört, nur gewundert. Schlußendlich ist wohl das Schicksal der Bienen so spannend, dass das keine Rolle spielte.

Der Roman funktioniert daher so gut und ist so eindringlich, weil man eben weiß, dass die ersten beiden Erzählebenen auf Tatsachen beruhen und die Zukunftsvision wahrscheinlich gar nicht soweit entfernt von der Realität ist. Denn wie freundlich kann eine Welt ohne bestäubende Insekten schon sein? Und so bleibt die Hoffnung, dass dieses Buch etwas in den Köpfen bewegt und den Lesern die Dringlichkeit dieses Themas bewußt macht, damit die Zukunftsvision eben genau das bleibt, eine Vision, etwas das hätte sein können, aber gottseidank nie so geschehen ist…

 

Großstadtmärchen

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Florian Beckerhoff

erschienen 2017 bei Harper Collins

ISBN 978-3-95967-134-7

Herr Haiduk betreibt einen kleinen Laden mitten in Berlin. Es gibt dort Zeitschriften, Süßigkeiten, allerhand Kleinigkeiten und eine Lottoscheinannahmestelle. Als eine seiner Kundinnen einen verlorenen Lottoschein mit den Gewinnerzahlen des Jackpots findet,macht sie sich zusammen mit Herrn Haiduk auf die Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer…

Aus dieser Grundlage erschafft Florian Beckerhoff ein liebevolles Alltagsmärchen, dass sich mit den Formen des Glücks beschäftigt und damit, wie viel Glück man eigentlich ertragen kann. Er erfindet und fabuliert nach Herzenslust: überraschende Wendungen, skurrile Charaktere, eigenartige Zufälle, all das, was man als Schriftsteller möglichst nicht tun sollte, weil unglaubhaft, verwebt Beckerhoff gekonnt zu einer Geschichte, die davon lebt, dass sie eigentlich doch so hätte passieren können. Oder nicht?

Schon bei „Frau Ella“ ist mir der augenzwinkernd liebevolle Blick auf die Charaktere aufgefallen, der viel von Herrn Beckerhoffs Schreibstil ausmacht. Auch diesmal sind auch die Nebenfiguren genau beobachtet und nicht nur skizziert, sondern zum Leben erweckt worden mit vielen Kleinigkeiten, Eigenarten und Besonderheiten: Der Pudelmann und die Ängstliche, der Junge Kettenraucher und die Gläubige Frau und noch so einige mehr.

Gegen Ende entgleiten ihm die Fäden leider ein bißchen, war es ein Kunstgriff zu viel. Es wirkt, als hätte das Buch nun aber ein Ende finden müssen, als hätte der Autor sich in eine Sackgasse geschrieben und das Vertrauen in die Erzählung verloren. Das ist schade, nimmt es der Geschichte doch ein wenig von ihrem Zauber. Das sollte aber niemanden hindern, das Buch zu lesen und mit Herrn Haiduk eine Tasse heißen, süßen Tee zu trinken oder doch besser gleich eine Kanne, und sich von ihm diese wunderbare Geschichte erzählen zu lassen, die er wirklich in seinem kleinen Laden mitten in Berlin erlebt hat.

Mit leichter Feder geschrieben

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Mavis Doriel Hay

erschienen 2017 bei Klett-Cotta

ISBN 978-3-608-96189-8

Wie schon im letzten Jahr mit „Geheimnis in weiß“, legt Klett – Cotta nun erneut einen Weihnachtskrimi vor: diesmal „Geheimnis in rot“. Beide Bände sind liebevoll aufgemacht, gebunden, mit Lesebändchen und einem weihnachtlich-winterlich gestalteten Cover. Ein tolles Weihnachtsgeschenk für Freunde des klassischen englischen Krimis. Was die Bücher für mich aber umso interessanter macht, ist der Versuch, damit hervorragende Autoren dieses Genres aus dem unverdienten Vergessen zu holen. So wurde ein Roman von J.Jefferson Farjeon, dem Schriftsteller von „Geheimnis in weiß“, tatsächlich von Alfred Hitchcock verfilmt.

Mavis Doriel Hay nun hat nur drei Kriminalromane geschrieben, einer davon, „The Santa Klaus Murderer“, ist jetzt also erstmals auf Deutsch erschienen.

Der Inhalt ist klassisch und daher schnell umrissen: jedes Jahr trifft sich die Familie von Sir Osmond Melbury in Flaxmere, dem Stammhaus der Melburys, zu einem mehr oder weniger fröhlichen Weihnachtsfest. Während dieses Festes jedoch wird Sir Osmond erschossen im Arbeitszimmer vorgefunden. Bei der Suche nach dem Mörder stellt man fest, daß fast jeder der Anwesenden Motiv und Gelegenheit gehabt hätte…

Charmant und mit leichter Feder geschrieben, ist dieser Roman ein kleiner Lesegenuß. Wie in britischen Krimis üblich, wird der Suche nach dem Täter mehr Zeit eingeräumt als der Greueltat selber, die einzelnen Personen und ihre Eigenarten werden schön charakterisiert und auch ein wenig schwarzer Humor darf nicht fehlen.

Mir bleibt nun zweierlei zu hoffen: erstens, dass auch die anderen beiden Romane von Mrs Hay übersetzt und veröffentlicht werden und zweitens, daß Klett-Cotta die „Geheimnis in „-Reihe auch im nächsten Jahr fortführt. Es gibt doch sicherlich noch weitere englische Krimiautoren, die ihrer Neuentdeckung entgegen harren?

Ein schmuckes Buch mit einem nicht ganz so schmucken Inhalt

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Sarah Perry

erschienen 2017 bei Eichborn

ISBN 978-3-8479-0030-6

Ein wunderschönes, nein, ein prächtiges Buch. Gebunden und mit einem schlangenhautähnlichen Material bezogen. Ein Lesebändchen, das schlangenzungenorange aus dem Buch züngelt. Ein Schutzumschlag in leuchtenden Farben mit geprägtem Schriftzug und dem namensgebenden Tierchen darauf abgebildet.

Ein wahres Schatzkästlein – aber birgt es auch einen Schatz?

„Anmutig und intelligent erzählt dieser Roman von der Liebe und den unzähligen Verkleidungen,in denen sie uns gegenübertritt“ heißt es im Klappentext. Anmutig ist diese Geschichte tatsächlich geschrieben. Ich mochte den Erzählfluss, die Wortwahl, die Stimmungen, die Sarah Perry scheinbar mühelos zu schaffen imstande ist. Das Unheimliche und Dunkle, das die Ufer und Salzwiesen des Blackwater überschwemmt, die Hysterie eines ganzen Dorfes, die Wandlungen der Natur innerhalb eines Jahres, das alles erfüllt sie mit Leben, lässt es lebendig werden.

Intelligent geschrieben ist der Roman definitiv auch. Das ganze Wissen und Wirken des viktorianischen Zeitalters, eingewoben in einen Roman, unfassbar detailreich herausgearbeitet. Chirurgie, Wohnungsbau, Darwin, Sarah Perry weiß umfassend darüber zu berichten, jeder Satz birgt unzählige Informationen, unangestrengt, fast nebenbei.

Was ihr leider nicht mühelos gelingt, ist das Erschaffen von eigenständigen Charakteren. Hier erkennt man zu stark die Konstruktion, die Idee dahinter. Der leidenschaftliche Arzt und Wissenschaftler, der reiche Erbe auf der Suche nach Lebenssinn, die Kämpferin für bessere Lebensbedingungen in den unteren Schichten, der Pfarrer zwischen Glaube und Wissenschaft, die Ehefrau, die nett plaudernd, klug eine schützende Hand über ihre Familie hält, sie alle sind nur Abbilder des typischen Personals in den Gesellschaftsschichten ihrer Zeit. Und werden auch nicht über ihren Zweck hinweg zum Leben erweckt. Sämtliche Personen handeln seltsam gefühlsarm, allen voran die Protagonistin Cora Seaborne, die über Eigennutz hinaus scheinbar keine Regungen für andere entwickelt, sämtliche Personen bleiben gefangen in dem Zweck, der ihnen zugeschrieben wurde.

So bleibt dieser Roman distanziert, in sich abgeschlossen, ohne Verbindung zum Leser. Ich habe an keiner Stelle mitgeweint, -gelebt, -gelacht oder -gefiebert. Ich habe mich an Wortwendungen und Satzkonstruktionen erfreut, habe Landschaftsbeschreibungen bewundert und mich gewundert, dass manche Möwe mir lebendiger erschien als die Hauptpersonen. Aber: ich habe den Roman durchweg gern gelesen, denn sprachlich ist er meisterhaft komponiert, durchweg schlüssig konstruiert und erweckt eine Epoche zum Leben, da kann man leblose Einzelpersonen getrost übersehen.

Und worum geht es nun? Um das Universum und den ganzen Rest, um Liebe, Aberglaube, Wissenschaft und blaue Gegenstände, ja, vielleicht vor allem um blaue Gegenstände.

Neuzeit trifft Mittelalter

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Barbara Hambly

erschienen 1994 bei Bastei Lübbe

Es gibt Bücher, die mag man jenseits von Stil, Verstand, Sinn oder Schreibkunst. Barbara Hamblys Windrose-Chroniken zählen für mich dazu. Magier trifft auf Computerfachfrau, Mittelalter trifft auf Neuzeit. Es gibt Löcher im Dimensionsgefüge, genannt Abyssus, einen toten Gott, der sich als Physiker aus einer anderen Welt entpuppt, Zaubererränke und – tränke und natürlich Antryk Windrose, Magier, Chaot, leicht verrückt und der Jack Sparrow unter den Zauberkundigen.
Die Story ist hahnebüchen mit diversen Logikbrüchen, mehr oder weniger stereotypen Charakteren und ehrlicherweise ohne all zu viel Sinn oder Verstand.
Und trotzdem… Ohne genau erklären zu können warum, liebe ich die Reihe, lese sie bestimmt schon zum vierten Mal in den letzten zwanzig Jahren und schmunzle immer noch über den drolligen Charme der Hauptperson, über die Eigenarten der anderen Zauberer, Tante Min und ihren Strickkorb, die hochmütige Lady Rosamund oder den gar nicht so mutigen Mirabiliten. Vielleicht ist es ja genau das: ein Ausflug in die unwahrscheinlichste aller Welten, ein Fantasyroman, der sich selbst nicht so schrecklich ernst nimmt und der wirkt, als hätte man die gestrichenen Szenen aus Herr der Ringe, Per Anhalter durch die Galaxis und diversen Scheibenwelt-Romanen durcheinander gemixt und mit einer Prise Trash gewürzt? Im Grunde wird mir das egal sein, wenn in ca fünf Jahren mein Blick im Bücherregal wieder auf diese Reihe trifft und ich merke, es ist mal wieder an der Zeit…

 

Zauberhaft

Das Lavendelzimmer

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erschienen 2013 im Knaur Verlag

ISBN 078-3-426-65268-8

Der Buchhändler Jean Perdu erhält nach etlichen Jahren eine Nachricht einer verlorenen Liebe, die sein ganzes Leben umwirft. Er löst buchstäblich alle Leinen und geht mit einem Hausboot auf die Reise zu sich selbst. So einfach wäre wohl der Inhalt des Buches skizziert. Aber so einfach ist es natürlich nicht, denn Perdu lebt ja nicht im luftleeren Raum. Und gerade das Drumherum ist es, was diesen Roman so zauberhaft macht: die vorbeiziehenden Dörfer, Städchen und Landschaften, die Personen am Wegesrand, die ihn mal länger, mal kürzer begleiten. Da wäre der junge Bestseller-Autor Max Jordan, auf der Flucht vor seinen Fans und mit seiner Schreibblockade hadernd oder Cuneo, der Italiener, der seit Jahrzehnten Frankreichs Kanäle nach seiner großen Liebe absucht, die er einst auf einem Hausboot traf.

Nina George schafft es, auch an schwerer wiegende Lebensthemen heranzugehen ohne den luftig-leichten, fließenden Ton zu verlieren, der dieses Buch ausmacht. So entwickelt die Geschichte ihren eigenen Sog, ihren ganz eigenen Erzählfluss, der den Leser einfach mitnimmt auf die Reise durch Frankreich und Perdus Leben, ihn mitfühlen, mitzittern, mithadern und -weinen lässt.

„Dieser Geschichte wohnt ein unglaublich feiner Zauber inne.“ meint Christine Westermann und beschreibt damit das Gefühl, das auch ich beim Lesen hatte. Das Gefühl, in eine Welt einzutauchen, in der man Schmerz fühlen und auch loslassen darf, in der das Leben intensiver, die Liebe strahlender und Freundschaft etwas Festes und Unvergängliches ist.

Ein nettes Beiwerk sind die angehängten Listen mit Rezepten der Gerichte, die Jeans Reise begleiten und der Bücher, die, als Jean Perdus literarische Notapotheke bezeichnet, bei allerlei Leiden und passenden oder unpassenden Gefühlen helfen sollen.

Auch wenn das Buch schon 2013 erschienen ist, für mich zählt es zu den Leseentdeckungen des Jahres und ich werde es sicherlich nicht nur einmal lesen und genauso sicher auch anderen als Leseempfehlung ans Herz legen.